Fragilität

 20:21 Uhr. Als ich das Licht lösche. Die Tür hinter mir zuziehe.

Fertig. Für heute. Nach 13 Stunden Akkordarbeit. 25 Patienten.
Aufnahmen schreiben, Entlassungen schreiben, Lumbalpunktionen, Doppleruntersuchungen, Patientengespräche, Angehörigengespräche, Konsile, Sozialdienst.

Ich schaffe es kaum bis zu Hause zu warten mit den Tränen und bin so froh über die Dunkelheit, die sich schon seit Stunden über das Land gelegt hat. Das Dorf leuchtet mittlerweile schon in seinem Weihnachtsschmuck und irgendwie ist es ein seltsamer Stich ins Herz.

Fragilität.
Ein seltsamer Mix aus „irgendwie funktioniert es doch am Ende des Tages…“ und „Mondkind, wem machst Du hier eigentlich was vor? Für wie lange ist das ein Plan? Wie lange kann man versuchen, auf der Autobahn im ersten Gang zu fahren?“

„Sie sehen stabiler aus, als damals… - ich mache mir keine Sorgen mehr…“ Und „ich glaube, Sie idealisieren den Freund da gerade etwas…“ ist das, was man so hört.

Vielleicht ist das irgendwo gewollt. Stark auszusehen. Etwas anderes bringt mir auch nichts mehr. Die Helfersysteme sind so gut wie nicht mehr existent, die potentielle Bezugsperson erreiche ich nur über die Brücke der Arbeit, deshalb muss ich in erster Linie sicherstellen, arbeitsfähig zu bleiben. Auch wenn ich froh und dankbar bin, dass überhaupt irgendetwas trägt in diesen Zeiten - dafür muss ich eben eine Menge tun.

Und dennoch darf ich diese verletzliche Seite auch nicht mehr zeigen. Ich kann mich nicht mehr so angreifbar machen, wenn ich dem nichts mehr entgegen setzen kann. Wenn die Meinung zur Fragilität der potentiellen Bezugsperson so deutlich ist und nur ein energisches Vorwärts gehen akzeptiert wird.
Es ist so schwer in Worte zu packen, wie das Innen zerfällt, während die Fassade noch steht. Wie verletzend das ist zu hören, dass die Gefühle nicht echt und nicht valide sind. Dabei ist es nur die Sehnsucht, die mich zerfrisst. Dieser Aktenstapel, von dem ich mal geschrieben habe, der immer höher wird, weil die anfallenden Akten nicht zur Seite geräumt werden können.
Und irgendwie ist es auch verletzend zu hören, dass die Fassade so stabil ist. Ich bin jetzt Wochen nur gerannt. Habe besser funktioniert als vor der Katastrophe, obwohl ich danach so viel weniger hatte. 

 

Ab einer gewissen Uhrzeit darf man Musik beim Dokumentieren hören. Beschließe ich immer...


Ich würde so gerne gesehen werden. Irgendwo ausruhen dürfen. Menschen um mich herum fühlen. Wissen, dass ich nicht weiter, als bis zu einem bestimmten Punkt fallen kann.
Ich hätte so gern jemanden, der die „kleine Mondkind“ mal übernimmt, eine Runde mit ihr über die Saalewiesen dreht und nur ganz kurz ein Ohr für ihren Schmerz hat, den ich nicht mehr tragen kann.
Ich kann einfach echt nicht mehr.

 Mondkind

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