Chefarztvisite, Fortbildung und die Helferleins


20 Uhr. Zu Hause. Endlich.
Ich bin so müde, dass ich gar nicht mehr scharf sehen kann. Nur der Druck… - der muss irgendwo hin.

„Sag mal Mondkind, hattest Du Nachtdienst?“, begrüßt mich die Arzthelferin. „Nein…“, entgegne ich. „Du siehst ein bisschen fertig aus…“, sagt sie. „Noch ein bisschen müde“, entgegne ich. Wobei man das „noch“ aus dem Satz streichen könnte. Grundsätzlich müde. Von allem. Und die Kopfschmerzen haben seit gestern Abend auch nicht aufgehört.

Bis 10 Uhr wird auf Hochtouren die Visite vorbereitet. Der Oberarzt scheint mittlerweile auch mitbekommen zu haben, dass ich davor immer ein bisschen sehr viel Angst habe und wenn er Zeit findet, dann kommt er manchmal vorher kurz vorbei und möchte von mir eine Mini – Patientenvorstellung. Das funktioniert heute gut – ich habe alle Befunde gelesen, in Stichworten notiert, Konsequenzen daraus gezogen und offene Fragen zu einer To – Do – Liste verwandelt.
Zwischendurch hat ein Patient eine Pause im EKG – die Monitore geben Asystolie – Alarm, aber nach wenigen Sekunden springt er wieder an. Bloß gut.
Dennoch rufe ich sofort den Kardiologen, dass er heute noch vorbei kommt. Der Herr war mit seiner Herzfrequenz schon in den letzten Tagen sehr niedrig, den Beta – Blocker habe ich schon pausiert – aber das ist jetzt natürlich zu viel.

Visite. Klappt echt gut. Trotz meiner Patientin, die nicht mehr ein vernünftig durchgängiges Gefäß hat – da wird der Chef meist fuchsig. Und meiner Patientin, bei der sich irgendwie niemand festlegen möchte, ob die jetzt palliativ wird, oder nicht. Nach der Visite weiß ich es immer noch nicht. Beobachten. Wie sie sich von ihrer Lungenentzündung erholt. Ob sie sich erholt.

Nachmittag.
Briefe schreiben, Briefe korrigieren, ein paar Aufklärungen machen, damit für morgen so wenig wie möglich übrig bleibt. Und dann stellt sich heraus – es gibt eine Fortbildung und in der Mail dazu stand ich nicht im Verteiler. Also wird es wieder nichts damit, früh nach Hause zu gehen.
Nachdem der Kardiologe bei meinem Patienten noch eine Indikation zur Schrittmacherimplantation gestellt hat und ihn morgen nach Abschluss der neurologischen Behandlung übernehmen möchte (also noch ein Brief morgen bis zum Nachmittag schreiben… ), düse ich in die… - eher weniger spannende Pflichtfortbildung.

Heimweg...


Kurz vor 20 Uhr. Endlich heim.
Der spannende Moment kommt  immer ein bisschen, wenn ich auf dem Heimweg bin und das Handy wieder aus dem Flugmodus hole. Was war los den Tag über?
Meistens finde ich ein paar Sprachnachrichten einer Freundin, die ab 18 Uhr immer mal antestet, ob sie schon durchgestellt werden und gegen 20 Uhr meist los legt mit „Mondkind, Du bist immer noch auf der Arbeit…?!“
Eher weniger schön ist heute eine Nachricht des Seelsorgers. Eigentlich hatten wir für morgen noch einen Termin – der wäre auch irgendwie noch ganz schön gewesen, bevor es eben nächste Woche auf die Fortbildung geht. Weil mir das – neben der Tatsache, dass ich noch nicht weiß, woher ich die Kraft nehmen soll – so viel Angst macht. Jedenfalls hat er leider keine Zeit – was schade, aber okay ist. Kann passieren. „Wenn Sie auch ohne die Gespräche zurecht kommen, dann freut mich das.“ Vermutlich zielt dieser Teil der Nachricht darauf ab, dass ich Sonntag nicht da war… - nur leider zieht er jetzt die falschen Konsequenzen. Ich bin ja nicht deshalb nicht hin gegangen, weil es mir so gut ging, sondern weil es mir so schlecht ging. In der Nachricht folgt der Rat, dass ich mir dennoch eine psychologische Betreuung suchen sollte. Wenn das so einfach wäre… Und, dass ich vielleicht in der Reha arbeiten sollte…
 Und obwohl das mit dem Helfersystem im Moment alles schwierig ist und ich nicht weiß, wie ich damit weiter verfahren möchte (hauptsächlich, weil ich nicht möchte, dass sich irgendwer Vorwürfe macht, wenn ich in drei Wochen keine Lösung habe) – aber das hört sich irgendwie sehr nach einem Ende an. Finde ich.
Tatsächlich tut es weh. Irgendwie. Das war nicht die Intention... Aber es passiert immer wieder, wenn man Menschen versetzt.

Und egal, was ich mit dem Helfersystem auch vor habe, oder auch nicht: Es bricht auseinander. Der Seelsorger kann nur zu christlichen Zeiten und die Frau Therapeutin nimmt Anrufe auch meist am frühen Nachmittag entgegen. Der Einzige, mit dem man auch noch später reden kann, ist der Herr Klinik – Therapeut, aber der ist eben schwer beschäftigt. Da ist ein „Ich bräuchte jetzt möglichst bald ein Gespräch“ nicht umsetzbar. 
Insbesondere in der Notaufnahme ab dem nächsten Monat, wird dann - sofern es da noch eine Zukunft gibt - gar nichts mehr möglich sein, was vor 18 Uhr ist...

Plan für heute Abend: Duschen, kurz was essen, ein Hotel buchen (hoffentlich…) und ins Bett.
Und nicht denken. Einfach nur weiter. Vorwärts. Irgendwie.

Mondkind

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