Wochenstart, Fortbildung und Helfersystem
Montagmorgen.
Nach einer viel zu kurzen Nacht. Die Angst vor dem Montag, lässt mich
oft schlecht schlafen in der Nacht vom Sonntag auf den Montag. Werde ich mit
den neuen Patienten zurecht kommen? Wie ist die Station besetzt? Gibt es
Überraschungen? Muss ich wieder irgendwo einspringen?
Ich bin eigentlich immer die Erste, die da ist – bevor der Trubel
morgens losgeht, habe ich dann schon die ersten Patienten visitiert. Die
Zimmer, die ich habe sind eigentlich immer diejenigen, die bei der
Chefarztvisite als Erstes dran kommen. Ich weiß nicht, ob das da schon Jemand
durchschaut hat. Dann fällt nämlich auch nach meinen Zimmern die Anspannung ab
und ich kann noch etwas Energie für den Rest des Tages sparen.
Heute allerdings kommt ein Kollege nach den ersten vier Patienten
angerast und erklärt, dass der die Patienten vom Sonntag noch kennt. Ich
bekomme noch das vorderste Zimmer – also das letzte Zimmer auf der
Chefarztvisite… - hat der Plan wohl diese Woche nicht geklappt.
Der Kollege, der Ende der letzten Woche krank war, ist immer noch
krank. Aber wenigstens sehe ich den Herrn Oberarzt an diesem Morgen durch den
Flur strolchen – ist er also wieder da.
Neben der Oberarztvisite muss ich mich heute Morgen um die Fortbildung
kümmern. „Du willst eine Woche vorher noch eine Fortbildung buchen?“, fragt der
Kollege ganz entsetzt. Ich beschließe deshalb erstmal zu fragen, ob noch Plätze
frei sind. Und so ganz insgeheim hoffe ich, dass es keine mehr gibt. Wie ich
auch noch die Energie für eine Fortbildung aufbringen soll, erschließt sich mir
nämlich noch nicht so ganz. Außerdem möchte ich einfach meine letzten Tage auf
der Stroke Unit genießen. Es gibt aber noch Plätze.
Ich frage die Kollegen, was ich jetzt machen muss. Erstmal mit dem
Oberarzt reden, der für die Urlaubsplanung verantwortlich ist. Als ich ihn
anrufe, weiß der erstmal von nichts, dabei haben wir das Freitag eigentlich
schon geklärt gehabt. Er kommt wenig später vorbei. Zunächst ist er da sehr
restriktiv, als ich ihm aber erkläre, dass es um die EEG – Fortbildung geht,
heißt es: „Du gehst dahin Mondkind“ und dafür schiebt er dann sogar ein paar
Dienste hin und her.
Letzen Endes mache ich mich mit dieser ganzen Aktion auch ein bisschen
zu einem politischen Spielball. Denn während der Chef eigentlich nicht möchte,
dass ich mich in der Epilepsie verkrümele, gibt es andere Oberärzte, die das
sehr gern hätten. Der Chef weiß von der Fortbildung übrigens noch nichts und
die anderen meinten, dass ich den erst informieren soll, wenn alles in
trockenen Tüchern ist. Ob das so richtig ist…?
Letzten Endes läuft es darauf hinaus, dass zwei Kollegen und ich
nächsten Dienstag nach dem Dienst los fahren in eine Großstadt, in der ich noch
nie gewesen bin. Eigentlich wird das sicher interessant. Ich weiß nur nicht,
woher ich die Energie nehmen soll. Ich weiß es einfach nicht.
Ein Hotel brauche ich auch noch – da wollen wir uns noch absprechen
und ich muss der Personalabteilung noch
einen Antrag abgeben. Ich hoffe, das hätte man nicht vorher tun müssen… (Vermutlich
werden die Hotelkosten ungefähr doppelt so hoch sein, wie die Fortbildung. Eine
der teuersten Großstädte eben…)
Wenig später geht es um die Verteilung der Dienste des kranken
Kollegen. Das muss ja nun irgendwie kompensiert werden. „Die Mondkind darf auf
Fortbildung, die kann ja dann als Gegenleistung zumindest mal den Spätdienst am
Freitag machen…“ Nee, oder? Wenn das wieder so eine Horror – Show wird und ich
wieder erst um Mitternacht gehe, geht mir wieder der halbe Samstag flöten. Außerdem
ist die Arugmentation… - schwierig. Mir macht das super viel Angst alles und
von „dürfen“ kann nicht die Rede sein.
Auch die Visiten - Dienste am
Wochenende sind noch zu verteilen. Da könnte ich es mir wiederrum echt
vorstellen, den Sonntag zu nehmen – da hat der Herr Oberarzt Dienst und von
einer Wochenend – Stroke – Visite kann man vermutlich viel lernen und Angst
muss man auch nicht haben…
Mittag. Ich gehe mit zwei Kollegen kurz etwas essen.
„Jetzt sehe ich Sie ja doch…“, quatscht mich eine bekannte Stimme von
der Seite an. Der Seelsorger. Nicht sein Ernst… - denke ich mir nur. „Sie
hatten wohl gestern viel zu tun…“, sagt er. „Es ging wirklich nicht“, entgegne
ich. Er hatte mir angeboten, mit ihm in den Gottesdienst zu gehen und
anschließend ein bisschen zu quatschen, aber ich war gestern nicht in der Lage
raus zu gehen und mit Menschen zu reden. „Wird es dann mit Mittwoch etwas?“,
fragt er. „Ich weiß es wirklich nicht. Im Moment ist viel zu tun“, entgegne
ich. „Ich rufe vorher nochmal an…“
Er geht weiter und es herrscht betretenes Schweigen am Tisch. Mit
Diskretion hat der Herr es nicht so sehr. Es müssen nun wirklich nicht alle
Kollegen wissen, dass ich gelegentlich beim Seelsorger abhänge.
Irgendwann klingelt dann zum Glück ein Telefon…
Das spiegelt aber ein bisschen das wieder, das ich damit meine, wenn
ich sage, dass sich irgendetwas ändert. Ich lasse glaube ich ein bisschen das
Helfersystem los. Gestern ging es mir so schlecht, dass ich heute im Normalfall
wahrscheinlich die Therapeutin um ein Gespräch gebeten hätte.
Aber… - es bringt doch alles nichts mehr. Außer dem Stress, die
Gespräche auch noch irgendwie im Tag unterbringen zu müssen. Es gibt keine
Lösung für das alles. Und keine Menschen, die mittragen können. Das fühlt sich
an, wie eine Wand, auf die man mit Überschallgeschwindigkeit zurast. Und es
gibt keinen Weg daran vorbei.
Wie es hier ab Ende Februar aussieht, weiß ich nicht. Kann auch sein,
dass der Überlebens – Modus wieder eingeschalten wird. Nicht denken, sondern
machen und durch die Tage hangeln. In dem Wissen, dass es das, was man hier
gehofft hat zu finden, nicht mehr geben wird. Allerdings wünsche ich mir für mich weder das
Eine, noch das Andere. Weder gerade so überleben, noch den Suizid.
Spät am Nachmittag kommt der Oberarzt nochmal vorbei, um mit mir meine
Patienten vor dem Feierabend nochmal zu besprechen. Das macht er nicht
regelmäßig, aber ich mag das sehr gern, weil man da alle Fragen nochmal los
werden kann und beruhigter nach Hause gehen kann.
Zwei schwierige Fälle habe ich. Eine Patientin mit einem ACI –
Verschluss und konsekutiven Infarkt. Und irgendwie will es mir nicht in den
Kopf rein gehen, dass man da nichts mehr machen kann. Ende des letzten Jahres
war es noch eine 90% - ige Stenose, bei der man nicht intervenieren wollte –
jetzt ist das Gefäß halt zu und da kann man laut den Oberärzten eben nichts
mehr machen…
Und eine Patientin habe ich, die im Prinzip im Lauf des Tages immer
mehr präfinal wird. Ob sie morgen früh noch lebt, weiß ich nicht. Sie ist über
90 Jahre – das ist irgendwie okay. Und doch jedes Mal aufs Neue schwierig.
Schafft man es, Leiden zu ersparen? Wie reagieren die Angehörigen? Wie kann man
helfen, in dieser schweren Zeit?
Es ist abends gegen kurz vor 8 Uhr, als die Kopfschmerzen und der
Druck auf den Augen doch zu viel werden. Eigentlich muss ich noch Briefe korrigieren.
Allerdings… - ist morgen auch noch ein Tag. Und Chefarztvisite. Ich hoffe, die
meistern wir gut.
Mondkind
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