Über das Helfersystem von Damals
Damals.
Ich erinnere mich manchmal an Früher.
An Studentenzeiten. Und wie das mit dem Helfersystem da so war.
Seit dem Frühling 2015 war das relativ stabil. Ich war an die Ambulanz angebunden und somit musste ich mir eigentlich nie so richtig Sorgen machen. Selbst wenn die Therapeutin mal nicht da gewesen wäre, wenn es brennt; irgendetwas hätten die sich am Empfang schon einfallen lassen, wenn man da anruft – insbesondere, wo ich da ja recht gut bekannt war.
In den letzten beiden Examensjahren war ich in der Ambulanz – wenn ich nicht gerade im Ort in der Ferne
war oder die Therapeutin im Urlaub war – wöchentlich. Und standardmäßig kurz
vor Weihnachten und zwischen den Feiertagen; das war wichtig, weil es da trotz
aller Vorbereitung immer geknallt hat.
Und wenn dazwischen etwas war – das ist selten passiert, aber es ist
passiert – dann reichte eine kurze Mail an die Therapeutin. Meistens hat sie
dann innerhalb von wenigen Stunden zurück gerufen und je nachdem wie ich mich
angehört habe und wie akut es war, war ich dann am selben Tag noch da, sonst
spätestens am nächsten. Sie wusste, dass ich nie wenn es nicht sein musste, um
einen außerplanmäßigen Termin gebeten habe; ich hatte so schon immer ein super
schlechtes Gewissen. So manches Mal waren wir eins, zwei Stunden damit
beschäftigt, die Kuh vom Eis zu ziehen und meistens sollte ich in der Woche
danach jeden zweiten Tag dort aufschlagen.
Ich weiß bis heute nicht, woher die Frau immer die Zeit genommen hat.
Durch sie hatte ich jedenfalls immens viel Lebensqualität mehr. Und ich glaube
ehrlich, dass wir uns so das ein oder andere Mal die Klinik gespart haben.
Irgendwie haben wir im ambulanten Setting kaum zu händelnde Krisen doch
irgendwie bewältigt. Mich zurück auf den Weg geschubst, ohne wieder drei
Kilometer zurück laufen zu müssen, eventuell wieder Zeit zu verlieren durch
noch einen Klinikaufenthalt. Ohne das Selbstwertgefühl zu schwächen, weil man
es wieder nicht geschafft hat. Und ehrlich gesagt glaube ich, dass diese
intensiven, engmaschigen Gespräche mit einer Person, die meine Biographie so
gut kannte, im Endeffekt auch mehr genützt haben.
Wer weiß, ob ich ohne Frau Therapeutin heute hier wäre. Sie war eine
ganz, ganz große Stütze in meinem Leben, immer super professionell, nie
ausfallend oder ausweichend.
Wartezimmer der Ambulanz |
Heute… - ist mir mal so aufgefallen – funktioniert das anders. Heute interessiert das eher weniger, wo ich bin und was ich von mir gebe. Die Zeiten haben sich geändert, ich möchte niemanden verantwortlich machen, oder das einfordern – das Recht habe ich nämlich nicht. Es ist nur ungleich schwerer.
Das Helfersystem reagiert nicht innerhalb von Stunden, sondern eher innerhalb von Wochen – wenn überhaupt. Frau Therapeutin bietet einen Telefontermin in anderthalb Wochen an; am frühen Nachmittag, was schwer realisierbar sein dürfte auf dieser Station. Herr Therapeut… - das weiß man nicht, ob das überhaupt noch etwas gibt. Sonstige therapeutische Versorgung: Noch viel schlimmer. Wartelisten von Monaten. Und auch wenn die potentielle Bezugsperson angeboten hat, nochmal herum zu telefonieren - es sind wenn, dann Lösungen, die sich noch Wochen oder Monate ziehen. Einfach nur warten. Existieren. Überleben. Hoffentlich. Versuchen, zumindest dafür zu sorgen, dass die Sicherungen nicht durchknallen, weil es zwischendurch so unerträglich ist. Wenn schon von Heute auf Morgen zu denken schwer ist, dann sind Wochen oder Monate eher Unendlichkeit.
Ich weiß, dass das keine neue Erkenntnis ist, sondern der Alltag von so Vielen. Es schafft unglaublich viel Leid. Unglaublich viel Entlanghangeln an irgendwelchen vagen Hoffnungen. Vielleicht kommt ja doch mal Jemand auf die Idee. Zu sehen, dass es dringend ist. Zeit zu erübrigen. Um einfach nur ein Ohr zu leihen, festzuhalten.
Manchmal wünsche ich mir so sehr diese Zeiten zurück. In denen ich in
der Ambulanz im Wartezimmer auf dem Stuhl saß, wusste, dass der Wegpunkt
erreicht ist. Wusste, dass die Last gleich von meinen Schultern fallen darf,
dass es okay ist, dass ich da sitze, dass mir nichts mehr passieren kann. Dass
ich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Gegenübers habe und auch selbst nicht mit
einem Ohr am Handy hänge und das andere Ohr noch für das Diensttelefon frei
haben muss und mich ohnehin kaum auf mich oder die Gesprächsinhalte
konzentrieren kann.
Vor Corona gab es noch die Idee zumindest mal gelegentlich für die
Therapie in die Studienstadt zu fahren. Ich habe einige Male den Weg auf mich
genommen, nur um ein bisschen was von dieser Schwere teilen und von meinen
Schultern nehmen zu können. Corona löst aber auch die alten Lösungen auf und
ich fürchte, dass man das danach nicht mehr aufleben lassen wird. Ich bin ja
auch weit weg und die haben mir schon einen großen Gefallen getan, das zu
dulden.
Und manchmal wünschte ich mir doch so sehr, ich dürfte dort in näherer Zukunft nochmal sitzen. Und einfach ein winziges bisschen Vertrauen, Halt und Frieden fühlen.
Diese Woche habe ich nur halb so viele Patienten wie sonst. Und trotzdem ist das Limit erreicht. Ich hoffe einfach, ich kriege die Kurve. Da hilft alles Jammern nichts und aller Erinnern an die alten Zeiten. Die Realität jetzt ist nun mal diejenige, die es ist
Mondkind
P.S. Da die Corona - Situation bei uns aktuell ziemlich entgleist, haben die heute kurzen Prozess gemacht und die komplette Klinik getestet. Bin gespannt, was da morgen bei raus kommt. Ich bin negativ; das weiß ich schon. Erleichtert irgendwie schon, ohne schlechtes Gewissen unterwegs sein zu können, obwohl man in grundsätzlich gefährdenden Situationen hinsichtlich des Virus in den letzten Tagen war.
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