Tourplanung, kranke Meeris und ein bisschen Verzweiflung
Ich habe mich heute mal auf die Fensterbank gesetzt.
Schreibe heute mal hier den Blog.
Die Meerschweinchen meiner Schwester sind krank. Also so richtig
krank. So krank, dass man sonntags zum Tierarzt gehen muss. Gesehen habe ich
sie nicht – meine Schwester berichtete es nur am Telefon. Zwar habe keiner
abgenommen sie fressen und laufen noch durch den Käfig –
aber dennoch. Sie macht sich Sorgen, dass sie es nicht rechtzeitig erkannt hat
und sie Schuld ist, wenn die Schweinchen jetzt sterben.
Ich hoffe ehrlich gesagt, dass es so ernst nicht ist und da mehr
hinein spielt, dass auch ihr Kopf vor dem Examen ein bisschen durch ist - da es bei ihr auch ab morgen ansteht.
Natürlich habe ich sofort angeboten zu kommen und mich darum zu
kümmern, dass die Schweinchen zum Tierarzt kommen, damit sie weiter lernen
kann. Aber sie wollte es gern selbst machen. Mal sehen, was sie erzählt, wenn sie
wieder da ist.
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Get well soon... 💕 |
Heute Abend muss ich da ja ohnehin noch ins Elternhaus, damit wir
morgen früh um vier Uhr aufbrechen können. Ich muss ganz ehrlich sagen… -
eigentlich kann ich das überhaupt nicht brauchen. Es ist klar, dass ich da
jetzt in den Hintergrund treten muss. Meiner Schwester Mut machen muss, dass
sie das Examen schafft, dass die Meerschweinchen jetzt nicht so schwer krank
sind, dass sie innerhalb von drei Tagen sterben werden – bis sie fertig ist.
Ich muss für sie jetzt diese Person sein, die der Neuro – Oberdoc für mich war.
Eigentlich habe ich dafür nur überhaupt keine Kraft über. Allein
existieren ist schwierig genug und ein bisschen verfluche ich ja, dass ich Frau
Therapeutin versprochen habe, am Dienstag wieder bei ihr auf der Matte zu
stehen. Noch eine Woche werde ich ihr das nicht versprechen können.
Ich kann jetzt nicht dieses ganze emotionale Chaos dort auffangen. Am
liebsten würde ich mich einfach in Luft auflösen und ein paar Tage vom Erdboden
verschwinden.
Und irgendwie möchte ich nicht, dass Familienmitglieder morgen durch
diesen Ort spazieren, der doch irgendwie ein bisschen mir gehört. Dass dann
vielleicht befunden wird, dass es ein ganz netter Ort ist und man doch dahin
ziehen könne.
Und ich brauche meine Ruhe in diesen Straßen, in denen
vor einem Jahr so viel Zuversicht lag. Und die Überzeugung Klinik und Therapie
nicht mehr zu brauchen.
Auch Zeit um auf dem Klinikgelände vorbei zu gehen, wird nicht
bleiben. Zwar hat sich der Neuro – Oberdoc immer noch nicht gemeldet, aber
Mamas Freund will auch schnell wieder zurück. Zu wissen, dass diese Person, die
mich über so viele Jahre begleitet hat nicht mal einen Kilometer entfernt oben
auf dem Berg in einem dunklen Büro sitzt und nicht vorbei gehen zu können, tut
schon jetzt weh.
Vorhin habe ich meine Oma an der Strippe gehabt. „Also es wäre ja ganz
schön, wenn [meine Schwester] auch mal aus der Magersucht heraus kommt…“,
erklärte sie mir. „Aber ich glaube, sie sieht es selbst ja gar nicht. Das wird
wohl ohne Hilfe nicht mehr gehen…“ „Dann geht es ja vielleicht mit Hilfe“,
erkläre ich, „die muss man nur erstmal annehmen können, was ja in dieser
Familie nicht so einfach ist…“ Meine Oma schweigt kurz und ich… - ich gebe mir
mal einen kleinen Ruck.
„Ich verstehe die Mama ja immer nicht so ganz“, beginne ich, „Die
Psychiatrie wird ja immer verteufelt und mein Aufenthalt dort als überflüssige
Freizeitbeschäftigung tituliert. So, als hätte ich eben sonst nichts Besseres
zu tun. Ich frage mich gelegentlich ob ihr wohl bewusst ist, dass ich ohne die
Klinik heute vermutlich auch so aussehen würde wie [meine Schwester]. Und ob
ihr das besser gefallen würde. Wenn über professionelle Hilfe immer so
hergezogen wird, ist das einfach sehr schwer, sich für einen Klinikaufenthalt
zu entscheiden und man macht es eigentlich nur, wenn es überhaupt nicht mehr
anders geht. Denn weder ist man sich selbst sicher, noch hat man die
Unterstützung, die man in der Situation eigentlich bräuchte. Im Prinzip ist man
also gezwungen in einer ohnehin schon schwierigen Situation einen kompletten
Alleingang zu starten und zu hoffen, dass sich zumindest in der Klinik jemand
findet, der die Situation auffangen wird. Ich kann [meine Schwester] da schon verstehen. Wäre
mir damals nicht alles um die Ohren geflogen und hätte ich „nur“ ein Problem
mit dem Essen gehabt – sicher hätte ich mich auch nicht so entschieden.“
Meine Oma war dann übrigens so lieb und meinte, sie redet noch mal mit
meiner Mutter, dass ich da vielleicht morgen nicht hinfahren muss. Gerade habe
ich eine Nachricht von ihr bekommen. Sie hat es scheinbar auch nicht geschafft,
das abzuwenden. Und eigentlich kann zumindest meine Oma ihren Standpunkt ganz
gut vertreten.
Natürlich könnte ich jetzt den ganz großen Aufstand starten… - aber
wenn meine Schwester ab morgen Examen hat, sollte ich nicht den Familienfrieden
komplett lahm legen.
Es ist nicht vorbei. Noch lange nicht. Und jede Hoffnung vor dem
Examen, dass das so sein würde, war nichts als Illusion und Wunschdenken.
Vom Seelsorger habe ich heute auch noch nichts gehört, obwohl er ja ein Update haben wollte, das er selbstverständlich bekommen hat. Aber ich könnte es auch irgendwie nachvollziehen, dass man es langsam aufgibt mit mir...
Vom Seelsorger habe ich heute auch noch nichts gehört, obwohl er ja ein Update haben wollte, das er selbstverständlich bekommen hat. Aber ich könnte es auch irgendwie nachvollziehen, dass man es langsam aufgibt mit mir...
Bitte lass einfach Mittwoch werden.
Meine Schwester ein bestandenes Examen haben, die Meeris auf dem Weg
der Genesung sein. Und ich… - ich könnte es bis dahin ja mal in die Klinik
geschafft haben.
Wunschdenken. Wer glaubt noch dran?
Mondkind
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