Psychiatrie #6 Hoffnung
Stühle rücken.
Das macht nicht nur der
Seelsorger, sondern auch hier kann man das ziemlich gut. Da gibt es für die
verschiedenen Anteile im Selbt sogar verschiedene Farben, die dann auch die
entsprechenden Stühle haben.
Vielleicht befand die Therapeutin
in der Ambulanz, dass Schematherapie mich weiter bringen könnte, weil das
Stühle rücken in der Ferne positive Effekte hatte.
Der neue Therapeut wollte mich
noch einsammeln heute Morgen, nachdem eine Pflegerin ihm gestern eine Mail geschrieben
hatte. Und die kam nach einem Gespräch zu Stande, das ich nicht mal initiiert
hatte. Ein Mitpatient war so freundlich gewesen und hatte die Pflege darauf
hingewiesen, dass es mir augenscheinlich nicht so gut geht.
Wie ich schon vor zwei Jahren
festgestellt habe, haben die Menschen aus der Pflege den Vorteil, dass sie –
wenn man sie im richtigen Moment erwischt – Zeit haben. Und so hatte ich die
Gelegenheit, einige Missverständnisse auszuräumen. Was hier offensichtlich
immer gedacht wurde war, dass ich so sehr an dem Ort in der Ferne klebe, weil
ich nur die Arbeit im Kopf habe. Dass es eher an zwischenmenschlichen Dingen
hängt, die nun mal dort verankert sind und mich über die Zeit gezogen haben –
auf die Idee kam keiner. Und ich habe es offensichtlich nicht gut genug
kommuniziert.
Mit dem Unterzeichnen des
Wohnungsvertrags kam dann ganz viel hoch. Ängste, Hoffnungen, Zweifel und auch
die Rebellion gegen eine Zukunft, die in letzter Zeit ein wenig verebbt war,
nachdem die Ziele vorerst erreicht waren und die Zukunft zwar geplant, aber
nicht dingfest war.
„Ich schreibe Ihrem Therapeuten
eine Mail, dass er Ihnen auf jeden Fall vor dem Wochenende noch eine
Rückmeldung geben soll“, erklärte die Pflegerin, nachdem ich die Gedanken in
ihrer Gegenwart zu Ende entwickelt hatte. Gestern kam er und erklärte, dass er
heute Morgen noch ein paar Minuten versucht zu finden.
Ich sitze in der Ergo. Male eine
bisschen. Um mich abzulenken. Von der Angst, dass der Therapeut vielleicht doch
nicht kommt. Denn immerhin müsste er mich zusätzlich einschieben. Das erzeugt
auch ein schlechtes Gewissen. Und die Frage ist auch, ob ich das überhaupt
schaffen werde, ihm zu erzählen, was los ist.
„Wollen wir?“, fragt er, nachdem
er mich in der Ergo gefunden hat und nickt in Richtung Tür. „Ja“, entgegne ich
knapp. Und laufe schweigend neben ihm her. Ich kenne ihn eigentlich überhaupt
nicht. Und muss in der ersten Woche, in der ich ihn kenne, in eine Krise
schlittern. Und dieses Gespräch ist jetzt die einzige Chance das vor dem
Wochenende noch abzufedern.
Stickiges Büro. „Die Pflegerin
hatte mir eine Mail geschrieben…“, leitet er ein. „Mh…“, sage ich dazu nur. „Normalerweise
macht unsere Patienten das häufig glücklich, wenn sie einen Wohnungsvertrag
unterschrieben haben“, erklärt er. „Bei Ihnen habe ich nicht das Gefühl…“ „Einerseits
ist das schon gut“, entgegne ich, „so auf rationaler Ebene. Aber dann gibt es
eben auch noch diese Negativspirale und die legt wirklich in den letzten Tagen
alles negativ aus und ist nur noch auf Negativität gepolt, weil es da einen
Teil in mir gibt, der ziemlich auf die Barrikaden geht in Anbetracht eines
Zukunftsplans, der mich mittlerweile an eine Zukunft bindet….“
Stühle rücken.
Ich sitze auf dem „Erwachsenen –
Stuhl“ und schaue den „Kind – Stuhl“ an. „Wie fühlt sich denn das Kind gerade…?“,
fragt der Therapeut. „Alleine und hilflos mit dem ganzen Chaos im Kopf“,
erkläre ich.
„Darf ich mich mal auf den
Erwachsenen – Stuhl setzen und Sie nehmen den Kind – Stuhl?“, fragt er. In der
Schema – Therapie reden „Erwachsene“ mit „Kindern“ auf der Ebene des „Du“ lerne
ich. Und dann erklärt er, dass er mich nicht alleine lässt, immer da sein wird,
wenn ich ihn brauche. Dass ich ihn, wenn ich ihn auf dem Gang sehe ansprechen
dürfe und dass er aktiv nachfragen wird, wenn der Kontakt loser wird, weil er
weiß, dass bei mir, wenn es mir schlecht geht der Punkt kommt, an dem ich
überhaupt keinen Kontakt zu Menschen mehr suche aus der Angst, mich den anderen
nicht antun zu können. Er mache seinen Job schon eine Weile, setze sich auch
gern mit schwierigen Dingen auseinander und ich müsse keine Angst haben, ihn zu
überfordern. Das werde nicht passieren und wenn doch, dann sei das seine Sache.
Damit ich das am Wochenende nicht
vergesse wenn es schwer wird, nimmt er einen Zettel und schreibt es auf. Ein
bisschen beeindruckt bin ich schon, muss ich sagen.
Ich glaube, es ist das erste Mal
seit dem Tag der Ankunft hier, dass mir ein paar Tränen in die Augen steigen.
Seitdem habe ich mich so abgeschnitten von meinem Innen gefühlt, dass mich
nichts mehr berühren konnte. Aber diese Worte berühren mich irgendwo. Und
machen gleichzeitig auch Angst. Sie schaffen Entlastung für eine Weile. Aber wie
geht es danach weiter? Werde ich dann stark genug sein, damit die Negativität
nicht mehr so viel Raum einnimmt? Er versucht mir die Angst zu nehmen, indem er
mir erklärt, dass seine Arbeitsweise nicht sei, mich hinterher wieder in die
alte Schwere zu entlassen. Es soll langfristig leichter werden, sagt er. Das
sei das Ziel.
Vertrauen ist schwer für mich.
Super schwer. Dennoch merke ich, dass er alles versucht. Am Nachmittag
erkundigt er sich sogar nochmal auf der Station nach mir, obwohl er eigentlich
in einer Fortbildung sitzt.
Ich sollte auch alles daran
setzen, mich ein Stück weit fallen zu lassen, um auf die Art wieder nähe an
mich selbst zu kommen.
Und vielleicht… - vielleicht kann
es noch etwas werden in den paar Wochen, die mir noch bleiben.
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen