Déjà-vu im Blutabnahmezimmer

Blutabnahmezimmer.

Blauer Stuhl. Auf den ich mich gesetzt habe. Knie angezogen. Füße auf dem schwarzen Hocker vor mir geparkt. Den Schal ein bisschen enger um den Hals gezogen. Mir ist kalt.
Diensttelefon zur Seite gelegt. Nur in Notfällen in der nächsten halben Stunde anrufen, habe ich den Schwestern gesagt. So oft wie das Telefon klingelt, wäre die halbe Station gestorben, hätten sie sich dran gehalten.

Katastrophe. Die Station. Mit internistischen Polytraumen. Und onkologischen Patienten.
Und ich. Ich bin auch eine Katastrophe. Eine wandelnde Katastrophe.

Telefontermin mit Frau Therapeutin. Zurück zu den Wurzeln. Lange gewartet auf den Termin .Viel Zeit hat sie auch nicht. Rund 20 Minuten.

Therapeutensuche. Erstes Thema. Hat nicht geklappt, Frau Therapeutin. Ich habe alles versucht. Wirklich alles. Und nicht mal mit dem Kontakt zum Chef der Psychosomatik hat es geklappt. „Es ist eine schwierige Situation…“ Lang nicht mehr gehört. Diesen Standardsatz. Diese vertraute Stimme am Ohr. Die mich durch so viele Jahre begleitet hat. „Es ist wichtig, dass Sie sich vor Ort Jemanden suchen. Das habe ich Ihnen ja schon oft gesagt.“ Das ist ungefähr so, wie wenn ich unter meine Briefe schreibe: „Weitere psychiatrische / psychotherapeutische Anbindung empfohlen.“ Als ob ich erwarten würde, dass da irgendetwas passiert. Da passiert nichts. In diesem System. In dem selbst Kontakte nicht reichen.

Sie merkt, dass mir die Stimme weg bricht. Beim Reden. Merkt an, dass es wohl nicht so gut läuft. Nein Frau Therapeutin, es läuft so gar nicht.
Déjà-vu. Auf diesem Stuhl. Auf genau demselben saß ich damals. An jenem verhängnisvollen 3. Juli. Und damals ging es mir ungefähr genauso schlecht. Nur mit dem Unterschied, dass ich damals loslassen konnte. Dass ich ein System hatte, das auffängt und trägt. Das habe ich jetzt nicht mehr.

Ich erzähle. Dass es oft nur ein Gedanke ist, der mein Gehirn streift. Und es dann vorbei ist. Dass die Dienstplanung viel hoch geholt hat. Weil sie das Ende des Jahres und den ersten Dienst in den Blick geholt hat. „Ich werde ihm nie sagen können, dass ich es geschafft habe…“, erkläre ich. Ehe mir wieder die Stimme weg bricht.
„Ich bin ein Mensch, der Enden braucht“, sage ich kurze Zeit später. „Ich darf nicht das Gefühl haben, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden und nichts mehr daran machen zu können. Und… - das passiert auf so vielen Ebenen immer wieder. Dass dieses Bedürfnis einfach überfahren wird. Ich hätte das gebraucht mit ihm ein letztes Mal am Fluss zu stehen. In der Studienstadt. Und zu wissen, dass das dort – dieser Moment in diesem Augenblick – für ein ganzes, langes Leben reichen muss. Ich hätte es wissen müssen, als ich seine Arme das letzte Mal auf meinem Rücken gefühlt habe. Ich hätte es wissen müssen, als ich das letzte Mal am Bahnhof aus dem Zug gepurzelt bin und das einer dieser Bahnhofs – Momente war, die so intensiv waren, weil wir uns so lange nicht gesehen haben und darauf hingefiebert haben…“ Immer wieder bricht mir die Stimme weg.

„Ich habe einfach Angst…“, sage ich irgendwann. „Im Prinzip wurde mir ja von Anfang an vermittelt, dass ich das nicht schnell genug hinter mir lasse. Und diese Lücke da… - die kann ich weder akzeptieren, weil sie so weh tut, noch stopfen, weil das Gefühl des Ersetzens zu stark ist. Und die Zeit, die arbeitet da eindeutig gegen mich. Gerade mit dem Jahreswechsel. Das ist eine Zeitmarke. Wo man sagen kann: „Ja Mondkind, das war letztes Jahr…“ Aber wenn es so bleibt wie es ist, wird es nur schlimmer.“
Fragile Situation. Sagt sie. Weil es mir schon vorher schlecht ging. Dieser Mensch so viel mitgetragen hat. Und es bislang offensichtlich nicht verarbeitet wurde. Weil es chronisch und langwierig werden kann, wenn man das nicht zeitnah therapeutisch aufarbeitet.
Ich kann nicht noch mehr tragen, Frau Therapeutin.

Nach dem Gespräch bleibe ich noch kurz sitzen. Auf meinem blauen Stuhl.
Maske richten. Warten, bis die Augen ein bisschen weniger rot sind.
Ich weiß nicht, wie ich das hier überstehen soll. Ich weiß es einfach nicht. 

 

Einer dieser Momente. Am Fluss in der Studienstadt. Im Sonnenuntergang.


Danach zurück auf Station.
Einer meiner Patienten wird morgen auf die Neurochirurgie verlegt. „Mondkind, ich weiß nicht, ob er Weihnachten erlebt.“ Sagt der Neurochirurg mir. Die Station macht mich fertig.
Der Patient hat Angst. Vor der Verlegung. Neue Station. Neues Personal. „Ich habe morgen Dienst drüben – wenn etwas ist, komme ich zu Ihnen. Ich bin für Sie da morgen…“ ,erkläre ich.

Eigentlich hätte ich morgen nicht da sein sollen. Aber da war ein Dienst nicht besetzt. Und wer hat den Anruf heute bekommen, mit der Bitte den zu machen?
Die Stroke Unit ist zur Palliativstation mutiert. Letzte Nacht zwei Reanimationen, mehrere Patienten, die sterben dürfen. Als ich das höre, stehen mir schon wieder die Tränen in den Augen. Ich kann das gerade nicht. Mit dem Tod das. Schon der Patient, der morgen zu mir rüber verlegt wird, hat mich emotional so sehr beschäftigt. Blogpost dazu kommt übrigens noch. Wie angekündigt. Aber nicht mehr heute.

Zu Hause. Für 12 Stunden. Dürfen da die Tränen sein. Muss eine Mondkind nicht mehr stark sein.
Wie sehr wünsche ich mir die Zeiten von früher zurück. Wo man solche Krisen mit der Ambulanz lösen konnte. Engmaschige Betreuung. Hat das meist auf wenige Tage begrenzt.
Wenn ich das alleine machen muss, dauert das nicht selten Wochen. Und man hat es ja kommen sehen. Die letzten Tage. Aber etwas anderes als weiter zu machen und zu hoffen, dass der Kelch an mir vorüber zieht, geht nicht.  Heute Abend fangen wir mal an mit Bedarf. Und hoffen, dass wir morgen keinen Überhang haben. Wie das morgen gehen soll mit dem Dienst, weiß ich nicht. Und wenn da jemand stirbt… - dekompensiere ich da glaube ich. Einfach nur acht Stunden atmen. Wir alle zusammen. Bitte.Ich kann das nicht mehr. Und es ist kein Ende mehr in Sicht.

 

Mondkind

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