Springerdasein


Dienstagmorgen.
Der sich anfühlt, wie ein Montagmorgen.
Jeden Morgen, wenn ich den Schlüssel im Schloss drehe dann frage ich mich, was wohl alles passiert sein mag, bis ich wieder zurück in meinen eigenen vier Wänden bin.

Frühbesprechung. Stressig ist es. Der Chef muss zur Krisensitzung. Dann übernimmt ein Oberarzt die Leitung der Frühbesprechung.
Redet nochmal ins Gewissen, nachdem es Stress mit dem Dienstplan gab. Wir sind dünn besetzt. Wenn Einer ausfällt, dann bricht das ganze Konstrukt zusammen. Wir sollen uns zusammen reißen die nächsten drei Wochen.

Notaufnahme. Da ist es am Morgen noch relativ ruhig. Deshalb hat ein Oberarzt dann eine Idee. Die Mondkind, die könnte ja der Springer werden. Er ruft „meinen“ Oberarzt an. Ob die Mondkind nicht auf Station aushelfen soll. Soll sie.
Ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll. Auf der einen Seite kann ich nicht anders, als froh zu sein, zurück zu dürfen. Auf der anderen Seite… - ist in 20 Minuten Visite, ich habe vier Patienten und weiß von keinem irgendetwas. Und… - ich muss den Funk mitnehmen.

Kaum auf der Station ruft die Pflege an. Da sei ein Patient, da sei Donnerstag besprochen worden, dass er sich Dienstag in der Notaufnahme vorstellt. Ob sie den jetzt aufnehmen sollen. Klar doch. Ich beschließe: Abwarten. Bis er aufgenommen wurde, Blut abgenommen und EKG geschrieben wurde, kann ich meine Patienten vorbereiten. Da habe ich meine Rechnung aber ohne die Oberärztin gemacht, die an dem Morgen für mich zuständig ist. „Mondkind, da ist ein Patient. Kommst Du bitte in die Notaufnahme…?“ Okay, also zurück.

Es stellt sich am Ende raus, dass wir den Patienten nicht stationär aufnehmen müssen und ich ihn nach Hause schicken soll. Er braucht aber einen Brief. Und gerade als der fertig ist, ruft mich ein Kollege an. „Mondkind, wir wären mit der Visite jetzt langsam bei Deinen Zimmern…“
Und die Mondkind… - könnte auf dem Flur zusammen brechen. Von zwei Patienten kenne ich nicht mehr als den Namen… Ich düse zurück. Katastrophen – Visite. Und das Schlimmste an solchen Dingen ist immer, dass einem dann hinterher noch Dieses oder Jenes einfällt und da die Patienten nicht darunter leiden dürfen, dass ich sie nicht zeitgerecht kannte, muss man dann reumütig den Oberarzt anrufen und nochmal informieren.

„Mondkind, ich würde mir dann etwas zu essen holen – kommst Du mit…?“, fragt der Kollege. Oh Mittagspause… - seit wann gab es das nicht mehr. Aber… - in den Moment klingelt das Telefon. Stroke Angel Alarm. Ich muss los. Zurück in die Notaufnahme.
Der Patient hat keinen Schlaganfall, sondern eine Meralgia parästhetica (da muss sogar der Oberarzt anerkennen, dass ich die Diagnose sofort auf dem Schirm hatte…), aber sein viel größeres Problem ist kardial / internistisch. Also eine Runde zu den Kardiologen, die ihn weiter schicken zu den Internisten, die sagen, dass sie keine Betten haben. Also verlegen. In eine externe Klinik in die Innere. Drei Stunden kostet mich das.

Danach noch Stationsarbeit. Mit Angehörigen telefonieren, eine Verlegung organisieren, Untersuchungen anordnen, Brief schreiben.
Komische Gefühle, in dem Chaos. Auf der einen Seite überfordert es mich total. Nirgendwo bin ich so richtig mit voller Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite bin ich auch dankbar, nochmal kurzzeitig ein bisschen Stroke – Unit – Luft schnuppern zu dürfen.
Die Frage, ob das morgen auch so ist, kann der Oberarzt nicht beantworten. Vielleicht komme ich einfach mal eine halbe Stunde früher, damit die Patienten vorbereitet sind. Wenn ich nicht zu müde bin.

Es ist halb 8, als ich das Licht im Arztzimmer hinter mir lösche. Mich frage, ob ich wirklich nichts vergessen habe. 

Na, wer kann sich an den Kollegen erinnern... ?



***
Wie es psychiatrisch weiter geht, weiß ich nicht. Wir haben gehört – Fehlen in den nächsten Wochen bitte nur im äußersten Notfall.
Allerdings… - die Springer – Position, ob ich die lange überlebe, weiß ich nicht.
Nachdem das Ende des Osterwochenendes auch nicht super erholsam war. Gestern habe ich nochmal in der Klinik angerufen – die hatten mich ja angehalten, das über Ostern zu tun, wenn es schwierig wird. Zum ersten Mal wurde ich damit konfrontiert, dass man auch vergisst dort. Die Pflegerin konnte mit meinem Namen nichts mehr anfangen und war über den Anruf auch nicht erbaut. Und das hat mich – trotz zwei Stunden Telefon herum drehens im Vorhinein – so sehr verunsichert, dass ich gerade einfach nicht weiß, ob ich da nochmal anrufen darf.

Aber ich hatte dann gestern Abend nochmal mit dem Seelsorger ein Telefonat. Mit irgendwem musste ich reden. Bei ihm ist das immer so die Frage, ob das wirklich etwas bringt, aber gestern ist er gut auf mich eingegangen. Über eine Stunde haben wir geredet. (Aber ich glaube, er hat sich echt etwas gesorgt, ich habe nämlich eigentlich nur geweint und das kommt nicht oft vor… ). Dass Ruhe dazu führt, dass mir die Überforderung erst bewusst wird, ich dann erst Angst vor dem Diensttelefon wirklich so empfinde, dass es mich so handlungsunfähig macht und ich auch erst dann richtig Angst um mich und um die Zukunft bekomme, besorgt ihn. Er findet es irgendwie bezeichnend, dass so wichtige, essentielle Signale im Alltag untergehen. Weil da nicht mal Kapazität für Angst ist. Oder ich das erfolgreich verdränge.

Wie es morgen weiter geht, weiß ich nicht. Ich falle gleich ins Bett. Denke nicht mehr darüber nach. Ehe ich morgen vollautomatisiert aufstehe. Wieder den Berg hoch laufe. Nicht darüber nachdenke, was Springersein bedeutet. Und dass man keinem wirklich gerecht wird. Weder den Abläufen der Notaufnahme, noch den Patienten auf Station. Schlimmer, als dass ich da wirklich zusammen breche, kann es auch nicht werden. Und dann wäre das auch eine Form von Ende. Wenig elegant. Aber wenigstens eine Ende von diesem Wahnsinn.

Mondkind

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