Ein bisschen Schubsen von Herrn Therapeuten


Herr Klinik - Therapeut in der Leitung. Spät abends. Wie lange ist das schon nicht mehr passiert…? Mitte Februar haben wir zuletzt miteinander gesprochen.
Wir sitzen beide zu Hause. Ich auf meinem Sofa. Er… - weiß ich nicht, wo.
Wo doch seine Wohnungstür – wie er mir das immer erzählt hat – die letzte Grenze ist, hinter die die Arbeit nicht kommt, weshalb unsere Gespräche bislang immer vor der Haustür beendet waren; auch im tiefsten Winter. Konsequenz ist das. Da zeigt allein das ein riesiges Entgegenkommen von seiner Seite.
Wir reden lange. Und trotzdem ist so viel geschehen in diesen vergangenen Wochen, dass es unmöglich ist, selbst nur die wichtigsten Dinge zu berichten. Und auch dann ist es schwierig, dem Therapeuten das so zu erklären, dass er nicht nur eine vage Aneinanderreihung von Worten hört, sondern irgendwie einen Faden hat, an dem wir unser Gespräch entlang leiten können. An dem die Ereignisse eine logische Verkettung vom Umständen sind, die erkenntlich machen, warum es so schwierig geworden ist - was für mich selbst kaum fassbar ist. Und das dann alles zu erläutern, neu zu sortieren, einzufügen und nicht den Lauf der Dinge, aber die Bewertung in einem neuen Licht zu sehen. Reflektieren. Aufgabe der nächsten Minuten.
Und während ich so rede fällt mir auf, wie sehr ich in die Hilflosigkeit gerutscht bin und – da muss ich ihm Recht geben – auch in die Passivität. Wenn die Kraft kaum noch zum Leben reicht, dann kümmert man sich um nicht mehr, als um das Leben. (Da liegt eben selbst das Paket das man erwartet tagelang irgendwo herum, weil man nicht die Kraft findet zu telefonieren, wo es denn ist. Und der Augenarzttermin in der Urlaubswoche, der wird auch nicht gemacht, weil mit Fremden reden ja auf das Nötigste reduziert wird). Und dann ist generell einfach so weiter zu machen, so lang es eben geht, scheinbar zunächst die weniger kraftintensive Lösung – aber man steuert halt auch ungebremst auf den Zusammenbruch zu und weiß nicht, wann und wo der stattfindet. 



Herr Therapeut appelliert – wie immer in solchen Situationen – an die Eigenverantwortung. Lässt mich zuerst ausführen, warum das alles nicht geht.
Fragt dann irgendwann, ob ich denn überhaupt noch arbeitsfähig sei. Ob die inneren Kinder nicht auch ein bisschen ihre Berechtigung haben, wenn sie so laut rebellieren. Ob das wirklich das Ziel sein kann, sie zum Schweigen zu bringen.
Irgendwo sollte man die Kinder schon sehen, räume ich ein. Sie wollen mir ja etwas sagen.
Und dann erkläre ich, dass es doch erstmal das Wichtigste sein muss, irgendwie stabiler zu werden. Nicht von einer Krise in die Nächste zu rutschen. Lebensfähig zu sein. Und zu bleiben. Und dadurch etwas wie Lebensqualität zu erreichen. Und dann muss man sich überlegen, wie man das macht. Und wenn ich mich mit mir selbst und meinem Wertesystem so verhakt habe, dass es gerade nicht geht, dann geht man eben nochmal in die Klinik. Alles einmal aufbrechen und neu zusammensetzen. Hoffentlich. Und entweder man hat Glück und hat den Job hinterher noch. Oder man wird vielleicht etwas Neues finden. Das dann vielleicht auch mal freier entschieden ist, das mehr ich selbst bin, als geleitet von der Idee ein Umfeld finden zu müssen das trägt und es am Ende nie wirklich getan hat. Es würde viel Ende bedeuten. Viele Ideen, Hoffnungen nachträglich entwerten. Aber ist das nicht immer so im Leben? Versuchen nicht die meisten Menschen Vieles, um bestimmte Dinge zu erreichen und am Ende kommt es ganz anders?

Starke Worte. Mit Kraft formuliert. Findet Herr Therapeut. Jetzt müsse man eben handeln.
Ich hatte gehofft, er weiß vielleicht  wie das mit den stationären Aufnahmen aktuell geregelt ist. Oder könnte mal nachfragen. Er möchte wissen, wie das bisher immer lief. Und meint dann, ich soll doch direkt auf der Station fragen. Das hat halt wieder etwas sehr Verbindliches. Erstmal würde es mir reichen zu wissen: Existiert die Möglichkeit in Corona – Zeiten, wenn hier wirklich gar nichts mehr geht…?
Eine Lösung auf die Frage gibt es übrigens nicht – ich habe heute die Therapeutin um Rat gefragt (wenn Mondkind sagt, dass sie erwägt in die Klinik zu gehen wird sie meist aktiv, weil wir alle wissen, dass das sehr selten ist, wenn die Bitte wirklich von Mondkind selbst kommt) und sie sagt, dass das derzeit Einzelfallentscheidungen sind. Und ich kann die Frage nicht diskutieren lassen ohne sicher zu sein es am Ende zu tun, wenn es ein „ja“ wird.
Das nimmt jetzt ehrlich gesagt ein bisschen die Sicherheit im Hintergrund weg was passieren wird, wenn es zusammen bricht. An wen wende ich mich da? Wo kann ich hin? Wie komme ich im schlimmsten Fall in die für mich zuständige Psychiatrie?

Denn man muss sich auch – mehr denn je – die moralische Frage stellen. Ist es vertretbar jetzt gerade – wenn die Regierung schon darüber beschließen möchte verfügen zu dürfen, jedweden mit einer medizinischen Ausbildung rekrutieren zu dürfen – als medizinisches Personal die Seite im Gesundheitssystem zu wechseln? Nicht nur, das System nicht zu unterstützen, sondern im Gegenteil – es auch noch zu belasten?

Ich gehe mit diesem Abend mit einem stillen Kompromiss ins Bett. Nach der Corona – Krise. Wird vielleicht ein guter Zeitpunkt sein. Vielleicht kann ich mich mit der Aussicht, dass das hier, so wie es ist ein Ende hat, irgendwie über Wasser halten. Wenn man da vielleicht schon Verbindlichkeiten schaffen könnte. Hören könnte „Ja Frau Mondkind, wir schreiben Sie mal auf unsere Liste, ein bisschen variabel, aber vielleicht am Ende des Sommers…“
Und dann… - dritter Versuch Herr meines Lebens zu werden. Und irgendwie wäre es doch sinnvoll, die Möglichkeiten der Schema – Therapie, die ich für mich schon als sehr passend empfinde, nochmal nutzen zu dürfen. Mit einem Team, das mich schon kennt.

Und während ich da so im Bett liege, fällt mir auf: Danke Herr Therapeut. Dafür, dass manchmal Ohren reichen, um Augen zu öffnen.
Therapie am Telefon. Funktioniert eben doch.

Und jetzt… - kann man nur hoffen, dass es hält. Dass ich mir selbst wichtig genug bin, für ein bisschen mehr Lebensqualität zu kämpfen. Mich traue auf der Station anzurufen. Einmal stark sein. Nicht für die anderen, sondern für mich. 

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen