"Mondkind, warum bloggst Du noch?"


Die meisten Menschen in meinem Umfeld wissen nicht, dass ich einen Blog schreibe. Und das hat auch gute Gründe. Denn quasi von Jedem der es weiß muss ich mir – ohne dass die Menschen wissen was drin steht, weil sie die Blogadresse nicht haben – regelmäßig Kritik anhören. Ich glaube, zum Großteil liegt es daran, dass dieser Blog für nahezu alle Menschen eine „black box“ ist – wie bereits erwähnt. Deswegen wissen selbst die meisten Freunde nicht mal, dass der Blog existiert.

Auch letzte Woche ist der Blog mal wieder ins Visier geraten. Zunächst in das, der Therapeutin.
 „Ich kann mir schon vorstellen, was in Ihrem Blog steht“, durfte ich mir letztens von ihr anhören. Dazu kann ich wenig sagen, ehrlich gesagt. Ich glaube aber sie vermutet, dass ich den Blog als seelischen Mülleimer verwende.
„Den Blog kann man ja auch zum Instrumentalisieren nutzen“, kam wenige Zeit später. Kopf --> Tischplatte. Jetzt nicht ehrlich oder? Wie soll denn das gehen, wenn beinahe niemand aus dem privaten Umfeld die Adresse hat?
Wenig später ging es dann an anderer Stelle weiter. „Mondkind, Du brauchst auch immer sehr viel positive Rückmeldung. Kann es sein, dass Du den Blog so schreibst, dass Du die auch bekommst…“ Nee, eigentlich nicht…
Und zuletzt „Mondkind, Deine Aufgabe ist herauszufinden, warum Du das Blog schreiben noch brauchst. Also – warum geht es nicht ohne den Blog?“

Allein die Frage ist etwas anmaßend. Schreiben ist nicht der einzige Weg, um Erfahrungen und Emotionen zu teilen. Das kann ich auch mit Malen oder Musik tun. Ich bin nicht schon mal allein deswegen ein Fan von Christina Grimmie – eine begnadete Musikerin, die leider viel zu früh verstorben ist – weil so viele von ihren Liedern eine persönliche Botschaft hatten und weil durch die Verbindung von Text und Melodie ganz viele Emotionen transportiert wurden. Allerdings würde vermutlich niemand auf die Idee kommen Sänger zu kritisieren, oder zum Beispiel Maler und Klavierspieler.
Bei mir ist die Form des Ausdrucks nun mal das Schreiben geworden. Weil ich schon immer geschrieben habe. Seitdem ich die ersten Buchstaben schräg auf Zeilen malen konnte, habe ich geschrieben.

Ich glaube einer der Hauptgründe des Blogs ist, dass er eine Nische geworden ist, die es mir ermöglicht hat, ich selbst zu sein. Und mir in diesem Raum auch viel die Möglichkeit gegeben hat, ehrlich zu reflektieren.
Der Blog ist ein Ort, an dem alle Welten nebeneinander existieren können, an dem ich meine Realitäten leben kann, ohne, dass es schief klingt. An dem mir nicht ständig über den Mund gefahren wird und gesagt wird: „Also Mondkind, das kann aber nicht sein – immerhin gehst Du doch auch noch arbeiten“, weil die meisten Menschen nicht in der Lage sind, bis zum Ende zuzuhören und die Hochfunktionalität der psychischen Erkrankung nicht im Ansatz nachvollziehen können. Hier kann ich arbeiten gehen und trotzdem nicht wissen, ob ich noch einen Sommer habe.
Im Blog ist Fassadenmondkind mal ausnahmsweise nicht gefragt. Und wie oft wird mir beim Schreiben eigentlich erst klar, was los ist? Wie oft komme ich erst dann dazu, die wild in meinem Kopf umher springenden Gedanken zu sortieren?

Es gibt einige Prämissen auf diesem Blog für mich selbst. So verschriftliche ich nicht alles, was ich denke und ich veröffentliche nicht alles, was ich schreibe. Außerdem ist der Blog ein Abbild meiner Realität und richtet sich nach dem, was in meinem Leben passiert – und nicht umgekehrt. Die Einträge entstehen oft aus hochemotionalen Situationen heraus, die für mich in dem Moment häufig nicht fassbar sind. Manchmal weiß ich nicht, was ich da geschrieben habe, bis ich es selbst nochmal lese.
Aber weder werden Einträge für den Blog, für das Internet und die Öffentlichkeit besonders dramatisch geschrieben, noch besonders beschönigt. Der Blog ist weder dazu gedacht, besonders viel Drama zu vermitteln, noch dazu, als narzisstische Selbstdarstellung genutzt zu werden.
Er ist meine Realität. Nicht mehr. Und nicht weniger. 



Die Hauptfrage der meisten Menschen ist: Warum muss man veröffentlichen, was man schreibt? Warum kann das nicht in der Schublade verschwinden und nie wieder gesehen werden?
Ich glaube, dass nahezu alle Menschen ein gewisses Mitteilungsbedürfnis haben. Wahrscheinlich erzählt jeder am Ende des Tages gern mal kurz, wie es denn gewesen ist. Erwähnt, was gut gelaufen ist und auch Dinge, die vielleicht weniger gut waren, die gestresst haben und für die es dann am Ende (hoffentlich) doch eine Lösung gab.
Und klar – mir geht es genauso. Nur, dass da eben niemand ist und eine Mondkind – Realität keiner mehr hören will – ich sie aber trotzdem erlebe. Ob nun gewollt oder ungewollt. Und manchmal – das gebe ich zu – steckt da eine Menge Druck dahinter, der dann abfällt, wenn der Blogeintrag fertig ist.
Vielleicht ist der Blog auch eine Art stille Rebellion. Gegen die Familie, die immer einen nach außen hin gezeigten Perfektionismus erwartet hat, wo doch im Innen alles auseinander fiel. Und selbst in Zeiten der Not, wenn man dringend Unterstützung aus dem privaten Umfeld gebraucht hätte – die erste Klinikeinweisung war so ein Fall, da war ich wirklich komplett am Ende – wurde mir vorgeworfen ein Hurrikan zu sein, der durch die Familie gezogen ist, keinen Stein mehr auf dem anderen gelassen hat und alles komplett zerstört hat. In die Psychiatrie zu gehen war in deren Augen der schlimmste Verrat, den ich begehen konnte. Nur, weil es nicht „Perfektionisten – Mondkind“ war.

Deswegen dann eben so. Mit dem Blog. Und manchmal… - platzt mir wirklich fast der Kopf und ich weiß, dass ich das keinem in meinem Umfeld erzählen kann – dann blogge ich eben.
Der Blog ist da natürlich ein gewisses Paradoxon. Die Mondkind – Realität erreicht dann plötzlich eine breite Öffentlichkeit und vermutlich ist es gar nicht so, dass das was ich zu erzählen habe, so unverständlich für die meisten Menschen ist. Nur ist das einfacher zuzuhören, sich zu einem gewissen Teil vielleicht auch damit zu identifizieren, wenn man den Schreiber nicht persönlich kennt.

Natürlich ist die Frage, ob man als Ärztin so etwas schreiben darf. Es entspricht nicht dem gesellschaftlichen Bild einer Ärztin so sehr mit dem eigenen Leben zu kämpfen, mit so vielen Ängsten und Selbstzweifeln auf der Arbeit zu sein und sich da ein bisschen vorzukommen, wie der Wolf im Schafspelz. Eigentlich betet man den ganzen Tag still, dass keine Notfälle passieren, vermittelt den Patienten aber logischerweise, alles im Griff zu haben. 
Eine Antwort auf die Frage habe ich auch nicht. Aber ich glaube, dass es nicht ganz verkehrt ist auch mal zu vermitteln, dass Ärzte keine Halbgötter in weiß sind. Wir wissen nicht alles und wir können nicht Jeden retten – wenngleich wir alles versuchen, uns einsetzen, nicht selten ein einziger Patient das komplette Tagesprogramm sprengt, der aber in dem Fall eben unfreiwillig auf unseren Einsatz angewiesen ist. Das Einzige, das ich hier nur hin und wieder vermitteln kann, ist ein gewisser Idealismus – und an dem halte ich auch fest.

Zum Thema Rückmeldungen kann ich sagen, dass ich mich über jede Rückmeldung zum Blog freue. Ich weiß, dass es Leser gibt, die schon extrem lange dabei sind und es berührt mich schon, dass es auch Menschen gibt, die an der Mondkind - Realität interessiert sind und damit indirekt auch eine „imperfekte Mondkind“ akzeptieren.  
Es bewegt mich auch immer wieder, wenn Menschen mir schreiben, dass mein Blog für sie ein Ritual geworden ist, dass sie sich weniger allein mit ihrer Situation fühlen, dass ich vielleicht auch den ein oder anderen dazu bewegen konnte, sich trotz psychischer Probleme ans Medizinstudium zu trauen.
Aber es zielt nicht alles auf positive Rückmeldungen ab. Ich nehme auch alle Gedankenanregungen und kritischen Kommentare sehr ernst, überdenke sie, versuche sie zu integrieren und umzusetzen.

Und zuletzt zum Thema „Instrumentalisieren“. Wen sollte ich instrumentalisieren, wenn kaum Jemand aus dem privaten Umfeld den Blog kennt? (Die Blogadresse ist quasi der höchste Vertrauensbeweis, den man bekommen kann). Einem Menschen habe ich im Rahmen der Therapie die Blogadresse gegeben – ob er ihn noch liest, weiß ich nicht. Für den Therapiefortschritt war das allerdings wichtig. Wenn irgendetwas wäre, könnte ich ihm aber auch eine Mail schreiben – da wäre der Umweg über den Blog ein bisschen zu aufwändig.
Eine andere Person, die mittlerweile eine Freundin ist, hat die Adresse auch. Als ich sie ihr gegeben habe, waren wir auch noch im professionellen Rahmen unterwegs; hätte ich gewusst, dass unsere Wege so eng werden, hätte ich sie ihr nicht gegeben. Glätten werde ich die Blogeinträge deswegen nicht, aber das gibt schon gelegentlich mal ein Drama – allerdings ist wilder Aktionismus nicht die Intention der Blogeinträge und stört mich dann massiv.

Also fassen wir es zusammen.
Letzten Endes ist die Motivation zu Bloggen eine Mischung aus Vielem. Ein bisschen ist es ein Festhalten, an dem, das ich zuerst am Besten konnte: Dem Schreiben, dem Spiel mit dem Wort, mit den Emotionen zwischen den Zeilen.
Dann gibt es mir einen Raum, ich selbst zu sein, was in der Realität immer schwer ist. Ein Stück ist es auch die Rebellion gegen das Elternhaus, gegen den Perfektionismus, der immer erwartet wurde und den ich nie gefühlt habe.
Vielleicht ist es auch ein Bisschen, um den Arztberuf transparenter darzustellen. Dem Idealismus im Arztberuf eine andere Richtung zu geben, es eher auf das Bemühen und die Individualität für jeden zu legen, als darauf, jeden retten zu können.
Und vielleicht ist es auch ein kleines Beispiel, wie man ein Leben meistern kann, das ein Spagat ist, aus verantwortungsvollem Job, in dem keiner etwas merken darf und einer ganz fragilen Seele. Das viele Umwege genommen hat, so oft fast stecken, aber dennoch bislang nicht stehen geblieben ist.

Und im Prinzip hätte ich das ganze Statement gar nicht schreiben müssen. Die betroffenen Kritiker werden es ohnehin nie lesen. Aber vielleicht war es gerade nochmal wichtig. Für mich. Nicht zuletzt um den Unsinn dahinter zu erkennen, sich auch noch für seine Freizeitaktivitäten rechtfertigen zu müssen.

Mondkind

***
P.S. 
Der Wochenendplan hat leider nicht geklappt. Wir wollen es nächstes Wochenende nochmal versuchen. Aber da muss ich wirklich arbeiten. Also wird das... - kritisch.

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