Das Ende der Stroke - Karriere


Die Stroke – Karriere neigt sich heute dem Ende. Und ich bin krank. Schüttelfrost, Schnupfen, Kopf- und Ohrenschmerzen. Die Kollegen haben mir den Rest meiner Arbeit abgenommen, unter sich verteilt und mich pünktlich heim geschickt. Das erste Mal dieses Jahr, dass es noch hell ist und ich die letzten Ausläufer des Tageslichtes mitbekomme.

Ein komisches Gefühl. Im Arztzimmer zu sitzen, während diskutiert wird, wer meinen Schreibtisch bekommt. Zu hören, dass die Besetzung in der nächsten Woche sehr schlecht ist, aber man es wohl ohne mich schaffen muss. Und schaffen wird.
Und nachdem ich bei all den Planungen an diesem Nachmittag lange nicht Zentrum der Aufmerksamkeit war, wendet sich der Kollege, der für jeden blöden Spruch zu haben ist an mich: „So Mondkind… - Du kannst uns jetzt schon mal verraten, wo Du dann nächste Woche vergraben werden möchtest…“ „Na so schlimm wird es schon nicht werden…“, entgegne ich mit einem Lachen, während es mir seltsam das Herz zerreißt. Einer von seinen unbedachten Sprüchen, wie wir sie zu Hauf im Lauf des Tages hören. Niemand glaubt, dass das wirklich passieren könnte. 



***
Es war zwar viel zu tun diese Woche, aber dennoch ging es relativ ruhig zu.

Eine Geschichte war im Nachhinein irgendwie doch ganz goldig. Wir hatten diese Woche eine Patientin bei uns, die in einem Delirzustand kam. Tagelang wusste sie nicht, wer sie war und wo sie ist; war völlig durcheinander, wurde vom Pflegepersonal mehrfach desorientiert auf der Station aufgesammelt, nachdem sie sich die Kabel des Monitorings entfernt hatte. Dann sprach sie von Männchen, die an der Decke herum laufen und  von schwarzem Rauch, der aus den Lüftungsanlagen gekommen sei.
Heute war ihr erster klarer Tag und sie erzählte uns, was ihr passiert war. Sie habe Angstzustände in den letzten Wochen gehabt und sei deshalb beim Arzt gewesen. Und der habe ihr dann so kleine, weiße Tabletten verschrieben – Benzodiazepine, wie wir später herausgefunden haben. Davon habe sie dann eine genommen. Und dann sei es ihr ganz komisch geworden. Sie habe Schwindel gehabt, sei über ihren Sessel gefallen und habe das Gefühl gehabt, nicht mehr klar denken zu können. Da habe sie halt noch ein paar mehr genommen in der Hoffnung, dass der Schwindel und die Benommenheit dann weniger werden. Was sie nicht wusste war, dass genau diese Symptome sich dadurch potenziert haben und sie sich am Ende ins Delir katapultiert hat.
Selbst der Oberarzt musste ein Mal kurz schmunzeln und wir entließen sie mit dem Rat, diese Tabletten nicht mehr einzunehmen.

Gestern habe ich meine vorerst letzte Verlegung von der Station organisiert. Ein Mann mittleren Alters, der zu uns mit dem Verdacht auf einen Schlaganfall kam. Bei weiteren Nachforschungen hat sich heraus gestellt: Der Mann hatte einen Hirntumor und wurde letztes Jahr operiert. Danach hatte er Strahlentherapie und steht aktuell immer noch unter Chemotherapie. Und so sehr wie ich ihm einen leichten Schlaganfall auch wünschen würde, weil das Outcome für ihn besser wäre – er selbst glaubte auch fest daran – hatte ich doch den Verdacht, dass es die alte Tumorgeschichte war, die ihn hierher gebracht hatte. Es stellte sich heraus, dass er erst letzte Woche ein MRT hatte. Die Bilder hatte sich noch keiner in der externen Radiologie angeschaut. Also habe ich viel telefoniert und dann am Ende der Befund: Tumorrezidiv. Also wieder eines dieser Gespräche, für die man einen Stuhl an der Bettkante, viel Zeit und viel Geduld braucht. Und danach Telefonate mit der Neurochirurgie, in der er in Behandlung ist. Verlegung organisieren. Dann musste die Zielklinik auch erst viel intern klären und nach unzähligen Telefonaten und zwei Stunden später, hatte ich die Erlaubnis für den nächsten Morgen. Also noch Tumor – Ödem – Therapie starten, Verlegung organisieren und Brief schreiben. Um 20 Uhr war ich fertig – vier Stunden hatte mich das alles insgesamt gekostet.
Ich hätte es auch irgendwann dem Spätdienst übergeben können. Aber ich wollte, dass der Mann so schnell wie möglich die Therapie bekommt, die er braucht. Und beim Spätdienst weiß man nie, was da noch alles passiert im Lauf des Abends. Eine kardial instabile Patientin hatten wir schon – da habe ich es lieber selbst gemacht um zu wissen, dass es klappt.
Und am Ende des Tages wieder die Frage: Wie viel Zeit hat er wohl noch. Wieder habe ich gehört, was er noch für Pläne hat. Was er doch so alles machen wollte nach der Tumorgeschichte. Warum gibt es Menschen, die so viele Ideen haben, so viel Lebenslust und Energie und warum können diese Menschen einfach nicht leben? Es ist einfach nicht gerecht… 



***
Eigentlich hatte ich mich diese Woche noch mit dem Seelsorger treffen wollen. Das hat nur leider nicht geklappt, weil uns der Chef am Morgen des Tages, an dem das Treffen stattfinden sollte eröffnet hat, dass es da in den späten Nachmittagsstunden eine Fortbildung der Neurochirurgen gibt, wo wir bitte alle hinsollen. Wenn es sein muss, dann kann man diese erste Ansage noch ignorieren. Wenn es aber während der Visite nochmals gesagt wird, dann muss man dahin.
Ich rufe ihn noch an, um ihn zu informieren, dass es nichts wird. Ich hasse diese Anrufe. Auch, wenn er mich am Telefon dafür mittlerweile nicht mehr ganz so sehr verurteilt weiß ich, was er davon hält. „Sind Sie eigentlich nicht in der Lage, verbindliche Termine zu machen?“, fragte er irgendwann zuletzt mal. Nein, in diesem Job wirklich nicht. Und ich hasse das selbst total, weil ich da eigentlich auch pingelig bin und sehr darauf bestehe, dass man sich an Abmachungen hält. Ich soll mich melden, wenn ich weiß, wie der Hase in der Notaufnahme läuft und wann ich mal ein Zipfelchen Zeit finden könnte. „Damit Sie nicht durchs Raster rutschen“, sagt er. Und so insgeheim frage ich mich, ob das nicht schon längst passiert ist.
Es ist später am Abend desselben Tages. Das Telefon steht schon auf der Ladestation, mich haben die Ereignisse ziemlich genervt, weil dieser Termine wirklich wichtig gewesen wäre und irgendwie möchte ich nach Hause. Das Telefon klingelt. Externe Nummer. „Wer von den Schwestern hat schon wieder ungefragt meine Nummer weiter gegeben?“, denke ich mir. Ich überlege, nicht dran zu gehen. Und dann denke ich mir: „Vielleicht ist es etwas, das ich klären muss. Vielleicht stehe ich sonst morgen blöd in der Visite da.“ Ich gehe doch dran. Und dann habe ich plötzlich den Herrn Therapeuten in der Leitung. Eine angenehme Überraschung – eigentlich hatte ich das so verstanden, dass unser Telefon – Termin erst in der Woche danach ist. Ich bin nicht vorbereitet auf dieses Gespräch und vermutlich wäre das wirklich nötig gewesen. Wir reden viel. Aber so richtig traue ich es mich nicht zu sagen, dass hier gerade die absolute Katastrophe passiert. Es geht um die Klinik. Wie so oft. „Frau Mondkind – wir diskutieren hier ganz viel darüber, was wer denken würde und was mit dem Job passieren würde im Fall, dass Sie in die Klinik gehen, aber eigentlich geht es hier um nicht weniger, als um Ihre Gesundheit…“ Danach ist es erstmal eine Weile still in der Leitung. Was kann man dazu schon noch sagen? Da müsste man ja einsehen, dass man krank ist. Was ich persönlich nicht so richtig kann und auch gesellschaftlich ist das ja ein großes Problem. Niemand würde einen früher heim schicken, weil es eine psychische Krise gibt, aber mit ein bisschen Schnupfen ist das plötzlich, völlig ungefragt, alles kein Problem. „Frau Mondkind – ich kenne Sie ja nun auch ein bisschen und Sie kennen sich auch. Das würde Ihnen auch nichts bringen, wenn ich Ihnen sagen würde, dass Sie in die Klinik kommen sollen“, sagt er, als ich erkläre, dass ich für die Entscheidung ein bisschen Druck bräuchte. Am Ende war es gut alles ein Mal gesagt zu haben und gehört zu haben, dass ein „Funktionieren“ eine Depression nicht zwingend ausschließt (was ich schon selbst weiß, aber was ich doch hin und wieder mal hören muss) – nur weiter gekommen sind wir nicht. Und immerhin ist genau jetzt nichts so dringend nötig, wie Lösungen.  Ich soll mich melden nächste Woche.
Die Therapeutin… - habe ich gar nicht mehr erst kontaktiert. Sie hat schon zu viele Umbrüche mit mir erlebt. Zu oft die Panik – Mondkind gehabt, dass sie das wahrscheinlich nicht mehr wirklich ernst nehmen kann. Weil es eben am Ende doch immer ging.

Heute sitze ich – unterbrochen vom ständigen Klingeln seines Telefons – zum vorerst letzten Mal kurz beim Oberarzt. „Mondkind, Du brauchst einen anspruchsvollen Job. Und Du musst das hier mal mindestens zwei Jahre machen und über alle Abteilungen rotieren, ehe Du sagen kannst, ob der Job etwas für Dich ist, oder nicht…“ Na super. Er hat absolut nicht verstanden, wie hoch der Leidensdruck ist. Und weiter: „Mondkind, ich glaube, das jetzt für Dich genau der richtige Zeitpunkt ist, um in die Notaufnahme zu rotieren. Ich finde das gut…“ Naja… - immerhin erlebt er nicht die ununterbrochenen Ängste.
Funktionieren würde es schon irgendwie. Nur, ob man sich das unter den Umständen nochmal geben muss…

Ich räume meinen Schreibtisch auf. Ein letztes Mal. Ab Montag sitzt hier wer anders.
Und jetzt… - jetzt ist es nicht nur einfach eine Rotation. Es ist so viel, das hier gerade zu Ende geht. Mehr, als eine Mondkind tragen kann. Jahrelang habe ich für diese paar Monate gekämpft, die da jetzt hinter mir liegen. Eisern die Hoffnung durch die dunkelsten Zeiten getragen. Immer in der Hoffnung, dass es ganz am Ende gut wird. Dass es sich lohnt. „Ich höre mir diese ganze Geschichte mit sehr viel Sorge an“, sagte die Oberärztin in der Psychiatrie mal. Und fast war ich damals etwas böse über diesen Kommentar. Weil ich wusste, dass sie Recht hatte. Aber ich wollte keine Sorge und keine Zweifel hören. Niemanden, der die Hoffnung auf ein zu Hause gefährdet.
Heute gehe ich den Berg hinter der Klinik hinab. Schaue auf die Landschaft, die langsam in der Dunkelheit versinkt. Getaucht in ein weiß. Heute weiß ich, dass sie Recht hatte. Und ich damit jetzt nicht nur die Station als vertrautes Gefilde verliere, in dem ich über die Monate gelernt habe mich zurecht zu finden und die ersten Schritte im Arztleben gemacht habe, sondern durch die neuen Arbeitsbedingungen in der Notaufnahme auch viel therapeutischen Rückhalt verliere und vor allen Dingen die Idee von einem zu Hause verliere. Die Monate haben nicht gereicht, um etwas zu bauen, das trägt. Wir werden uns nicht mehr regelmäßig sehen. Nichts mehr generieren können, wenn wir monatelang viele Stunden Zeit am Tag auf der Station miteinander verbracht haben und es nicht funktioniert hat.
Heute stehen wir dort, wo wir irgendwann 2016 mal waren. Mit dem Rücken zur Wand. Damals – kurz bevor ganz unverhofft nochmal ganz viel Hoffnung in mein Leben kam. Ich wusste immer, dass das hier auch ganz arg schief gehen kann. Aber das war nie der Fokus.
Heute weiß ich, dass es nicht geklappt hat. Dass wir viele Jahre dieses Licht getragen haben. Unglaublich viel Energie, Hoffnung und Mut verbraucht haben. Und es doch nicht gereicht hat. 

Erinnerungen...

„Mondkind, Du lachst so viel diese Woche“, sagt der Oberarzt am Mittwoch.
Interessantes Kommentar. Maskenmondkind. Funktioniert auch in den dunkelsten Zeiten sehr vorbildlich.

Mondkind

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