Aus sechs mach eins...

 

Kurz nach acht am Abend.

Auf dem Weg nach Hause. Verschluckt von der Dunkelheit.
Dankbar, dass sie auch die Tränen verschluckt. Die Dunkelheit. Die nicht mehr bis zu Hause warten können.

Morgen und übermorgen habe ich die Station über weite Strecken alleine. Die Station, die wir sonst zu sechst haben. Corona – bedingt sind es ein paar weniger Patienten als sonst, aber nicht so wenige, dass man es alleine schaffen könnte.
Überall in den Journaleinträgen lese ich von der Pflege nur noch „Frau Mondkind wurde hierüber informiert…“ Kann sein. Kann auch nicht sein. Das Telefon steht nicht mehr still. Und wer was gesagt hat, weiß ich nicht mehr.
Die halbe Station voller Psycho – Fälle. Die eben einfach viel Zeit schlucken. Und Komplikationen der Neuro - Patienten. „Frau Doktor mein Bein ist heute so dick und tut weh. Ich dachte, ich sag es Ihnen mal.“ D – Dimere hoch, Verdacht auf Thrombose, die Gefäßchirurgen ins Boot holen, Untersuchungen anmelden, Medikamente umstellen, das weitere Procedere besprechen. Schon wieder 30 Minuten dahin. Ich habe heute nicht alle meine Patienten gesehen. Und das tut mir leid. Aber ich kann es nicht ändern. Mehr als 13 Stunden auf dieser Station gehen nicht. Wenn ich noch schlafen will. Wenn ich nicht schon morgen früh dekompensiert sein möchte.

Abends – das war der letzte Streich – halb acht. „Ich glaube, Sie müssen noch mal nach dem Patienten ganz hinten auf dem Flur schauen.“ Epilepsie – Abklärung. Nach langjährigem Alkoholabusus und dem Konsumieren unterschiedlichster Drogen mit Namen, die ich nicht mal aussprechen kann, zuletzt am Vortag der Aufnahme, ist der Fall eigentlich klar. Dennoch nehme ich den Patienten ernst, verspreche ihm unvoreingenommen und gewissenhaft die Diagnostik durchzuführen. Er sitzt vor mir, nervös, springt immer wieder auf, läuft durch den Raum, beschwert sich über das Essen, darüber, dass es keine Cola und keine Fanta gibt. „Ich fühle mich nicht ernst genommen“, sagt er irgendwann. „Setzen Sie sich“, weise ich ihn an. Und erkläre ihm nochmal, was wir ab morgen diagnostisch vorhaben. „Ich nehme Sie ernst. Aber wir müssen ein Team sein. Sie müssen mitmachen. Und ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist, aber es geht Ihnen gar nicht gut. Fehlen Ihnen die Drogen?“, frage ich. „Nein“, sagt er. „Was ist denn dann?“, hake ich nach. „Sie laufen hier herum wie ein aufgescheuchtes Huhn, sprechen über fehlende Cola und in Ihren Augen meint man ein Glänzen zu sehen, dass ganz sicher nicht von fadem Essen her rührt…“ „Wie soll es mir gehen…?“, fragt er. „Meine Ex – Freundin hat sich vor ein paar Monaten umgebracht, was erwarten Sie…?“
In meinem Kopf rattert es sofort. Ich überlege, wie ich ihn emotional ein bisschen abholen kann. Frage, wie lange er her ist, wie das Verhältnis war, ob er sich einfach ein bisschen was von der Seele reden mag. „Ich habe das noch nie jemandem erzählt…“, sagt er am Ende. Und bedankt sich. Ehe er sich wieder verschließt. „Sie wissen nicht, wie das ist…“, erklärt er. Und ich lasse das unkommentiert.

Kurz nach acht Uhr am Abend. Verschluckt von der Dunkelheit.
Revolverheld auf den Ohren. „Unsere Lieder“. Auf dem Heimweg.
Ich schaffe es kaum nach Hause.
Ich kann diese Patienten nicht mehr.

Die Mondkind lebt ihr altes Leben wieder. Immer da für die anderen. Klarer distanziert von der Suizidalität als jemals zuvor. Nach außen.
Bemüht nach vorne zu schauen. Nicht zu fallen. Denn wohin?
Die Kapitel haben sich geschlossen. Es ist nichts mehr geblieben.
Es geht nicht anders als vorwärts.

Aber wer gibt der Mondkind einen sicheren Ort, den sie tagsüber für ihre Patienten generiert? Wer ist für die Mondkind diejenige, die sie selbst für die anderen ist? Wer ist da, ohne dass die Mondkind umständliche Brücken bauen muss, um zwischenmenschliche Verbindungen zu generieren.
Wer ist die Schulter zum Anlehnen für die Mondkind?

 

Mondkind 

 

P.S. Ich weiß nicht, wie ich noch an Bilder bei Tageslicht kommen soll. Ich hoffe, ich schaffe es mal irgendwann wieder welche zu machen... 

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