Psychiatrie #1 Die ersten Tage...


So Ihr Lieben,
ich hätte es ja nicht gedacht, aber der Surfstick funktioniert hier echt ganz gut. Große Sprünge kann man damit vom Datenvolumen her zwar nicht machen, aber um gelegentlich die Mails abzurufen und den Blog zu betreiben, reicht es vielleicht - ich habe gerade keine Ahnung, wie viel Datenvolumen das braucht. Eventuell kann man sich auch in der Cafeteria ins wlan hängen – das werden wir mal sehen. Im Moment bin ich da noch nicht so motiviert, mich dahin zu bewegen, aber es wäre sicher eine gute Sache.

Erwartet bitte keinen höchst kreativen Eintrag. Im Moment bin ich sehr müde, aber ein paar Worte wollte ich Euch doch mal dalassen.

***
Worte finden für den Wahnsinn. Für das, was sich ohnehin nicht in Worte fassen lässt.

Aufnahmetag.
Jetzt sitzt man also wieder in der Psychiatrie. Und diesmal irgendwie anders. Ehrlicher. Hoffe ich. Das geht schon bei der Aufnahme mit der Frage nach Suizidgedanken vom Pfleger los. Einfach mal „ja“ sagen. Weil es halt so ist. Nur an der Frage nach dem „Wie haben Sie es denn geplant?“, scheiterst Du wieder. Weil Du das zwar weißt, aber es nicht sagen kannst.

Wenig später beim Arzt. Du erzählst, dass Du vor drei Wochen Examen gemacht hast. „Welches Examen?“, fragt er irgendwann. „Medizin“, entgegnest Du.
Du wirst gefragt, was Du mal machen möchtest. „Neuro“ sagst Du. Und dann erklärt er, dass er eigentlich auch Neurologe ist, aber nun sein Psychiatrie – Jahr macht. Vier Jahre Neuro hat er also schon hinter sich.
Das Gespräch rutscht ab. Es geht um Neurologien und um Weiterbildungsmöglichkeiten. Eher um die Medizin im Gesamten, als ums Psychiatrische. Und wie ein Neurologe so ist, erhebt er auch eine neurologische Anamnese. Das ist fast ein bisschen süß.
„Ach so, jetzt muss ich Sie noch das psychische Fragen…“ Schon ein bisschen… - schräg.
Seine Aufnahmeuntersuchung ist auch hauptsächlich neurologisch. Ich soll überwachen, ob er etwas falsch macht. Und da ich ja nun Ärztin bin, händigt man mir sogar meine Blutergebnisse aus. Andere freuen sich, wenn sie die bei der Entlassung sehen.

Gedankenverloren sitzt Du auf den Stühlen vor dem Arztzimmer. Jetzt will Dich auch noch die Oberärztin sprechen. Plötzlich spricht Dich eine vertraute Stimme von der Seite an. „Hallo Frau Mondkind. Ich habe im System gesehen, dass Sie heute aufgenommen wurden und wollte mal „Hallo“ sagen…“ Der „alte“ Psychiatrie – Oberarzt. Was für eine angenehme Überraschung. Du hättest ihn gern gefragt, warum das auf seiner Station nicht funktioniert hat und ihm nochmal dargelegt, dass Du eigentlich trotz des Examens immer noch Studentin aufgrund der Doktorarbeit bist und es ja dann laut seiner Aussage vom Dezember, auf seiner Station klappen müsste. Aber leider steht fast zeitgleich die Oberärztin der Station, auf der Du jetzt bist, im Türrahmen und möchte Dich sprechen. Vor ihr möchtest Du das nun nicht ausdiskutieren – sie muss ja nicht wissen, dass das ganz anders geplant war.

„Nach dem Examen rutscht jeder ein bisschen ab – das ist normal“, erklärt die Oberärztin wenig später und nimmt Dir den Wind aus den Segeln. Sie ist zwar nett, aber Du kannst ihr die Dimensionen der Sache überhaupt nicht klar machen. Schubladenstecken. „Überforderte Studentin“.
Viel Zeit plant sie aktuell nicht Dir zu geben und es wird ein schwerer Weg dem Team klar zu machen, wo der Hase im Pfeffer begraben liegt. Vor allem, weil Du es ja selbst nicht genau weißt. Du weißt nur, dass es nicht so einfach ist, wie viele sich das vorstellen.
Deshalb hattest Du diese Lücke zwischen Examen und Jobstart ja eigentlich nur lassen wollen, wenn der „alte“ Oberarzt Dich nimmt. 



Wochenende und Wochenanfang.
Die Tage schleichen. Ganz langsam. Die meisten derer, die sich um Besuch angekündigt hatten, sind nun doch sehr zögerlich. Weil Du ja im Igelmodus bist. Wenig reden kannst, wenig diskutieren kannst. Weil es vermutlich einfach anstrengend mit Dir ist.
Zum Glück bleibt wenigstens noch ein Freund, der vorbei kommt, Dich ein bisschen ablenkt, mit Dir ein bisschen über das Gelände geht.

Es ist ein merkwürdiger Zustand. „Konzentrations- und Auffassungsfähigkeit herabgesetzt“, hatte der Stationsarzt der Oberärztin sachlich zusammengefasst, nachdem Du bei seinem kleinen Gedächtnistest ein bisschen versagt hast. Und das, wo Du ihn auf der Neuro unzählige Mal selbst durchgeführt hast und die Aufgaben eigentlich auswendig kannst… - konntest.

Wenn Du keine Therapien hast, überfordert Dich die freie Zeit. Weil Du so viel machen willst, aber nichts machen kannst. Ein Buch lesen funktioniert nicht. Ebenso wenig kannst Du Dich aufraffen, eine Serie zu schauen, die Dir ein Freund mitgegeben hat.  Eigentlich müsstest Du mal auf die Einkaufsstraße und ein paar Dinge besorgen. Aber auch das ist zu anstrengend. Es geht einfach nicht.

Und wenn Du Therapien hast – was bisher nicht viele waren, aber das ändert sich in den nächsten Tagen – dann überfordert es Dich, dort anwesend sein und aufpassen zu müssen.

Du hattest wenige Möglichkeiten zu reden in den letzten Tagen. Eigentlich hättest Du gestern auch einen Termin bei Deiner Therapeutin gehabt. Wenn die Suizidgedanken nicht zu stark geworden wären – vielleicht wäre das besser gewesen, weiterhin draußen zu sein. Da hättest Du zumindest jemanden gehabt, der ein bisschen Zeit für Dich gehabt hätte. Hier wartest Du immer noch, dass Dir jemand Raum zum Reden gibt. Und langsam ist Dein Kopf so müde und so voll von den Milliarden von Gedanken und Sorgen, dass da auch nichts mehr den Weg in den Raum findet.

Und langsam fragst Du Dich, wie die Zukunft aussehen soll. Irgendwie bist Du so leer. Und irgendwie ist das doch alles sinnlos, wenn es so wenig gibt, das eine Resonanz in Dir auslösen kann.
Den Körper stresst es auch, dass Dein Hirn verzweifelt einen Anker sucht und keinen findet. Blutdruck wieder irgendwo im Nirwana und 1,5 kg abgenommen in vier Tagen. Und müde bist Du. Einfach nur noch unerträglich müde.

Ein bisschen was soll diese Woche noch passieren. Einen Einzeltherapeuten sollst Du noch bekommen und eine Bezugspflege. Und der morgige Tag ist ziemlich vollgepackt mit Therapien. Ich hoffe, dass es besser wird. Dass die Zweifel, ob ich überhaupt hier sein darf und ob das alles sinnvoll ist weniger werden und der Zuversicht ein bisschen Platz machen.

Mondkind

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