Über die "kleine Mondkind"

 

„Ich wünsche mir Jemanden für die „kleine Mondkind“, der gut auf sie aufpasst und ich wünsche mir wirklich sehr, dass Sie das sind… Ich kann das von Herzen wirklich nur als Wunsch mitgeben…“

Herr Kliniktherapeut.
In der letzten Stunde. Einer der letzten Sätze, der gesprochen wurde. Der unfassbar weh getan hat.
Es war ein Loslassen. Lieb formuliert, aber ein Loslassen. Gegen das ich mich nicht wehren konnte. Und durfte.

Ich hab’s versucht.
Wirklich.

In Gedanken die „kleine Mondkind“ an die Hand zu nehmen, sie immer wieder zu trösten. Zu verströsten.
Obwohl man kein Ende sieht. Kein Licht mehr. Nur noch Hoffen und Warten. Auf irgendein Wunder. Hoffen, dass es nochmal hell wird, während es immer dunkler wird. Hoffen auf zwischenmenschliche Nähe, auf Halt, obwohl der immer mehr verloren geht.

Manchmal fragt die „kleine Mondkind“ am Abend nach Dingen, die man gut erfüllen kann. Ob wir irgendetwas Cooles zu essen machen können, ob wir so richtig heiß duschen können. Ob wir uns etwas früher mit Musik auf den Ohren ins Bett verkrümeln können. Ob sie noch einen Kakao, statt des langweiligen Tees haben kann. Oder zumindest einen „besonderen Tee“

Aber manchmal steht die „kleine Mondkind“ vor mir und fragt nach Dingen, die ihr kleines Herz schwer werden lassen und die ich einfach nicht erfüllen kann. Wann denn mal wieder Jemand zum Frühstück vorbei kommt. Wann wir mal wieder die Hand von irgendwem auf unserer Schulter fühlen. Wann wir mal wieder eine Umarmung fühlen. Wann wir uns mal wieder uneingeschränkt geliebt und verstanden fühlen werden. Wann wir wieder irgendwo hin gehören werden, wann wir unser Leben wieder mit einer anderen Person teilen werden, wann das wieder irgendwen interessieren wird, wo wir sind, wie es uns geht und was wir machen. Wann mal wieder Jemand ein „Wie geht es Dir Mondkind?“ schreiben wird, ohne, dass wir uns einfach in Stille mitteilen.

Ich kann sie spüren. Diese Verzweiflung, diese unendliche Traurigkeit der „kleinen Mondkind“. Die riesen große Bitte, dass ich ihr sage, bis wann sie das aushalten muss.
Meistens schicke ich die „kleine Mondkind“ dann mit einem heißen Tee und guter Musik ins Bett. Und meistens schläft sie irgendwann ein von den vielen Tränen und der Erschöpfung. Während die erwachsene Mondkind im Wohnzimmer sitzt, die Kerze, die jeden Abend für den Freund brennt im Halbdunklen flackern sieht und überlegt, wie man einer „kleinen Mondkind“ helfen kann. Und ob die kleine Mondkind nochmal glücklich werden kann, bevor wir am Leben scheitern. 


 

Ich habe nicht nur den Freund verloren. Sondern so viel mehr. Dieses Ereignis hat mich und die Welt um mich herum auf völlig verschiedene Standpunkte gestellt. Es gibt kaum noch Menschen, mit denen ich nicht anecke. Und ja, das liegt sicher auch an mir. Weil ich super gereizt bin. Und die „kleine Mondkind“ eigentlich fast nirgendwo mehr hingehen lasse, ohne vorher die zwischenmenschlichen Grenzen auszuloten. Damit man sie nicht nochmal so sehr verletzt.
Es ist nicht nur so, dass der Freund gestorben ist. Fast unmerklich nebenbei sind fast alle losen Freundschaften, fast alle losen Verbindungen in die Studienstadt mit gekappt worden. Sei das nun auf einer therapeutischen Ebene, oder in Bezug auf einige Kommilitonen.

Wahrscheinlich muss man – mehr mir als der „kleinen Mondkind“ – beibringen, wie man wieder vertrauen kann. Und wahrscheinlich kann man nur hoffen, dass die kleine Mondkind das bis dahin überlebt. Denn manchmal scheinen die vielen Fragezeichen des Jenseits doch so viel verlockender zu sein, als der Schmerz im Jetzt.

Mondkind

P.S.

Bei uns auf der Station gibt es jetzt Corona (also jeden Tag mit halben Fuß in Quarantäne), morgen machen wir den Dienstplan (also werden wir morgen wissen, wo ich Weihnachten dieses Jahr bin) und bislang ist die Notaufnahme morgen nicht besetzt und da schwebt wer im Orbit, den es treffen könnte das tun zu müssen… - (der wird gerade fertig mit schreibseln…)

Kommentare

  1. Liebe Mondkind, deine Situation ist besonders schwer, nicht nur weil du einen geliebten Menschen durch Suizid verloren hast, sondern, weil es dir schon davor nicht gut ging (jeden hätte das getroffen, aber dich besonders).
    Kannst du an frühere Kontakte wieder anknüpfen? Deine alten Komilitonen? Deine Schwester? Oder dir im Kollegenkreis neue Freundschaften aufbauen?
    Fast jeder braucht zwischenmenschliche Kontakte - klar, die können auch nicht alles "heilen", aber Einsamkeit macht es nicht besser.
    Eine Therapie kann natürlich erstmal für Kontakte sorgen, aber es ist immer eine professionelle Beziehung auf Zeit (ich hab da auch so eine therapeutische Beziehung, lange dachte ich, ohne sie gar nicht klar zu kommen, nun ist es ok, einfach zu wissen, dass es ihr gut geht und sie ihr Leben genießt und ab und zu eine Mail und vielleicht einmal im Jahr ein Treffen), aber ich habe - immerhin - meine Schwestern, seit kurzem meinen Freund, Kontakte in meiner Selbtshilfegruppe (dazu hatte ich dir schon einmal geraten, nirgendwo fühlt man sich mehr verstanden), und wenige Freundinnen (auch, wenn sich diese immer mehr verstreuen)... das habe ich mir alles hart erarbeitet und es war nicht leicht, überhaupt menschliche Kontakte zuzulassen. Gib den Menschen einen Vertrauensvorschuss, die meisten sind nette, liebe Menschen, und du bist eine nette, liebe Person, die sicher Anschluß finden würde. Du bist - ich denke aufgrund deiner Vergangenheit mit deiner Familie - total verängstigt und denkst immer, du müsstest wer weiß was leisten, um anerkannt zu werden. Aber es gibt sicher auch Menschen, die dich mögen, um deiner Selbst willen. Und ich war auch schon ganz unten, hatte nichts mehr, konnte nichts mehr, da hast du noch viel mehr Ressourcen. Manchmal verlieren wir auch Menschen aus dem Blick (wie deine Komilitonen), weil wir so beschäftigt mit unserem eigenen Leben sind oder weil es Ereignisse gab (wie den Suizid von deinem Freund), die wir nicht einordnen können und die uns überordern. Wir wissen dann nicht, was wir sagen sollen. Aber da möchte ich dich ermutigen, einen Schritt auf frühere Freunde und jetzige Kollegen zuzumachen und wieder freundschaftliche Bänder zu knüpfen. Trau dich bitte!

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    1. Hallo,
      Danke Dir erstmal für Deine lange und liebe Nachricht…

      Mir ist etwas aufgefallen an Deinen Worten: Meine erste Therapeutin; das war auch so eine ganz schwierige Beziehung, weil ich auch dachte, ohne sie nicht leben zu können. Ich habe unfassbar gelitten, als ich sie verloren habe. Und mir danach auch geschworen nie wieder so an einem Therapeuten zu hängen (auch, wenn das schwer umsetzbar ist). Aber mir war einfach bis vor wenigen Monaten nicht bewusst, wie glücklich man sich schätzen kann – wie Du auch geschrieben hast – wenn man über drei Ecken mitbekommt, dass diese Menschen glücklich sind und ihr Leben leben.

      Naja, ich bemühe mich schon ein bisschen. Jetzt gibt es gerade eine Kollegin mit der ich ganz gut zurecht komme. Die kündigt jetzt leider… - da muss ich wieder weiter suchen. Ich habe mir auch schon gedacht, dass ich mal wieder ein paar Leute anschreiben muss. Und mich zumindest begrenzt auch wieder für das Leben öffnen muss. Ich kann ja immer noch viel an den Freund denken, aber vielleicht nicht unbedingt in Gegenwart von anderen Menschen.

      Das mit der Selbsthilfegruppe… - ich bin da so ein bisschen dran. Im Moment habe ich einen Verein, die online vielleicht etwas auf die Beine stellen wollen. Ich bin mal gespannt. Hier im Kaff gibt es das nun mal nicht so richtig. Also… - Trauergruppen vielleicht noch, aber… - es kann auch sein, dass ich da mittlerweile sehr schnell gereizt bin, aber nichts hasse ich so sehr wie „Mondkind ich kann Dich verstehen, ich habe auch xy verloren.“ Kann alles sein und in manchen Dingen überschneidet sich Trauer sicher, aber ein Suizid bringt vor der Trauer eben noch viele andere Fragen mit sich.

      Ich spüre da schon ganz langsam ein bisschen Entwicklung. Ganz langsam die Idee wieder vorwärts gehen zu wollen. Der Freund kann nicht ganz umsonst gestorben sein. Im Großen und Ganzen war das sinnlos, aber wenn es einen Mini – Sinn gibt, ist es an mir, den aufzugreifen und für uns beide zu tragen. Und immerhin lebe ich noch. Sehe heute Vieles anders. Und langsam auch, dass ich jetzt nicht ewig trauern kann. Dass ich vorwärts gehen muss – ob nun mit oder ohne therapeutische Begleitung. (Wobei „Vertrauensvorschuss“ auch ein schwieriges Wort geworden ist. Der Herr Kliniktherapeut hat das auch immer eingefordert und ich habe es ihm gegeben, aber… - so richtig etwas daraus gemacht, hat er im Sommer nicht daraus).
      Noch fühlt sich eine Hinwendung zum Leben ein bisschen wie Verrat an. Noch habe ich das Gefühl, dass sich alle neuen Freundschaften und Beziehungen immer an dem Freund messen werden und ich befürchte es gibt Menschen, die trifft man nur ein Mal im Leben.
      Aber ich arbeite dran. Und dass man mich einfach mag, weil ich eben „ich“ bin – ich glaube, das muss ich auch noch lernen, da hast Du Recht.

      Es wird ein schwieriger und ein langer Weg und es ist immer noch alles so unbegreiflich. Aber ich kann jetzt nur versuchen daraus zu lernen und daran zu wachsen. Etwas anderes bleibt nicht mehr.

      Mondkind

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