Spätdienste, Überforderung und ein paar Gedanken


Irgendetwas passiert hier gerade. Wenngleich ich noch nicht so genau weiß, was.
Drei Tage Spätdienst liegen hinter mir. Die Station ist mal wieder absolut unterbesetzt. Wenn Einer krank ist, bricht das komplette System zusammen. Hatten wir diese Woche.

Und auch, wenn ich jetzt im Rahmen des Blog schreibens versuche zu reflektieren, was Mittwoch und Donnerstag alles passiert ist – ich weiß es nicht mehr. Da sind nur noch Bruchstücke. Ich weiß, dass ich zwischendurch bei den Internisten war, um eine Patientin zu sehen und nett begrüßt wurde, von den ehemaligen Kollegen. Dass ich Donnerstagabend noch ewig im Büro saß und Briefe geschrieben habe. Dass ich in der Notaufnahme stand und drei Telefone gleichzeitig geklingelt haben und ich nicht wusste, an welches ich zuerst gehen soll. Dass es eine schlechte Idee ist, sich auch nur wenige Minuten auf das Diensttelefon zu konzentrieren, weil ich dann augenblicklich Herzrasen bekomme in der Angst, dass der Stroke Alarm los geht.
Irgendwann muss sich das Denken ausgeschalten haben. „Einfach weiter Mondkind. Einfach weiter. Irgendwann ist es vorbei.“

Freitag. Freitag war dann wohl der Gipfel. Von allen Spätdiensten.
Ich wurde gebeten schon um 10 Uhr da zu sein. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, auf der Station eingesetzt zu werden. Aber der Oberarzt hat andere Ideen. „Mondkind, das ist jetzt ein bisschen Schock – Therapie für Dich, aber Du gehst jetzt in die Notaufnahme…“
Bisher war ich fast immer nur  „Zusatz“ in der Notaufnahme, wenn die aus allen Nähten geplatzt ist. Einen Nachmittag war ich mal länger dort – da hatte ich auch das Diensttelefon, aber der Oberarzt der Notaufnahme musste nicht auch noch die Stroke Unit betreuen und stand immer, wenn der Stroke Alarm los ging auf der Matte und hat die Patienten übernommen, sodass ich nur die hatte, die wegen Rücken- , der Kopfschmerzen oder Schwindel zu Fuß gekommen sind.
Heute sitze ich dort alleine. Ohne je einen einzigen Stroke Angel betreut zu haben. Schon als ich um 10 Uhr komme, ist die Notaufnahme voll. Zwei Patienten sollen mit Verdacht auf Schlaganfall auf die Station aufgenommen werden, eine Patientin liegt dort mit Verdacht auf eine Trigeminusneuralgie und eine Patientin sitzt noch mit Verdacht auf Meningitis im Wartebereich.
Es dauert keine fünf Minuten, bis mich ein Hausarzt angerufen hat und jemanden schicken möchte und… - der erste Stroke Angel – Alarm losgeht. Irgendwann ruft mich eine Schwester an. „Mondkind, sollen wir mit dem Patienten, wenn der kommt, sofort ins CT?“ „Wie macht Ihr das denn sonst immer?“ frage ich nach. „Na normalerweise machen wir das, wenn der Rettungsdienst die Hemisymptomatik bestätigt…“, gibt sie barsch zurück. „Okay, dann melde ich es an und direkt ins CT“, entscheide ich.  Wenig später klingelt das Telefon erneut. „Mondkind, kommst Du mal bitte schnell ins CT?“, fragt die Schwester. „Wo ist denn das CT überhaupt?“, frage ich. „Mondkind, das ist nicht Dein Ernst…?“, sagt die Schwester. Ich war schon im MRT. Aber noch nicht im CT. Sie holt mich völlig genervt ab. Und ich werfe einen Blick auf die Bilder. „Einfacher Schlaganfall“ wäre schließlich zu easy für den ersten Stroke Angel. Also gleich Blutung mit Ventrikelkompression und Mittellinienverlagerung. Dafür geht es dem Patienten erstaunlich gut. „Dann rufen wir wohl die Neurochirurgen an…“, sage ich. „Soll sie jetzt in den Schockraum, oder zu uns in die Notaufnahme?“, werde ich gefragt. Keine Ahnung… - eigentlich kann man so etwas schon in den Schockraum legen… Aber darf ich da einfach einen Patienten rein schieben, oder muss ich das irgendwo anmelden, oder was soll ich machen…? Ich rufe erstmal die Neurochirurgen an. Die beschließen Neuro – Notaufnahme und sagen, dass sie gleich dazu kommen. Während wir die blutverdünnende Therapie, die der Patient einnimmt antagonisieren, kümmert sich die neurochirurgische Kollegin um einen OP – Saal. Mittlerweile ist auch eine Neuro – Oberärztin aus der Ambulanz dazu gekommen, die etwas genervt ist, weil ich nicht allein zurechtkomme und ihre Arbeit liegen bleibt – was ich verstehen kann, aber ohne dass ich zumindest die Abläufe kenne, ist es mit der Notaufnahme eben schwierig.
Kaum ist der neurochirurgische Fall bearbeitet, geht der nächste Stroke – Angel – Alarm los. Diesmal ein Wake – Up – Stroke mit unklarem Zeitfenster – deshalb brauchen wir neben einem CT und einer Gefäßdarstellung noch ein MRT mit Missmatch.
Gegen kurz nach Mittag – als ich schon ein bisschen Übung habe – klingelt der Stroke Alarm innerhalb von fünf Minuten drei Mal hintereinander. Ich dachte, das sei ein Test. Aber nein… - im Tracker tauchen drei Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall auf – einer davon mit „unklarer Vigilanzminderung“.

Irgendwann am Nachmittag verliere ich den Überblick. „Heute ist Neuro – Tag“, erklärt die Arzthelferin. Weil die Neuro – Notaufnahme voll ist, werden die Patienten jetzt in den internistischen Bereich gelegt. Ich schicke zwischendurch eine Schwester los, um meine Patienten, die als Stroke Angel kamen, zu suchen. Die müssen ja sofort gesehen werden und viele davon brauchen erstmal eine Bildgebung vom Kopf.
Ich habe 11 Patienten gleichzeitig – davon mehrere Stroke Angel. Und weil freitags die Ärztin, die unsere Ultraschalls macht nicht da ist, muss ich die auch noch irgendwie rein schieben – oder Kollegen bitten, dass sie mir abgenommen werden.
Nebenbei hält mich eine Dame mit einem noch unklarem Schmerzsyndrom auf Trab, weil sie in der Notaufnahme sehr schmerzgeplagt ist und ich ihr irgendetwas geben muss, damit sie sich ein bisschen beruhigt und nicht noch gleich dazu, alle anderen Patienten nervös macht. Bei ihr muss ich später auch eine Lumbalpunktion noch in der Notaufnahme machen, was heute fast zur Nebensache wird, weil alles was sonst noch passiert, noch viel mehr Angst auslöst.
Ein anderer Herr kommt mit einer Einweisung vom Hausarzt. Er hat kürzlich ein MRT bekommen, in dem als Zufallsbefunde frische Schlaganfälle auftauchten und das soll nun abgeklärt werden. Da Lyse oder Thrombektomie bei ohnehin schon demarkierten Infarkten nicht mehr in Frage kommen, rücke ich den Patienten auf meiner Prioritätenliste etwas weiter nach unten. Der Oberarzt, der später vorbei kommt, findet das gar nicht lustig. „Wegen Euch gehe ich irgendwann in den Knast; der muss auf Station Mondkind…“ Was soll ich machen? Ich kann mich nicht teilen? Wenn er bei mir in der Notaufnahme liegt, ist er doch fast besser überwacht, als auf der Station…?

Pünktlich halb fünf steht der Frühdienst von der Station bei mir auf der Matte. „Mondkind… - Übergabe im Arztzimmer machen wir nicht mehr, oder wie?“, fragt er. „Doch, aber wie Du siehst, schwimme ich hier gerade. Schreib einen Zettel und leg ihn auf meine Tastatur…“, sage ich ihm. „Und ein schönes Wochenende…“

Es ist fast 20 Uhr, bis ich aus der Notaufnahme raus bin. 10 Stunden ohne Pause. Viel Unmut der Oberärzte. Viel Überforderung. (Wenn „mein“ Oberarzt Montag mitbekommt, dass Mondkind die Notaufnahme am Freitag absolut unterirdisch und chaotisch durch den Tag gebracht hat…)
Die nächsten vier Stunden verbringe ich damit, die abendliche Visite bei den 20 Patienten auf der Schlaganfall – Station zu machen und damit, alle Patienten aus der Notaufnahme zu dokumentieren. Es ist kurz vor Mitternacht, als ich das Licht im Arztzimmer lösche. 14 Stunden Anspannung und Angst.
Ein Brief ist immer noch übrig geblieben. Aber ich kann nicht mehr. Man verzeiht es mir hoffentlich, wenn ich den Montag schreibe.

Lange Krankenhausflure mitten in der Nacht...


Der Weg nach Hause.
Mondkinds Katastrophenhirn und der Versuch der Kollegen draußen, die Patienten möglichst schnell in der Notaufnahme unter zu bekommen, passen so gar nicht zusammen.
Wenn in der Anmeldediagnose „unklare Vigilanzminderung“ steht, bekomme ich fast einen Herzinfarkt. Das kann natürlich eine simple Exsikkose sein, das kann aber auch heißen: Basilaristhrombose mit Koma. Und dann muss es so richtig schnell gehen – sonst stirbt der Patient halt. Der Rettungsdienst schreibt eben grundsätzlich die Katastrophen – Diagnosen rein. Und dann hört man: „Ja, der Patient wurde bewusstlos (ob das dann wirklich bewusstlos war, ist mal so die Frage…) aufgefunden, aber nachdem wir ihm dann vor Ort einen Liter Flüssigkeit über die Vene gegeben haben, war er schon wieder ganz der Alte…“ Dann soll man doch bitte in die Anmeldediagnose schreiben „Zustand nach unklarer Vigilanzminderung“. Dann weiß jeder: Muss abgeklärt werden – aber die nächste Blutung hat vielleicht doch Vorrang.

Irgendwo unter einer Laterne bleibe ich auf dem Heimweg stehen.
Schaue auf die kleine Stadt am Fuß des Berges. Es ist ganz still. Kurz nach Mitternacht am Samstagmorgen.
Ich spüre mich ein Mal tief einatmen. Das Herz, das langsam zurück in den Takt findet. Die bleierne Müdigkeit, die kommen wird, wenn der Adrenalinspiegel noch ein bisschen fällt.
„Soll das jetzt hier das Leben sein?“, frage ich mich.
Langsam gehe ich weiter. Erinnere mich.
So, so lange war das hier das Ziel. So lange war ich der Überzeugung hier zu finden, was ich suche. Dass der Job alles überschatten wird, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen sich nicht so entwickelt werden wie erhofft, war immer eine Angst im Hintergrund, aber wirklich damit beschäftigen, wollte ich mich nie. Seit Anfang 2016 war das hier die Idee einer Lösung. Und da daran auch immer ein Vorankommen im Studium geknüpft war, war da auch immer viel Angst, die mich durch die letzten Jahre getrieben hat. Was ist, wenn ich nicht gut genug bin? Wenn ich die Prüfungen nicht schaffe? Das Staatsexamen? Dann steht nicht nur die Prüfung, das Studium, sondern auch irgendwie die einzige Idee einer Zukunft, die ich hatte und damit indirekt die Existenz auf dem Spiel.
Es gab selten Momente ohne Angst. Selten Raum zum Atmen. Mir ist letztens mal die Überlegung gekommen, dass das vermutlich eigentlich nur in der Psychiatrie der Fall war. Zumindest, als dann geregelt war,  dass von der Pause davon immer leisten zu müssen, nicht die Zukunft kaputt gehen wird. Ich vermisse das wirklich, morgens mal ohne eine beklemmendes Gefühl aufzustehen.
Es gibt Momente, die bleiben. Die ganz klein waren, deren Bedeutung ich vielleicht in dem Moment auch gar nicht verstanden habe, aber die im Nachhinein irgendwie Sinn machen. Ich kann mich noch an meine erste Achtsamkeitsstunde erinnern. Wir lagen auf dem Boden auf Matten und weil es etwas frisch war, hatte ich noch eine Decke über mich gelegt. Dann sollten wir in unseren Körper hinein spüren und nach diesem langen Hin und Her, ob es mit der Klinik klappt und neben der Tatsache, dass ich das noch meinen Eltern würde erklären müssen, war das der erste Moment, in dem ich loslassen konnte. „Mondkind, Dir kann nichts passieren. Du musst nichts leisten, Dein Kopf kann Dich in den nächsten Tagen, oder Wochen nicht umbringen, wenn Du es schaffst, zu reden. Du musst keine Angst mehr haben. Du bist ganz sicher…“ Ich kann mich noch erinnern, dass mir nach dieser Erkenntnis erstmal etwas schwindelig geworden ist und ein paar Tränen ihren Weg in meine Augen gefunden haben.  Bezogen auf die letzten Jahre waren solche Tage zählbar.
Und wenn man bedenkt, dass wir dieses Leben nur ein Mal haben, dann tut das wirklich weh. Es ist doch nichts Unmögliches, das ich mir wünsche. Einfach nur ein bisschen „sein“ zu können. Vermutlich wird das immer eine besondere Erfahrung bleiben.

„Mondkind, was machst Du eigentlich, wenn das alles nicht klappt…?“. Eine Frage, die ich eigentlich nie beantworten wollte. Und viele haben gesagt, dass es schon gehen wird. Selbst in der Klinik hieß es, ich solle erstmal machen…
Ich kann mich noch erinnern, dass ich in der Examenslernzeit häufiger am Schreibtisch saß und mir dachte: „Das ist zwar irgendwie auch kein Leben, aber wer weiß… - vielleicht werde ich mich irgendwann dahin zurück sehnen, hinter den Fensterscheiben zu beobachten, wie Frühling wird, weil ich zumindest keine Patienten umbringen konnte und ja „nur“ lernen musste…“
Wie wahr…

Und dennoch hat man große Pläne für Mondkind in der Neuro.
Ich glaube… - ob ich wirklich zwei Monate Notaufnahme schaffen kann (wie ich es vor nicht allzu langer Zeit mal in einem Blogpost postuliert habe), das überlege ich mir nochmal.
Und danach… - Epilepsiestation. Ich habe letztens nochmal mit dem Oberarzt geredet, der sie dann leiten soll. „Mondkind, Du musst Dich da schon vorbereiten. Ich mache das nur mit motivierten Leuten. Das Buch solltest Du vorher auch durcharbeiten und Du musst auf jeden Fall auf eine Fortbildung…“ Das Buch, das er mir empfohlen hat, ist ein 600 – Seiten – Wälzer. Ich habe es sogar schon versucht zu besorgen, aber es ist überall aktuell vergriffen. Aus Interesse habe ich mal nachgeschaut – in der Studienstadt steht es in der Bibliothek. Früher wäre ich hin gefahren und hätte mich in die Bibliothek gesetzt…  Ein seltsamer Stich ins Herz, dass das nicht mehr geht.
Und das mit der Fortbildung… Verreisen, Menschenmassen, unbekannte Städte… - ist mit psychischer Instabilität nicht die beste Idee. Erstmal muss ich das überhaupt beantragen – die Fortbildung ist ja in nicht mal einem halben Monat. Wobei ich mir auch eine andere suchen kann, aber ohne Auto durch halb Deutschland… - das wäre jetzt schon praktisch, das ist nicht so weit. Ich werde es Montag versuchen, mit der Sekretärin zu klären. ("Mondkind, das ist, weil Du kein Auto hast", höre ich schon wieder die Vorwürfe aus dem off. Und ja, hier geht nichts vorwärts, weil da einfach keine Energie ist. Und die Glühbirnen, die hier auch nach Monaten noch nackt von der Decke baumeln, sind vielleicht eines der wenigen Indizien, dass es doch schwieriger bei Mondkind ist, als man vermutet...)
Fakt ist aber, dass ich bis Mai Epilepsie können muss. Wie auch immer ich das anstellen soll. Neben diesen viel zu langen Arbeitstagen bleibt fast nichts mehr übrig.
„Weiter Mondkind. Einfach weiter. Jeden Tag. Irgendwie. So lange es eben geht. Und nicht zu viel darüber nachdenken, wann der Moment kommt, an dem es nicht mehr geht. Noch ein paar gute Tage sammeln. Vielleicht.“

Das Herz meint schon lange, dass das so nicht mehr geht. Dass wir so nicht weiter machen können.
Auch, wenn alle das anders sehen. Auch, wenn der Herr Oberarzt letztens meinte, dass ich mich ja wohl gut eingelebt habe. Vielleicht würde das demnächst auf der Stroke Unit passieren. Wenn ich bleiben dürfte. Wenn ich nicht gehen müsste, kaum dass ich ein bisschen weiß, wie der Hase läuft. Auch, wenn man meint, dass die Mondkind alles machen und alles schaffen kann.
Es ist zu viel für eine Mondkind. Die nur einen Ort finden möchte, an dem sie bleiben darf, einen Job, der ihr keine Angst macht, und Menschen, die sie in ihre Mitte nehmen.
Nur der Kopf. Hat Angst. Angst das einzusehen. Irgendwo ganz alleine, irgendwo mitten in Deutschland; irgendwo ohne irgendwen, der das auffängt und hilft eine neue Orientierung zu schaffen. Schaffen wir das denn nochmal? Nachdem wir so viel Energie schon investiert haben?

Das trifft mal den Nagel auf den Kopf...


Es war doch nur die Suche nach einem zu Hause. Die mich hierher geführt hat. Und allmählich kann ich eigentlich nicht mehr anders als einzusehen, dass ich viel mehr verloren, als gewonnen habe.

Mondkind

Kommentare

  1. 1. Möchtest du denn die Epilepsiestation aufbauen und wenn ja, warum?
    2. Die "nett gemeinten" Wochenendschichten mögen ja von schlimmen Gedanken ablenken, aber wäre es nicht auch eine Idee, sich (verpflichtend) am Wochende anderen Dingen zu widmen als Medizin (Freundin herbestellen und zusammen Workshop machen zb, etc.)?
    3. Was müsste passieren bzw wie müsste dein Alltag gestaltet sein, dass er sich mehr nach Leben anfühlt?
    (Am Rande: Ist es rechtlich zulässig, eine Assistenzärztin alleine in die Notaufnahme zu stellen?)

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    1. Zu 3.
      Auf jeden Fall einen Job ohne so viele Ängste. Im Prinzip drückt es ja auf der Arbeit von zwei Seiten. Das Eine ist das Wohl der Patienten, das Andere ist, dass alles in Zahlen messbar ist. Wann kam der Patient zur Tür herein, wann hatte er seine Bildgebung, wann hing die Lyse – Therapie? Und das alles landet auf dem Schreibtisch des Chefs. Die Angst nicht genug zu sein, ist massiv.
      Ich glaube auch, dass ich etwas bräuchte, hinter dem ich mehr stehe. Gerade in letzter Zeit merke ich, dass ich mir oft denke: „So hast Du das ja nie gewollt. Du wusstest doch immer, dass Medizin nichts für Dich ist…“ Jetzt ist das ja nicht so einfach, mal schnell ein neues Studium anzufangen und die Uhr mal quasi sieben Jahre zurück zu drehen, ich denke mir aber immer mehr, dass ich mich vielleicht doch in den Psychosomatik- / Psychiatrie – Bereich orientieren sollte – oder das zumindest ein Versuch wert wäre. Das wäre zwar immer noch Medizin, kommt aber einer meiner damaligen Ideen, Psychologie zu studieren, näher. Ich denke auch (aber ich weiß es nicht, bin kein Psychiater), dass es dort vielleicht noch mehr verlässliche Routinen gibt, als in der Neuro – insbesondere als im Neuro – Notfallgeschäft, das mich noch arg an die Grenzen bringen wird. Das ist eben auch etwas, das ich dringend brauche. Keine Überraschungen, immer die gleichen Routinen. Und dennoch wäre ja selbst für den „Psycho – Sektor“ ein Jahr Neuro Voraussetzung, also mache ich da noch nichts falsch – ich muss es nur aushalten.
      Und einer der wichtigsten Dinge: Ein stabiles, privates Umfeld. Da kann man natürlich viel selbst dran arbeiten – und ich versuche es ja auch – aber letzten Endes kann man das nicht allein schaffen. Entweder da ist hin und wieder ein Mensch, wenn man nach Hause kommt, oder eben nicht. Gesehen, angenommen, akzeptiert zu werden, einen festen Platz zu finden ist für mich aktuell viel wichtiger, als der beste Job der Welt das sein könnte.

      (P.S. Formal gibt es in der Notaufnahme einen Oberarzt - das war nur Freitag total blöd, weil der auf einer anderen Station Vertretung machen musste und sich ja nicht teilen kann. Er hat mir schon versucht zu helfen und ich konnte ihn auch anrufen. Es ist trotzdem eine ungünstige Situation, wenn ich meinen ersten Tag als Assistenzärztin in der Notaufnahme habe und er nicht so greifbar ist, wie ich es brauche. Und gerade in der Neuro ist das alles hochsensibel, weil es da eben so krass um Zeit und Formalitäten geht - bei den Internisten kam ich ja gut zurecht in der Notaufnahme, aber mit diesem Druck und diesen ständigen Notfall - Alarmen...
      Jetzt habe ich halt noch mehr Angst vor dieser Notaufnahme - Zeit. Gar nicht mal unbedingt davor, dass da große Katastrophen passieren - im Notfall hilft schon irgendwer und merkt anschließend an anderer Stelle an, dass man ziemlichen Mist in der Notaufnahme baut. Sondern davor, dass ich das einfach psychisch nicht schaffe. Ich wusste ja Freitagabend schon nicht mehr, was ich Mittwoch und Donnerstag überhaupt gemacht habe).

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  2. Danke erstmal für den Kommentar und die Gedankenanregungen. Dann möchte ich mal versuchen, auf die Fragen einzugehen.

    Zu 1.
    Im Prinzip ist das Projekt schon interessant und so als ersten Impuls: Ja, würde ich gern tun. Und ich glaube auch, dass es mich – auch wenn es schon ein recht spezialisiertes Gebiet in der Neurologie ist - voran bringen kann. Epilepsie und EEG sind für mich immer noch ein Mysterium, allerdings meiner Auffassung nach essentiell für eine Neurologin. Denn wenn ein Neurologe kein EEG auswerten kann – wer dann? Allerdings hat der Chef eben nicht Unrecht, wenn er sagt, dass es weitaus geeignetere Leute gäbe, als mich. Zum Beispiel welche, die schon eine Weile in der Neuro arbeiten und beim EEG nicht völlig bei Null anfangen. Dass ich zuerst gefragt wurde vom Oberarzt und man mich für motiviert genug hält, ehrt mich zwar schon ehrlich gesagt, aber das große Problem ist, dass ich massive Angst habe, den Anforderungen bis Mai nicht gerecht zu werden. Wann soll ich denn nebenbei noch EEG lernen? Unter der Woche habe ich meinen „Halbtagsjob“ und am Wochenende brauche ich vielleicht mehr Zeit als andere zum Reflektieren und mich auszuruhen, weil die Woche unter Hochspannung und Angst eben extrem anstrengend ist. Ich mache ja schon was ich kann, aber das wird trotzdem nicht reichen, wenn ich nicht langsam mehr lerne. Und gerade ab meinem Einsatz in der Notaufnahme wird die freie Zeit noch weniger werden, weil ich noch mehr arbeite. (Man unterschätzt gewaltig, wie lange die Dokumentation nach dem Tag noch dauert…)
    Zusammenfassend also: Ja, ich möchte das gerne machen. Aber mich grätscht eben so richtig die Angst dazwischen und es stresst mich extrem, auch daran scheitern zu können.

    Zu 2.
    Das wäre eine gute Idee. Allerdings hat die zwei Haken. Zum Einen habe ich keine Freunde, die hier mal so eben um die Ecke wohnen und mal schnell vorbei kommen können. Das sind knapp 400 Kilometer – da muss jeder Besuch schon gut geplant sein.
    Zum Anderen: Siehe Punkt 1. Im Moment komme ich wieder in diese Schleife rein das Gefühl zu haben jede freie Minute „sinnvoll“ investieren zu müssen und alles andere sind „verbotene Tätigkeiten“. Wenn ich dann so gar nicht mehr zur Ruhe komme bringt mich das auch nicht weiter, das ist mir bewusst, aber das sind eben ganz alte Muster, die immer dann sehr stark werden, wenn ich sehr gestresst damit bin etwas erreichen zu müssen, von dem ich glaube, dass ich dem nicht gewachsen bin. Im Moment schaffe ich das nicht mal, mit allen Freunden reihum ein Mal kurz zu telefonieren.
    Wobei ich es dann – wenn wirklich wer hier wäre - auch vorziehen würde, am Wochenende irgendwo Kaffee trinken zu gehen und die Seele baumeln zu lassen. Es gab einen einzigen Sommer unmittelbar nach dem ersten Klinikaufenthalt ( - das müssen die Nachwirkungen gewesen sein), in dem ich mit einem Freund am Wochenende oft im Café war. Das war echt immer ganz nett und für mich eine völlig neue Erfahrung. Das würde ich gern mal wieder machen.

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