Neun Monate - Eine Ergänzung

Hey mein lieber Freund,

Irgendwie bin ich noch nicht fertig mit reden, ist mir heute Nacht aufgefallen.
Das erste Ostern ohne Dich. Weißt Du noch, letztes Jahr waren wir zum getrennt – gemeinsamen Kochen verabredet. Du hattest die Aufgabe ein Rezept zu suchen und irgendwie… - wolltest Du es glaube ich sehr fancy machen. So ein Ding mit Süßkartoffeln und Kichererbsen. Ich koche das heute noch häufiger nach und denke an Dich.
Ostern ohne ein einziges, richtig gutes Telefonat, das mehr als die üblichen verpflichtenden Familientelefonate ist, ist schon sehr einsam. Sehr einsam. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so mitnimmt. Wo ich doch heute sogar auch noch neun Stunden, statt der geplanten vier arbeiten war.

In den letzten Tagen ist es in Bezug auf Dich nochmal viel um das Thema Patientenverfügung gegangen, das ich irgendwie all die Zeit verdrängt hatte. Und ohne näher drauf eingehen zu wollen - ich glaube, ich habe das nie genügend wertgeschätzt, dass ich offensichtlich zum wichtigsten Menschen im Leben eines anderen Menschen geworden war. Einfach nur, weil ich ich selbst war. Mit diesem Studium, mit den Leistungen, aber auch mit dieser tiefen Traurigkeit, mit der Überforderung des Lebens, der kindlichen Naivität, der Suche ins Leben.
Ich weiß nicht mal, ob mir das selbst so klar war. Dass das, was ich gesucht habe, so nah vor mir stand. Vielleicht hätten wir uns öfter sagen sollen, wie wenig wir ohne den anderen können. Und wollen.

Es wird langsam wirklich Frühling. Der Erste ohne Dich...

Wenn ich mir einen Moment aussuchen dürfte, den ich noch mal erleben möchte, dann wäre es einer dieser Bahnhofsmomente. Noch bevor wir uns gesehen haben. Ich in der nächstgrößeren Stadt, wie ich den ganzen Abend auf den Fernbus gewartet habe. Bis tief in die Nacht; 23 Uhr ist er los gefahren. Wie Du darauf bestanden hast, in der Leitung zu bleiben um sicher zu gehen, dass ich nicht geklaut werde, was mich immer tief berührt und bewegt hat, dass wer so sehr auf mich aufpasst. Habe ich das mal laut gesagt? Wie Du erst aufgelegt hast, wenn ich Dir gesagt habe, dass ich im Bus auf meinem Platz sitze. Wie wir beide wussten, es ist geschafft. Viele Tage, in denen ich mit Angst ins Krankenhaus gegangen bin, liegen hinter mir. Aber die zählen jetzt auch nicht mehr. Was zählt ist, dass uns beide noch ein Sonnenaufgang trennt.
Oft konntest Du mich so früh in der Studienstadt nicht abholen, aber einmal bin ich frühs dann in die Stadt gefahren und wir waren frühstücken. Das war so ein Moment, in dem ich die Welt hätte umarmen können. Das war Glück. Danach hatte ich Therapie und danach waren wir schon wieder für das Post – Therapie – Cafè – Date verabredet.

Manchmal frage ich mich, warum ich diese Klinik, die Unterstützung dort, die stabilste therapeutische Säule, die ich hatte, unbedingt in der Krise meines Lebens verlieren musste.
Vielleicht auch ein bisschen, weil Du nicht mehr da warst? Nicht mehr sagen konntest: „Mondkind, mach es so…“ Ich glaube, Du hast jede Mail an den Herrn Kliniktherapeuten gegen gelesen. Ich wollte sie immer erst los schicken, wenn jemand gesagt hatte: „Kannst Du so schreiben Mondkind.“ Du hast selten etwas geändert, aber ich brauchte diese Rückversicherung.
Manchmal sehne ich mich sehr danach, morgens nochmal in Sicherheit aufwachen zu dürfen. In einem Umfeld, in dem es auch manchmal reicht, wenn das Einzige was Du an dem Tag tust, atmen ist. Und Erinnerungen teilen. Und irgendjemanden haben, der zuhört. Manchmal sehne ich mich bis heute nach einem Rendezvous mit Herrn Kliniktherapeuten in der Leitung, der so wunderbar tragen konnte in den Katastrophen, das irgendein Teil des Herzens sich sicher gefühlt hat, auch wenn 400 Kilometer dazwischen lagen.

Ich habe so sehr Angst vor den nächsten Wochen. Vor allem was da kommt. Ohne ein sicheres Unterstützungssystem; das ist alles so sehr inkohärent hier. Ohne dass Jemand sagt: Ruf mich einfach an den entscheidenden Tagen an, wenn Du nicht mehr weißt, wohin mit Dir.“
Versprich mir, dass Du ein bisschen auf mich aufpasst. Versprich mir, dass mein Herz nicht zerbrechen wird, weil es so unglaublich weh tut. Und versprich mir, dass es Dir besser geht, wo immer Du auch bist. Versprich mir, dass Du Frieden gefunden hast und dass ich den eines Tages auch finden werde. Versprich mir, dass wir uns eines Tages sehen werden und versprich mir, dass wir über all die ungeklärten Fragen reden werden. Und versprich mir auch, dass wir versuchen uns zu verzeihen.
Ich verspreche Dir dafür, dass ein Teil von Dir immer hier bei mir bleiben wird. Wo immer ich auch hin gehe, wen immer ich auch kennen lerne.

Ganz viel Liebe in Richtung Universum. Du fehlst hier. Jeden Tag.
Ich weiß nicht, wie ich noch passende Worte finden soll. "Du fehlst hier", klingt viel sanfter, als es ist. 


Mondkind

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