Sinuskurven - Beziehung

Die Osterstille ist überstanden.
Es gibt so Momente, in denen bräuchte ich einfach nur ein paar tröstende Worte. Eine Umarmung. Und ein „Sei Dir sicher, dass Du nicht alleine bist…“

Es gibt Mails an die potentielle Bezugsperson, in denen auch mal die Verzweiflung und Fragilität laut wird. Wie die Frage, wie die nächsten Wochen wohl zu bewältigen sind. Weil die Angst davor ja manchmal schlimmer ist, als es die Realität am Ende ist.
Und ich jetzt gerade eine ausgestreckte Hand benötige, von der ich weiß, dass ich sie nehmen kann, wenn ich sie brauche.

Nur leider verläuft die Beziehung zwischen der potentiellen Bezugsperson und mir wie eine Sinuskurve. Jedes Mal. Und wir lernen es beide nicht.
Jedes Mal, wenn es gerade gut zwischen uns läuft, wenn ich das Gefühl habe, dass er vielleicht ein bisschen von meiner Zerbrechlichkeit mitbekommen darf ohne, dass er das direkt nutzen wird, um mir weh zu tun, ist der Gipfel der Kurve erreicht. Passe ich einmal nicht auf, lasse ich einmal die Angriffsfläche stehen, findet er sie sofort.
Es ist anstrengend geworden. Sich immer und immer wieder anhören zu müssen, dass ich mir mindestens die Hälfte der Geschichte ausgedacht hätte, dass ich Schuld an meiner eigenen Verzweiflung bin, dass diese Beziehung zwischen dem Freund und mir nie existiert habe. Er muss es ja wissen, so scheint es.
Und irgendwie fange ich langsam an, an meinem eigenen Gehirn zu zweifeln. Vielleicht habe ich mir wirklich die Hälfte ausgedacht… ?

Und vielleicht… - vielleicht ist genau dieser Punkt der Punkt, es einfach zu lassen.
Nicht mehr in Gegenwart von anderen Menschen über den Freund zu reden. Es bringt nichts. Es verletzt mich nur immer und immer wieder. Und die potentielle Bezugsperson kann das besonders gut. Andere könnten das inhaltlich genauso, aber mich erstaunt es immer wieder, wie ein Mensch, der zwischenzeitlich der Inbegriff von Fürsorge ist, solche Dinge raus hauen kann. Und dann verletzt es ganz besonders doll, dann fühlt es sich immer noch so an, wie damals die erste Mail dieser Sorte, die ich in der Psychiatrie nachts im Badezimmer gelesen habe. Dann habe ich immer noch schlaflose Nächte, weil ich so sehr Angst habe, diesen Menschen zu verlieren, weil er der Letzte ist, der geblieben ist.
Ich habe nie einen Menschen kennen gelernt, der in einer Person so viel Fürsorge und so ein extremes Übertreten von Grenzen gleichzeitig vereint hat. Zweiteres bin ich ja irgendwie gewohnt, auch von der Familie, aber da suche ich natürlich auch keinen Halt. Aber bei ihm… - hoffe ich eben doch immer wieder, ihn auf dem richtigen Fuß zu erwischen und jedes Mal in diesen ganz fragilen Situationen ist das ein Roulette – Spiel. 

Er hat mir jedenfalls gestern durch die Blume gesagt, dass er mit mir nicht macht. Die Jahrestage. Die da kommen. Dass das alles zusammen konstruierter Müll ist und er dafür nicht bereit ist. Die neue Therapeutin hat im Prinzip in der ersten Stunde gesagt, dass wir Krisen nicht brauchen können; ich wollte eigentlich trotzdem recht schnell das Konsil auf den Weg bringen, dass wir die Therapie zumindest beantragen können. (Und damit die potentielle Bezugsperson sieht, dass hier etwas passiert, er hat nämlich schon wieder kritisiert, dass das mit der Therapie nicht gut genug läuft…) Aber was bei dem Hausarzt los ist, weiß ich aktuell auch nicht. Entweder da ist am Telefon besetzt oder es geht das Band dran; wahrscheinlich ist er wie die Meisten noch im Osterurlaub, also wird das frühestens nächste Woche etwas. Er hat auch nur ein Mal wöchentlich länger offen.

Wie die Dinge mit einem völlig gesprengten Helfersystem klappen können; ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich einfach funktionieren und atmen. Und wie „normal“ Tage selbst nach einer tränenreichen Nacht aussehen können, hat man heute wieder gesehen. Perfekte Mondkind – Fassade. Für jeden ein Lächeln, ein nettes Wort, konzentriertes Arbeiten, bis 14 Uhr 10 Patienten durch meine Hände geschleust.
Nur wie lange die Kraft in diesem hochfunktionalen System noch reicht… - das weiß ich nicht. Abgesehen von der Arbeit steht ja seit Monaten alles. Viele Kapazitäten sind da nicht mehr. Und manchmal bröckelt es ja schon; das wurde mir vor einigen Wochen mal rückgemeldet.
Aber ich gebe mir Mühe. Bis zum Ende. So war es schon immer. 

Mondkind 

Bildquelle: Pixabay

Kommentare

  1. Nur du - und dein verstorbener Freund - können wissen, was das zwischen euch war. Ich würde das auch nicht immer wieder bewerten lassen.
    Du hast zum einen die Riesenbaustelle Suizidangehörige zu sein, aber du darfst auch nicht vergessen, du warst auch - mit dieser Beziehung - selbst suizidal. Beides muss man bearbeiten.

    Ich halte die Beziehung zu deinem Oberarzt für toxisch, genauso wie deine ganze Arbeitssituation. Ich würde mich da ganz herausnehmen, hast du mal über eine Reha nachgedacht? Und dann mir etwas neues suchen, du machst dich nur immer mehr kaputt.

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    1. Das unterschreibe ich.
      Du kannst diese Klinik nach 1,5 Jahren Weiterbildungszeit ruhigen Gewissens verlassen. Such dir eine Teilzeitstelle, 80%, in einer Rehaklinik, da gibt es aktuell dank der Covid-Patient*innen genug Bedarf, dass du deine Wünsche anbringen darfst. Und dann nimm dir Zeit für dich, die ambulante Therapie, um das Leben wieder kennenzulernen. Nicht nur die Medizin. Nicht nur die Arbeit und die Menschen, die du in dem Zusammenhang dort triffst.
      Als Neuro-Assistentin mit Klinikerfahrung wirst du überall mit Handkuss genommen. Dir wurde von deinen Eltern gruseligerweise so viel Horror eingeimpft, dass du den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst. Du wirst nicht unter der Brücke enden, wenn du in deiner Weiterbildungszeit die nötigen Pausen einlegst, damit du nicht von ebendieser Brücke springst.

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    2. Dieser Oberarzt oder auch Bezugsperson ist wahrscheinlich der Mittelpunkt deines Lebens aber leider auch derjenige, der dich wenn du nicht aufpasst ruinierst.

      Er spielt mit Dir. Immer wenn Du glaubst einen Schritt weiter zu sein, gehst Du sofort 10 Schritte zurück und das macht dich unendlich wütend. Du glaubst wahrscheinlich, dass das ein Zufall ist. Ich glaube eher es ist kalkuliert. Er will dich gar nicht so sehr in seinem Leben. Er hält dich auf Abstand.

      Der einzige Weg daraus ist diese Verbindung zu kappen und damit wahrscheinlich tatsächlich ein Klinikwechsel. Sonst kommst du aus der Mühle nicht raus.
      Du glaubst, dass du frei warst, als Du endlich dein eigenes Leben an diesem Ort angefangen hast, aber im Wahrheit warst Du in der nächsten Abhängigkeit.

      Mach Dich mal wirklich frei, denn nur du selbst kannst dich glücklich machen. Warte nicht bis irgendjemand anderes dich glücklich macht. Das wird nicht funktionieren.
      Und du wirst sehen... Wenn du wirklich frei bist, wirst du auch glücklich, denn dann liegt es jeden Tag in deiner Hand.

      Ich habe es selbst erlebt... Glaub mir

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    3. Hey Ihr Drei,
      Danke erstmal für Eure Kommentare. Mich berührt das immer sehr sehr, wenn sich jemand die Zeit nimmt, um mir zu schreiben.

      Ich glaube, dass das für mich aktuell ein riesiges Problem ist, dass ich - wie Du sagst - auch mit dieser Beziehung zum Freund teilweise wirklich sehr suizidal war. Und es so grundsätzlich bis heute teilweise bin, wenn auch weniger. Was hätte ich ihm angetan, das frage ich mich immer wieder. Und woher kam denn so viel Schmerz früher, wo ich doch so eine treue Seele vor meiner Nase hatte. Ich kann viele Dinge heute irgendwie nicht mehr so richtig einordnen, ehrlich gesagt.

      Zu dem Job: Naja... - irgendwie habe ich bis heute das Gefühl, das alles was nicht über Notaufnahme - Flure fegen und Leben retten ist, gleichzeitig Versagen ist. Und das ist wahrscheinlich einer der großen Knackpunkte. "Du bist ein richtiger Arzt, wenn Du Dienste machen kannst. Dann bist Du auch für die Klinik fast unersetzbar." Das ist der Tenor und das ist glaube ich auch einer der Punkte. Ich muss ein Mal in meinem Leben das Gefühl habe, dass es auffallen würde, wenn ich irgendwo fehle.
      Und deshalb ist dieser Job so Vieles gleichzeitig. Auf der einen Seite eine für mich kaum tragbare Belastung und ganz viel Horror, auf der anderen Seite aber auch sozialer Halt und meine Existenzberechtigung.
      Ich sehe auch, dass ich das nicht noch 20 Jahre machen kann, ohne daran kaputt zu gehen. Da muss eine andere Lösung ran. Aber dazu müsste vermutlich erst die Therapie in meinem Hirn ein paar Dinge verschieben. Ich hoffe, dass ich irgendwann dahin komme. Dass ich sagen kann: Es ist auch okay, wenn mein Leben etwas ruhiger ist. Wenn ich nicht täglich über die Notaufnahme fege. Wenn ich mehr bei mir bin, das Leben genieße und glücklich bin. Und das ist nichts Verwerfliches, sondern eigentlich das, wonach jeder Mensch streben sollte.

      Zu dem Oberarzt und mir... - ich weiß es nicht. Einerseits denke ich mir: Ich bin sowas von abhängig von diesem Typen, das kann nicht gesund sein. Und eigentlich wollte ich nie wieder so abhängig sein. Wahrscheinlich bin ich tatsächlich von einer in die nächste Abhängigkeit gerutscht über die Zeit. Aber es war nicht immer so mit uns. Es hat mal so angefangen, wie ich mir das gedacht habe. Er hat mir einen Rückzugsort und einen Raum zum Reflektieren gegeben und in dem ich sicher sein konnte, wenn ich wollte und gleichzeitig den Raum gegeben, mein Ding in der Welt zu machen. Das hat sich erst seit dem Tod des Freundes so geändert. Und ich weiß nicht, ob das nicht eher der Grund ist. Und ob wir nicht versuchen sollten, das was da gerade schief läuft irgendwie zu lösen und dann klappt es vielleicht wieder besser.
      Aktuell ärgert es mich auch, dass meine Stimmung so sehr an seiner hängt. Und manchmal denke ich mir: Solange wie wir uns noch aneinander reiben können, bedeutet es uns beiden auch noch irgendwie etwas. Er ist eigentlich der letzte Mensch, der nach dem Tod des Freundes aus dem Leben von davor noch übrig ist, bei den anderen lief das alles unkomplizierter und schneller. Teilweise konnte ich mit deren Aussagen nicht umgehen und hatte keine Kraft und Lust mich da rein zu hängen, teilweise wollten die anderen sich nicht mit meinem Standpunkt auseinander setzen. Und manchmal denke ich mir: Solange wie wir immer wieder einen Schritt aufeinander zu gehen können, lohnt es sich noch.
      Ich weiß es nicht. Man muss es sehen. Dass man frei von allem und ganz allein auf sich gestellt glücklich werden kann, wo der Mensch doch ein soziales Wesen ist... - das bezweifle ich halt auch...

      Mondkind

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  2. "Ich muss ein Mal in meinem Leben das Gefühl habe, dass es auffallen würde, wenn ich irgendwo fehle."

    Dein Fehlen fällt in der Klinik auf, weil die Obrigkeiten Feuer unterm Hintern kriegen, da die Patient*innen dann nicht versorgt sind durch am Rande des Nervenzusammenbruchs stehende Assistent*innen.

    Es geht in der Klinik nicht um dich oder die Wertschätzung, die dir als Person entgegengebracht werden sollte. Du hast dein Leben lang gelernt, dass du nur etwas wert bist, wenn du Leistung erbringst - das ist jetzt im Arbeitsleben ganz genauso. Nur, dass du es auch noch mitträgst, obwohl du inzwischen die finanziellen Möglichkeiten hättest, das nicht mehr zu tun. Diese Klinik zu verlassen, dir einen angenehmeren Job zu suchen, und dich mit deinen Traumata auseinanderzusetzen.

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