Ambulanz


„Ich gehe dann davon aus, dass wir uns nächste Woche sehen“, erklärt die Therapeutin und schaut mich eindringlich an. Das ist jetzt also so versteckt die Frage, die sie ja grundsätzlich nie stellt. Ich habe meine Jacke schon wieder an, wir stehen so halb in der Tür. Was habe ich jetzt für eine Wahl? „Mh…“, murmle ich.
„Und ich wünsche Ihnen schöne Pfingsten…“, fügt sie hinzu. Klar, die werden super.
„Danke, das wünsche ich Ihnen auch“, erwidere ich.

Tür hinter mir zuziehen. Dann existieren wir wohl mal eine weitere Woche. Hoffentlich.   Heute ist gerade mal Dienstag.

So richtig weiter kommen wir in der Stunde nicht. Ich berichte von meinem Trip in den Ort in der Ferne. Von der Wohnung, die ich mir angeschaut habe. Davon, dass ich den Neuro – Oberdoc getroffen habe. Dass es der erste Tag dieses Jahres war, der etwas in die positive Richtung bewegt hat. Aber auch, dass es mich jetzt im emotionalen Chaos zurück lässt.

Hinsichtlich der Wohnung finden wir das heraus, das ich halt irgendwo auch schon weiß. Der Zeitpunkt ist jetzt einfach nicht passend. Weder hinsichtlich der Klinikplanung noch hinsichtlich der Tatsache, dass ich eine Menge Kosten produziere, von denen ich noch nicht weiß, wie ich die decken soll. Aber da die Eltern mich da so sehr in eine Richtung drängen, wird es schwer sich dagegen durchzusetzen. Das entsteht ja schon allein aufgrund der moralischen Verpflichtung, dass meine Mutter und ihr Freund ihren Urlaub abgebrochen haben und Mamas Freund gestern wegen mir nicht auf der Arbeit war.
Zwar habe ich auch Leute, die mich unterstützen, aber ich kann halt – ohne jemandem zu nahe treten wollen – nicht darauf vertrauen, dass die auch bleiben. Am Ende besteht das Szenario, dass plötzlich alle Menschen verschwinden und die Klinik mich auch als Fehlbelegung interpretiert (was die Pflege das letzte Mal auch durchaus getan hat) und dann wird es sehr ungünstig für mich. Zwar mag die Angst nicht so richtig erklärbar sein – nachvollziehbar sei sie aber vor dem Hintergrund meiner Biographie schon, wie die Therapeutin anmerkte.

Ich weiß nicht, ob ich noch zu viel positiven Spirit von gestern in mir trage. Dass ich ihr erzähle, dass ich - obwohl es mir unangenehm ist, es zu berichten, weil ich sonst immer auf Achse bin – mehr Zeit im Bett mit Nichtstun als mit sonst irgendetwas verbringe, dass hier seit Wochen nicht geputzt wurde und der Kühlschrank auch chronisch leer ist, obwohl ich mir jeden Tag ernstlich vornehme das anzugehen und ich so generell nicht weiß, wie das jetzt wieder eine Woche gehen soll, interessiert sie eher weniger. Aber was will man mit drei Stunden Schlaf pro Nacht auch bitte noch schaffen?
Dass sei alles etwas ungewöhnlich für mich und zeige die Belastung der letzten Wochen an. Aha.

Ob ich jetzt also mal langsam anfange alle Dokumente für die Wohnung zusammen zu suchen… - vermutlich werde ich das tun. Zumindest starten. Weit werde ich wohl nicht kommen. Weder habe ich die Kraft, noch weiß ich von den meisten Dingen, wo ich die her bekomme.
Denn solange, wie die hinsichtlich der Klinik auch nicht aus dem Tee kommen und ich nicht weiß, wie das laufen soll, weiß ich auch nicht, ob es sich lohnt, darauf Rücksicht zu nehmen. Ob es wirklich die Station wird, ist jetzt doch nicht mehr so klar und ich muss auch sagen, dass ich jetzt nicht auf jeder beliebigen Station von vorne anfangen würde. Da ist mir die Gefahr für alles verurteilt zu werden, doch zu groß. Allein dieses Oberarzt – Thema werde ich nicht mit jedem besprechen können.

Dass ich vom Psychiatrie – Oberarzt noch nichts gehört habe, habe ich heute auch anklingen lassen. „Hatten Sie ihm denn geschrieben?“, fragte Frau Therapeutin. „Ja natürlich. Direkt nachdem ich Ihre Mail gefunden habe“, entgegne ich. „Naja ich wollte mit ihm ohnehin noch etwas besprechen – da kann ich ihm ja gleich mal sagen, dass er Ihnen antworten soll…“ Oder Sie klären das gleich untereinander und teilen mir das Ergebnis mit… - natürlich denke ich mir das nur.

Und manchmal… - manchmal denke ich mir, dass es vielleicht diese guten Tage nur noch ein Mal geben konnte. Und vielleicht war das im letzten Juni. Die wenigen hellen Tage damals. Zuversicht, die eher daraus entstanden ist, dass man so lange glaubte, dass es gut werden würde, wenn man es erstmal bis ins PJ im Ort in der Ferne geschafft hat. Vermutlich war das ein bisschen naiv. Immer schon. Aber was will man machen, wenn man sich so sehr verlaufen hat, dass man da ohnehin nicht raus kommt? Dann nimmt man lieber ein bisschen Illusion. Woher die guten Tage kamen, ist ja nun auch egal. Hauptsache sie waren da und bleiben im Herzen.
Und dass die Erfahrung von gestern kein Dauerzustand werden wird, ist sowohl der Therapeutin als auch mir klar. Es war ein bisschen Euphorie nach langer Abwesenheit. Und wenn man nur knapp drei Stunden da ist, dann hält die auch drei Stunden.
Nur da man jetzt weiß, dass Vieles im letzten Juni auch irgendwie ein bisschen Verblendung war weiß man auch, dass es das so nicht mehr geben wird. „Sie müssen sich überlegen, wie Sie da auf sich allein gestellt zurecht kommen“, betont die Therapeutin immer wieder. Vermutlich überhaupt nicht. Deshalb ist das eigentlich auch wenig sinnvoll, das „Existenzprogramm“ bis August weiter zu betreiben und dann festzustellen, dass das ohnehin nicht funktioniert. 

Auch ein Bild von gestern...


So… - eigentlich muss ich einkaufen. Und auch nicht erst seit heute. Allerdings bin ich schon wieder so müde… - dass ich gleich erstmal Pause mache und davon vermutlich heute nicht mehr aufstehe. Heute Nacht kam noch hinzu, dass meine Mitbewohnerin mich um vier Uhr geweckt hat, weil sie ein schmerzendes Auge hat. Also bei Notfällen immer gern – aber das war keiner. Und außerdem heißt „Arztsein“ nicht, dass ich alles kann. Vom Auge habe ich eher weniger Ahnung. Jedenfalls war die Nacht dadurch heute noch kürzer, denn natürlich habe ich danach - im Gegensatz zu ihr  - nicht mehr geschlafen.

Mondkind

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