Briefchen - über unser "wir"

 

Hey mein lieber Freund,

na, wie geht es Dir? Wie sieht Deine Welt aus? Es weihnachtelt so langsam hier unten in diesem Ausnahmejahr. Siehst Du das? Siehst Du mich? Ist meine Kerze neben Deinem Bild das Tor in meine Welt… ?

Ich muss Dir etwas erzählen. Es war eine schwere Woche. Eigentlich so… - eine der Schwersten, seitdem Du nicht mehr da bist. Teilweise habe ich sogar auf der Arbeit geweint und hatte dann irgendwann einfach wortlos die Hand von dem für mich verantwortlichen Oberarzt auf meiner Schulter. Von diesem Menschen, der sonst immer so im Stress ist, wie ein unruhiger Tiger das Arztzimmer auf und ab läuft. Da ist das eine große Geste.

Was war los… ? Das wusste ich lange selbst nicht. Wenn ich jede Nacht klatschnass immer wieder aus denselben Albträumen hoch geschreckt bin. Wenn ich abends eine halbe Stunde auf dem kalten Wintergarten lag, um mich wieder ein bisschen ins Jetzt zu holen. Wenn ich morgens immer noch im Spiegel in rote Augen geschaut habe und mich wie vom LKW überrollt gefühlt habe. Wenn ich auf der Arbeit einen Arztbrief geschrieben habe und nach einem halben Satz das Textverständnis am Ende war.

Es gibt nur noch wenige Menschen, die dosiert Kritik üben dürfen. Deren Kritik ich mir überhaupt zu Herzen nehme, ohne sie sofort abzuschmettern. Die Frage war immer: Bist Du Dir sicher, dass es wirklich um den Freund geht?

Jetzt spüre ich langsam, dass die Trauer sich ein bisschen bewegt und verschiebt. Ich trauere nicht nur um Dich als Menschen und um die Tatsache, dass Du nicht mehr da bist. Ich trauere um uns. Um all die Pläne, die wir hatten und nie umgesetzt haben. Um all die Chancen, die wir verpasst haben. Wir wollten doch im Sommer nach Holland zelten fahren, wir wollten endlich mal Dein Auto hier runter holen, wir wollten zusammen aufs Revolverheld – Konzert gehen. Wir wollten uns mal wieder in der Studienstadt treffen und unsere Café – Dates fortführen in Cafés, die ich noch nicht kenne. Wir wollten uns doch mal wieder in der nächstgrößeren Stadt von hier entfernt treffen und durch die Weinhänge spazieren gehen.

Ich weiß, dass Du absolut keine Schuld daran hattest, dass das nicht die Realität geworden ist. Ich weiß, dass ich diejenige war, die da einfach irgendwie nicht aus dem Tee gekommen ist. Du hast das immer auf Dich selbst bezogen – aber es hatte nichts mit Dir zu tun. Es waren meine verdrehten Glaubenssätze, die mich haben denken lassen, dass ich nur ein wertvoller Mensch bin, der es verdient hat geliebt zu werden, wenn ich erfolgreich bin. Und beides habe ich so schlecht unter einen Hut bekommen. Ich glaube nur heute… - Dir wäre das einfach völlig egal gewesen, welche Prüfungen ich bestehe oder auch nicht und was ich so auf der Arbeit treibe.

Es beschäftigt mich so sehr, dass Du so massiv unter der ganzen Situation gelitten hast, dass Du gestorben bist. Dass ich nicht besser für Dich da sein konnte, nicht besser auf Dich aufgepasst habe. Dass ich Deine Bedürfnisse viel zu wenig gesehen habe.
Es tut mir so unendlich leid. Gar nicht mal so sehr für mich. Sondern für Dich.
Ich habe ja theoretisch die Möglichkeit nochmal mit jemandem glücklich zu werden. Du hast diese Möglichkeit nicht mehr. Und ich habe sie Dir genommen.

Weißt Du… - es zerreißt mir das Herz, dass wir zumindest in dieser Welt nicht mehr wissen werden, was das mit uns geworden wäre. Und es zerreißt mir das Herz zu wissen, dass wir diese Zukunft von der wir beide geträumt haben, vermutlich nie zusammen hätten erleben können. Wenn Du nicht gestorben wärst hätte es mich ziemlich sicher ein paar Wochen später erwischt. Ich glaube nicht, dass ich das überlebt hätte, wenn ich da nicht in der Psychiatrie gewesen wäre.
Es macht mich alles in gewisser Hinsicht mitschuldig. Ich hätte die Menschen genauso verletzt, wie Du es getan hast. Ich hätte genauso wenig wie Du gewusst, wie das alles was man glaubt zu haben, erschüttert.
Es ist so dramatisch, dass diese psychischen Krankheiten uns in einer Welt voller Möglichkeiten so sehr eingeengt haben. Es wäre doch theoretisch möglich gewesen. Das mit der Beziehung, wenn nicht alle meine Glaubenssätze vermittelt hätten, dass man Glück nur verdient hat, wenn man das Leben perfekt im Griff hat.
Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid, dass Du gestorben bist, weil ich es nicht auf die Reihe bekommen habe.

Wie es jetzt weiter geht… ? Tja, wenn ich das wüsste. Die potentielle Bezugsperson hat gestern Abend noch angerufen. Er war im Auto auf dem Weg in die Heimat und ich saß noch im Arztzimmer. Und das oben Gesagte war dann nach vielen Tränen das Resultat. 


 

„Mondkind, Du leidest wie ein Hund unter all dem was passiert ist – Du brauchst jetzt ganz dringend einen Therapeuten. Und irgendwie hat man das Gefühl, Du willst das überhaupt nicht…“ „Will ich auch eigentlich nicht…“, habe ich ihm geantwortet. „Da kommen dann wieder Leute und erzählen etwas von Vertrauensvorschuss und dann – wenn es wirklich wichtig wird, wenn es darum geht, ob die Mondkind wieder untergraben wird, weil sie genau ein Mal nicht das getan hat, was man von ihr erwartet, dann lässt man die Mondkind einfach stehen. Wirklich, das mit dieser Verlegung auf die Geschlossene… und ich hatte keine Möglichkeit mehr mich zu erklären, die haben mir ihre Begründung gar nicht erst gesagt, weil die wussten, dass sie die nicht halten können – da wäre der Herr Therapeut wichtig gewesen und genau da habe ich wochenlang nichts mehr gehört. Und das Einzige und Letzte das ich gehört habe war, dass er nicht mehr für mich da sein kann. Wirklich, ich kann nicht mehr.“

„Mondkind, Stop“, habe ich dann nur von ihm vernommen. Er hat mir zugestimmt, dass er – auch in seiner eigenen Psychiatrie – Karriere - selten eine so desaströse Entlassung erlebt hat, an der ich sicher nicht ganz unschuldig war, wie er immer betont, aber die im Gesamten sicher traumatisierend war. „Aber Mondkind – und das gilt für viele Lebensbereiche: Du kannst die Gegenwart nicht mit der Vergangenheit argumentieren. Das können wir uns nicht mehr leisten. Es ist mir völlig egal, wann Dir was passiert ist. Was Deine Eltern getan haben, oder auch nicht, was Deine Therapeuten getan haben, oder auch nicht. Du musst Dich jetzt bewegen. Du brauchst einen Therapeuten, Du musst jetzt Gott verdammt mal Fahrstunden nehmen und Dir ein Auto zulegen…“
Auf der einen Seite fühle ich mich damit so unverstanden. Auf der anderen Seite weiß ich: Er hat im Kern Recht. Ich komme nur aus dem Leid raus, wenn ich mich bewege. Ich kann das was passiert ist, nicht mehr rückgängig machen. Ich kann Dich nicht mehr lebendig machen, ich bekomme den Herrn Therapeuten nicht zurück. Aber ich kann mich bemühen nicht nochmal so viel falsch zu machen. Ich kann mich bemühen, glücklicher zu werden. Ich kann mich bemühen Schritt für Schritt die Suizidalität loszulassen, weil das für alle Beteiligten nur scheiße ist.

Und weißt Du was… - es ist schwierig auf dem Boden einer Krise nicht mehr mit der Suizidalität zu argumentieren. Nicht mehr zu sagen: Vielleicht ist das ja jetzt hier das Ende.
Und es ist noch schwerer einem Menschen ein Stück weit zu vertrauen, der im Sommer für so viel Leid gesorgt hat. Und ein bisschen bin ich immer noch vorsichtig und versuche seine Ansprüche zumindest ein bisschen zu erfüllen. Ich hoffe, er bleibt noch ein bisschen.

Und irgendwie… - fehlen mir ein bisschen die Worte für all den Schmerz. Ich hätte einfach nicht gedacht, dass meine ganzen Insuffizienzen Dich irgendwann umbringen. Das ist so das Ding. Es ist so unfair, dass Dein Sterben mein Aufwachen wird. Ein bisschen zumindest. Und es ist eine krass große Verantwortung, dieses Leben hier. Weil es ein bisschen für uns beide ist.
Und ich hoffe… - ich hoffe wir sehen uns irgendwann. Und ich hoffe, ich fühle irgendwann wieder Deine Arme auf meinem Rücken.

Ganz viel Liebe
Mondkind

 

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