Kranksein und Ambivalenz
Den Arbeitstag gestern hätte ich mir vielleicht nicht unbedingt antun
sollen. Vielleicht wäre ich dann drum herum gekommen, so richtig flach zu
liegen. Und so schlecht besetzt, dass die Situation auf Station gar nicht
händelbar gewesen wäre, waren wir nicht. Die Kollegen hatten Donnerstag schon
gesagt, dass ich Freitag besser zu Hause bleibe, wenn es mir nicht gut geht.
Aber irgendwie… - ist eigentlich einer der weniger schlimmen Sätze,
die man aus dem Elternhaus mitgenommen hat: „Kranksein ist verboten“.
Und da sieht man mal wieder: Die Welt um sich herum kann sich so sehr
ändern und trotzdem bleiben manche Sachen, tief im Hirn verankert. Früher gab
es immer Ärger, wenn meine Schwester oder ich krank waren. Immer wurde
geschimpft und es hieß, dass wir nicht in den Sommerurlaub fahren könnten, wenn
die Eltern die Urlaubstage verbrauchen müssen, um auf die Kinder aufzupassen.
Und deswegen ist man dann morgens mit so wenig Husten und Niesen wie möglich
durch die Wohnung geschlichen, saß sicher nicht selten mit Fieber in der Schule
und manchmal hat die Geschichte mit Schüttelfrost im Sani - raum geendet, wo
man dann als Nächstes die Lehrer anflehen musste, doch bitte nicht die Eltern
anzurufen um zu fragen, ob man abgeholt werden kann – auch wenn man freilich
keine Ahnung hatte, wie man in dem Zustand auch noch vom Bus den Berg zum Haus
hoch laufen sollte.
Heute ist das alles nicht mehr so schlimm. So lange, wie man nicht
systematisch und ständig krank ist und am Tag davor schon hin und wieder
niesend und mit angekratzter Stimme gesehen wurde, kann man schon auch mal
einen Tag zu Hause bleiben. Und dennoch würde mir das irgendwie im Leben nicht
freiwillig einfallen. Da sind immer noch die alten Schuldgefühle.
Irgendwie musste ich heute trotzdem einkaufen gehen und zumindest grob
die Bude putzen – die Wäsche ist noch in der Maschine. Das macht ich ja nun
leider nicht von selbst und unter der Woche ist dafür auch keine Energie mehr
übrig.
Nur das Vorbereiten auf die Notaufnahme – vorsichtshalber fahre ich
mal immer noch zweigleisig – bleibt auf der Strecke, weil der Kopf wirklich
Matsche ist. (Gestern habe ich meinen letzten Stroke – Brief übrigens damit
vergeigt, dass ich rein geschrieben habe, dass der Patient das Medikament am 30.
Februar absetzen soll. Natürlich hat der Oberarzt es sich nicht nehmen lassen
ins Arztzimmer zu kommen, mit dem Drehstuhl neben mich zu rollen, mich zu
bitten den Brief zu öffnen, ihn ans Ende zu scrollen und mich zu fragen, was
bitte ich mir da gedacht habe…)
Nur leider… - im Kreis kann man auch ziemlich gut denken, wenn man
krank ist. Und lesen. In den alten Zeiten. Irgendwer hat mir letztens mal
unterstellt, dass ich immer so negativ sei. So richtig stimmt das irgendwie
nicht. Ich werde nicht müde, mir die Erlebnisse der wenigen hellen Tage
durchzulesen, in denen ich das Gefühl hatte, dass dieser ganze Plan hier
aufgehen kann. Es ist so schön sich selbst dabei zuzusehen, wie es etwas nützt
in Plan A zu investieren und das funktioniert, wenn es nur Plan A gibt und
damit langsam der Druck hinter all den Jahren Arbeit schwindet.
Wie wir heute wissen, war das leider nur von kurzer Dauer. Aber so
sind die entstanden. Die Nachmittage mit Kaffee und Buch im Park. Aus einem
Gefühl von ganz viel Sicherheit heraus, aus dem Rückhalt einer Bezugsperson und
eines Menschen, der mich auch dann akzeptiert hat, wenn der Funktionier – Modus
mal nicht geklappt hat. Wunderschön zu lesen.
Immer mal wieder von Müdigkeit unterbrochen, habe ich heute unfassbar
viel geschrieben. Und wieder verworfen. Weil ich befand, dass man es so nicht
stehen lassen kann. Die Möglichkeiten zu formulieren leiden dann doch etwas,
wenn man nicht so richtig gut denken kann und irgendwie war es nicht im Plan,
genau jetzt krank zu werden.
Es soll nicht nach Vorwurf klingen. Sondern einfach Dankbarkeit
ausdrücken. Allen Menschen, die nah dran waren in den letzten Jahren, bin ich
tatsächlich sehr dankbar. Das muss unglaublich anstrengend gewesen sein, wenn
man die ganzen Krisen wirklich ernst genommen hat. War es für mich auch. Und
dennoch ist es das Licht dazwischen, das am Ende zählt und das ich ohne diese
Menschen nicht mehr gesehen hätte.
Es ist irgendwie erstaunlich… - wie schlecht ich für dieses Wochenende
vorgesorgt habe und wie wenige Verbindlichkeiten ich geschaffen habe. Ich habe
immer gehofft, dass die Kraft noch reicht, um zu versuchen im Ort der Ferne
endgültig das zu finden, das ich suche. Und es war auch immer klar was
passiert, wenn ich das nicht finde – auch wenn ich es bis hierher geschafft
habe. Deswegen war der Rotationsplan auch immer so gefürchtet. Weil er – wenn alles
schief geht – den Zeitpunkt festlegt.
Wenn ich also ein Mal konsequent wäre, dann wäre genau dieses
Wochenende der Zeitpunkt, um die Konsequenzen zu ziehen. Nun ist Mondkind ja
(zum Glück…) nicht die konsequenteste Person.
„Und irgendwann Mondkind, bekommst Du dann Todesangst. Und das ist ein
ganz starkes Gefühl und dann weißt Du gar nicht mehr, wohin mit Dir…“ Hatte der
Oberarzt mal irgendwann gesagt. Das stimmt. Irgendwie.
So ein Zeit – Stopper wäre genau jetzt ganz schön. Ich kann mir
ehrlich gesagt nichts von Beiden richtig vorstellen.
Ich kann mir nicht vorstellen Montag zur Arbeit zu gehen und das nicht
nur zu wissen, sondern auch zu begreifen, dass diese Idee, die das hier war,
endgültig nicht funktioniert hat, wir uns kaum noch sehen und ich auch keinen
Grund mehr habe, irgendetwas mit ihm zu besprechen und stattdessen acht Stunden
jeden Tag unter größtem Stress in der Notaufnahme aushalten muss. Emotional der
komplette Zusammenbruch, nachdem vier Jahre Arbeiten am Plan A etwas für die
Katz waren und nebenbei den ersten Tag die Notaufnahme schmeißen – wie soll
denn das bitte gehen?
Aber genauso wenig kann ich mir vorstellen, dass es das jetzt echt
gewesen sein soll. Und dann fällt mir doch noch so viel ein, das ich so gern
noch gemacht und erlebt hätte. Denn eigentlich… - will man ja nicht, dass es so
endet. Man steht nur so sehr mit dem Rücken zur Wand, dass es anders nicht zu
gehen scheint.
Mondkind
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