Fußspuren zwischen den Zeiten

Manchmal, zwischen kompletter Erschöpfung und Einschlafen am Abend, wenn das Gehirn noch mal aufdreht, aber ich selbst zu müde bin, um ihm zuzuschauen, schieben sich doch noch ein paar interessante Überlegungen zwischen meine Hirnwindungen.

Wieso konnte nicht mal ein professionelles Helfersystem die Katastrophe heil überstehen? Menschen, die einen doch nicht dann loslassen sollten, wenn man allen Halt, alle Selbstverständlichkeiten verloren hat, wenn die Grundüberzeugungen bis auf Tiefste erschüttert sind und jeder weitere Verlust eigentlich zu vermeiden ist.

Und vielleicht… - vielleicht ist das so, dass alle Kreise sich bewusst oder unbewusst schließen. Wenn auch teilweise auf prekäre Art.

Auch der Freund war mit dem Haus verbunden. Schon 2019 wollte er unbedingt, dass ich auf diese Station gehe, wenn es eben Klinik sein muss. Das Haus habe ein gutes therapeutisches Konzept, viele Möglichkeiten. Ich war dafür nicht so sehr zu haben. Ich wusste, dass auf einer anderen Station ein Oberarzt arbeitet, den ich sehr schätze und dass es – laut ihm - dort machbar sein müsste. Die ganze Geschichte nochmal erzählen, Unverständnis riskieren – das wollte ich nicht.
Am Ende war das organisatorisch nicht so schnell zu lösen, wie ich es brauchte und ich bin doch in dem Haus gelandet, das der Freund für gut befunden hat. Damals hat er erst seit ein paar Wochen nicht mehr dort gearbeitet. Am Anfang habe ich von ihm häufiger mal gehört: „Mondkind, halte Dich mal an xy, ich glaube das ist gerade der richtige Ansprechpartner für Dich…“

Das zweite Mal in diesem Haus war alles anders. Die Geschichte kennen wir ausreichend. Ich habe mich eine Weile lang gefragt, zu Beginn, ob ich erzählen muss, wer dieser Mensch war. Aber dann hätte es passieren können, dass die mich auf der Station nicht behandeln, weil dann ja alle irgendwie mit drin hängen. Er war auch mehr mit der Tagesklinik verbunden, deshalb war die Station da oben immer mein „Schutzraum“, wenn es mir zu viel wurde. Am Anfang konnte ich die Menschen, die er kannte, kaum um mich herum ertragen.
Dem Herrn Kliniktherapeuten, dem ist er bestimmt mal über den Weg gelaufen, sicher kennen sie sich vom Sehen, aber sie haben nie in irgendeiner Form zusammengearbeitet. Und letzten Endes war ich ja hauptsächlich wegen ihm nochmal an diesem Haus.

Letzten Endes wurde über den Freund so wenig gefragt, dass ich nicht ein einziges Mal in die Bredouille kam, etwas zu erzählen.

Ich habe mich dennoch gefragt wie es aussehen würde, wenn man seine Fußspuren dort auf dem Boden nochmal leuchten lassen könnte. Wo würden sie entlang laufen? Wie sehr würde der Boden leuchten, nach all den Monaten, die er dort verbracht hat? Habe ich meinen Fuß auf denau derselben Stelle auf dem Flur aufgesetzt, auf der er seinen hatte?

Und manchmal… - manchmal hätte ich so gern einfach die professionellen Grenzen vergessen, hätte mit den beiden Menschen, mit denen er dort am meisten zu tun hatte eine Kerze auf dem Tisch angezündet, um die wir uns hätten herum setzen können und hätte mir ihre Geschichten angehört, die sie über ihn zu erzählen haben. Einfach, um ihn nochmal ein bisschen mehr in mir zu spüren.

Und wenn sie gewusst hätten, wer dieser Mensch ist, wäre dann auch gekommen: „Naja jetzt ist Ihnen mal so am Rand noch der Freund weg gestorben…“
Oder wäre es dann gar zu noch mehr Verurteilungen gekommen? Mein Umfeld hatte immer einen sehr genauen Plan davon, was das für Menschen sein sollten, mit denen ich mich umgebe. Er passte da nicht sonderlich gut in diese Anforderungen, aber für mich war es diese Seele hinter den Äußerlichkeiten, die die Gesellschaft erwartet, die mich an ihn gebunden hat.
"Mit einer Beziehung wäre das langfristig ohnehin nichts geworden...", sagte der Seelsorger mal und genau das sind die Sätze, die ich nicht mehr hören kann. Und er hat die Weisheit mit Löffeln gefuttert oder wie?

Vielleicht war das Schicksal, dass es am Ende so geendet hat auf dieser Station. Dass ich meine letzten Sicherheiten im Hintergrund auch noch verlieren musste. Weil Kreise sich schließen müssen. Vielleicht.  Und dann zusammen unter gehen. 

Warten in der Tagesklinik auf Herrn Therapeuten. Und nebenbei über Fußspuren sinneren. Das habe ich häufiger mal gemacht.

 

Jetzt erstmal auf die Arbeit. Ich kann mich nicht erinnern jemals in meinem Leben über Monate hinweg  so erschöpft gewesen zu sein. Gestern bin ich in dicker Jacke und Schal über den Flur gerast, weil mir vor Müdigkeit so kalt war. Die anderen saßen da im T – shirt.
Und dann sehe ich die „kleine Mondkind“ vor mir. Die einfach nur gehalten und getröstet werden möchte. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals wer seit dem Tod des Freundes in den Arm genommen und einfach nur gewartet hat, bis die kleine Mondkind mal fertig durchgeschüttelt wurde, von der Trauer. Und wahrscheinlich wünsche ich mir seit Monaten genau das.

"Und wenn Sie nochmal fallen, weiß keiner, wo Sie aufschlagen. Und ob Sie dann noch leben...". Auch ein Satz des Seelsorgers, der wie ein Mahnmal in meinem Kopf steht. Durchhalten. Wie und vor allen Dingen - wie lange - auch immer. Und ob es am Ende des Weges nochmal ein Licht gibt, weiß auch keiner.

 

Mondkind

 

Kommentare

  1. Verstehe ich das richtig, dass dein Freund in der Klinik gearbeitet hat, wo er da später als Patient war?
    Wie hast du ihn denn eigentlich überhaupt kennen gelernt? (Das hast du sicher schon erzählt, tut mir leid.)

    Liebe Grüße und mal wieder würde ich dir gerne etwas Kraft zusenden. <3

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    1. Guten Abend,
      sorry, wenn ich das alles ein bisschen wirr geschrieben habe. Ich musste das morgens vor der Arbeit noch schnell los werden, damit ich eine Chance habe, mich auf meine Patienten zu konzentrieren.

      Also letzten Endes war es so, dass er auf der Station, auf der ich dann war, ein Praktikum gemacht hat. Das war schon Anfang 2019 – deshalb kannte er die Station dann auch gut und hat sie mir empfohlen. Ich war ja im Sommer 2019 auch schon in der Klinik; damals eben (aber eher zufällig, weil nirgendwo anders ein Bett frei war), auf dieser Station. Er hat da allerdings im tagesklinischen Bereich gearbeitet und dort auch nur in einem kleinen Unterbereich, deshalb kannte er die ganzen Strukturen der Station nicht so gut – und auch nicht den Therapeuten, den ich dann 2019 auf der Station bekommen habe. Und das… - war so ein ganz besonderer Mensch. Nach allem was ich erlebt habe, vertraue ich eigentlich fast Keinem mehr. Das hat er auch mitbekommen. Und sich unfassbar viel Mühe gegeben und auch und weit über das hinaus gehend, das er hätte tun müssen, um das irgendwie zu erreichen, dass wir eine therapeutisch tragfähige Beziehung generieren. Hat dann auch irgendwann geklappt und selbst nach der Klinik konnte ich ihm gelegentlich noch Mails schreiben oder – viel seltener – mal mit ihm telefonieren. Das war extrem hilfreich so Jemanden im Hintergrund zu haben. Und weil ich ihm dann so blind vertraut habe, war er auch der Erste Ansprechpartner, nachdem der Freund gestorben war. Ich habe mich schon gefragt, ob das moralisch richtig ist nicht zu sagen, dass es sich um einen Menschen handelt, der eben dort mal ein Praktikum gemacht hat. Aber der Therapeut war eben nicht unmittelbar involviert und ich wusste, dass ich nirgendwo anders eine Chance habe relativ zeitnah die Beziehung mit dem Freund aufzurollen – ich habe über das was wir da miteinander hatten ja nie gesprochen, weil es sich irgendwie als sehr gut heraus gestellt hat, die wichtigsten Beziehungen sehr stark zu schützen und am Besten geht das, wenn keiner davon weiß. Ich hätte niemanden in einer so kurzen Zeit, wie ein Klinikaufenthalt sie nun mal ist, da in einer Klinik so weit vertraut von ihm zu erzählen. Deshalb bin ich für diesen Klinikaufenthalt dann halt auch fast 400 Kilometer durchs Land in die alte Studienstadt gefahren.

      Dass das alles so schief geht mit der Klinik, ich im Endeffekt am Ende des Sommers noch einen Verlust – den des Therapeuten in Person – und zusätzlich einen Verlust des Sicherheitsnetzes, das diese Institution lange für mich war verkraften muss, das war mir damals nicht klar.
      Obwohl ich heute sagen muss, dass ich mutmaßlich auch die Leute dort, die mir wichtig waren, hätte schützen müssen. Ich kann nur spekulieren, aber ich glaube ein Teil der Abweisung meines Erlebens kommt dadurch zu Stande, dass auch die Menschen, denen ich wichtig war – zumindest hat der Herr Therapeut das immer wieder betont – das nicht ertragen konnten, dass mir das passiert ist und ich diesen Verlust erleben musste.
      Aber das wird man mutmaßlich nie mehr klären können. Was für mich sehr schrecklich ist, weil das wieder ein Ende ohne Ende ist.

      Ach jetzt habe ich wieder zu viel geredet – über letzteres könnte man einen eigenen Blogpost schreiben.

      Der Freund und ich… - wir haben uns an der Uni kennen gelernt. Er war da ständig irgendwo Gasthörer. Und hat auch super gern seine Wochenenden in der Uni – Bibliothek verbracht. (Was ich – die dazu oft genug gezwungen war aufgrund von Prüfungen – manchmal so absolut gar nicht verstehen konnte… ;) )

      Und Danke Dir, Kraft brauche ich mehr als alles andere. Ich war noch nie in meinem Leben über Monate hinweg so erschöpft.

      Liebe Grüße
      Mondkind

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