Montag...

Montag.
Eigentlich sollte der Tag nicht so schlimm werden. Aber man kann’s nie wissen, sobald man seine Füße vor die Haustür bewegt.

Ausgeliehen auf die Stroke Unit.
Visite. Eigentlich bin ich gut vorbereitet. Befinde ich zumindest.
Denn was ich nicht wissen kann ist, dass der Oberarzt steif und fest behaupten wird, dass eine meiner Patientinnen einen Stent bei ischämischer Colitis hat. Ich habe nichts davon gelesen, aber dass es (noch) kein Dokument darüber gibt heißt nicht, dass das Ding nicht existiert. Es existiert nicht, ich habe die Internisten, von denen sie kam, später angerufen.
Eine andere Patientin ist mit ihrer ZNS – Angiitis seit vielen Jahren mindestens 20 Mal bei uns gewesen und nein, ich habe es nicht in einer Stunde am Morgen geschafft, alle Briefe zu lesen.
Ein anderes Sorgenkind hat ein schlechtes Labor, ich habe eine Kontrolle für den Abend aufgeschrieben und ich bete, dass die Werte besser werden – sonst habe ich morgen noch ein Problem.
Du kannst nur so gut sein, wie Deine Patienten sind.

Der Oberarzt war nicht zufrieden mit meiner Visite. Hatten wir nicht… - gerade gestern die Diskussion darüber? Also nicht ich mit ihm, sondern im Blogeintrag von gestern?
Ich meide ihn den Rest des Tages, wo es geht. Das ist Gesetz hinterher. Und so oft frage ich mich an solchen Tagen, ob ich irgendein Recht habe, in seinem Leben herum zu turnen, seine Zeit zu beanspruchen, die Tatsache, dass er für mich hinsichtlich der Therapie mal seine Connections heraus gekramt hat? Dafür müsste ich doch im Gegenzug zumindest minimal funktionieren.
Ich kann ihn mal mindestens diese Woche für nichts mehr ansprechen. Zumindest nichts Privates.

Die Mutter des Freundes.
Hat gestern Abend vorgeschlagen, ob wir nicht – statt ellenlange Texte zu schreiben – einfach mal telefonieren sollten. Nachdem jetzt heraus kam, dass wir beide am selben Tag doch noch mal mit ihm telefoniert haben. Große Verwunderung ihrerseits. Naja, er wollte sich vielleicht verabschieden.
Sie hat mir ihre Nummer gegeben und mir vorgeschlagen, dass ich mich melden soll, wenn ich eine Lücke habe. Auf der einen Seite kann ich nicht mehr warten, auf der anderen Seite… - was soll das geben… ? Über was sollen wir reden? Wie viel weiß sie überhaupt? Wo sind Ihre Grenzen dessen, was sie ertragen kann? Sie formuliert immer „der Tag, an dem er nicht mehr bleiben wollte“ und vermeidet die Benennung dessen, was es war. Und nein, sie muss es nicht benennen, aber ich möchte sie nicht verletzen, nicht ihr basales Gleichgewicht aus dem Takt bringen und ich selbst muss auch irgendwie weiter funktionieren.
Wie wird ihre Stimme klingen… ? Ist sie ähnlich der des Freundes? Werde ich das aushalten, ohne augenblicklich in Tränen auszubrechen? Kann ich meine Neugier im Zaum halten, wo ich doch am liebsten auf jede Frage eine Antwort hätte?

Heimweg. Heute.
Ich mache einen Umweg durchs Nachbardorf, schmeiße der Therapeutin das ausgefüllte Konsil in den Briefkasten, das ich heute Morgen vom Hausarzt abgeholt habe, das der in meiner Abwesenheit über das Wochenende ausgefüllt hat, nachdem ich es ihm in den Briefkasten geschmissen habe. (Sehr fürsorglicher Hausarzt… - nicht). Deshalb war ich auch zu spät auf der Arbeit, hatte weniger Zeit, die Visite vorzubereiten, habe noch ein „Stress Dich nicht“ vom Oberarzt gehört ohne zu wissen, dass er mir ein paar Stunden später wohl doch liebend gern den Kopf abgerissen hätte.
Tränen in den Augen, während ich den Berg hinab fahre, über die Brücke, unter der die Züge durch rollen, in denen ich so oft saß auf dem Weg zum nächst größeren Bahnhof um dort in den Bus zu steigen, der mich über Nacht in die Studienstadt bringt.
Zu Hause habe ich das Gefühl, mein Hirn müsse augenblicklich aus meinen Kopf heraus springen, so sehr tut es weh. Aber ich kann mich nicht mehr beruhigen, nicht aufhören zu weinen, obwohl es dem Kopf helfen würde. Liege lange auf meinem Bett, ehe ich es schaffe, ein paar Worte zu schreiben.
Ich kann dieses Leben nicht mehr. Ich kann nicht jeden Tag so tun, als sei nichts gewesen. Obwohl ich an das Leben vor diesem Ereignis kaum noch Erinnerungen habe. Weil das wahrscheinlich so weh tun würde, dass mein Kopf es lieber auslöscht. Ich kann nicht mehr jeden Tag in den Wissen leben, dass das Schicksal ihn mir vielleicht weg nehmen musste, weil ich mich nicht am Riemen reißen konnte. Weil ich nicht so viel Abstand zu ihm halten konnte, wie es nötig gewesen wäre mit all meinen Fehlern und diesem Leben, das von so vielen Ängsten und Zwängen beherrscht wurde, dass ich nicht die stabile Schulter an seiner Seite sein konnte, die er gebraucht hätte. Ich kann diese Parallelwelten nicht mehr. Dieses Funktionieren auf der Arbeit, die Verpflichtung dazu, unabhängig von allem anderen. Am Donnerstag den 24 – Stunden Dienst, an seinem Geburtstag, den ersten ohne ihn, ohne irgendeinen Halt.
Und ich will es auch nicht mehr können. Ich will diesen Schmerz nicht mehr jeden Tag ignorieren müssen, bis er mich irgendwann im Rahmen von Kleinigkeiten überfällt.
Ich will nicht mehr leben müssen ohne zu wissen, dass es irgendwo eine Schulter zum Anlehnen gibt. Die da ist. Wenn die Zeiten schwer werden. Unabhängig von meiner  Leistung.

Morgen ist Chefarztvisite. Wenn ich es morgen in den Augen von Ober- und Chefarzt vergeige, habe ich ein Problem. Es wird also eine sehr ruhige Nacht… - nicht.

Und falls jetzt irgendwer eine Idee hat, wie man mit der Mutter eines verstorbenen Freundes telefoniert, über was man spricht, was ich vielleicht auch erzählen kann, ohne sie zu verletzen, der darf gern ein Kommentar dalassen.
Um das liebe Kommentar von gestern kümmere ich mich noch. Aber heute kann ich wirklich nicht.

Manchmal komme ich mir vor, wie ein kleines Kind. Das sich einfach in Welten träumen kann, die anders waren.  Wer kennt ihn noch? Therapeuten – Tee. Ich hab noch ein Paar. Für Notfälle…

 


 


Mondkind

Kommentare

  1. Warum gehst du nicht z.B. in eine psychosomatische Klinik, Reha, suchst dir einen anderen Job, z.B. in der Studienstadt?

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    1. Hast du es mal mit einem Antidepressivum versucht? Gegen deine Grübelzwänge und deine (high-functioning) Depression? Könnte eine Stütze sein..

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    2. Ja, Mondkind hat bereits mehrere Antidepressiva durch, u.a. Mirtazapin, Valdoxan usw.

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  2. Warum gehst du nicht z.B. in eine psychosomatische Klinik, Reha, suchst dir einen anderen Job, z.B. in der Studienstadt?

    Naja, in meiner aktuellen Situation in einer psychosomatischen Klinik arbeiten...? Langfristig überlege ich mir das sogar, aber im Moment könnte ich mich da glaube ich nicht ausreichend abgrenzen. Zurück in die Studienstadt... ? Nach allem was passiert ist... ?

    Im Moment ist es so, dass ich es noch versuche. Ich weiß, dass ich mit sehr vielen Dingen sehr viel langsamer bin, als andere Menschen. So eine "Eingewöhnung" in den Job zieht sich bei mir dementsprechend auch lange. Gerade versuche ich mich in die Dienste zu integrieren und ich weiß auch, dass ich da sicher noch oft verzweifeln werde, aber ich möchte das noch ein bisschen versuchen und wenn es gar nicht geht - dann muss ich mir etwas anderes suchen. Wobei damit halt auch mein soziales Umfeld zusammen brechen würde, das ja im Moment fast ausschließlich in der Klinik ist. Und damit meine ich jetzt nicht nur die potentielle Bezugsperson - auch mit einigen anderen Kollegen komme ich seit einigen Wochen erstaunlich gut zurecht, was mich sehr freut. Die haben sich heute morgen auch alle so mit mir gefreut, dass ich meinen ersten 24 - h - Dienst geschafft habe, aber dazu kommt nochmal ein Blogpost, wenn ich wieder wach bin ;)

    Und dann gibt es auch noch den Aspekt, den ich mal mit wem besprochen habe: Manchmal ist es ja schon so, dass man es sich ein Mal selbst beweisen muss. Jetzt habe ich so lange wirklich gelitten, um den Anforderungen an eine dienstfähige Ärztin gerecht zu werden: Jetzt möchte ich mir selbst ein Mal zeigen, dass ich es kann. Ob das dann etwas mit Lebensqualität zu tun hat, ist ja mal eine andere Frage und da kann ich mich dann wieder anders entscheiden, aber ich weiß dann zumindest: Ich könnte, wenn ich wollte.

    ***
    Hast du es mal mit einem Antidepressivum versucht? Gegen deine Grübelzwänge und deine (high-functioning) Depression? Könnte eine Stütze sein..

    Ja habe ich, aber so richtig hat es das leider nie gebracht..

    ***
    Ja, Mondkind hat bereits mehrere Antidepressiva durch, u.a. Mirtazapin, Valdoxan usw.

    Na, Du musst es ja scheinbar besser als ich wissen... Nee Leute ernsthaft: Für Gedankenanregungen - auch kritische Kommentare bin ich immer sehr dankbar - aber so etwas könnt Ihr euch echt sparen, okay?

    Mondkind

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    1. "Na, Du musst es ja scheinbar besser als ich wissen... Nee Leute ernsthaft: Für Gedankenanregungen - auch kritische Kommentare bin ich immer sehr dankbar - aber so etwas könnt Ihr euch echt sparen, okay?"

      Ich wollte dir damit nicht zu nahe treten, aber ich verfolge deinen Blog schon länger und habe deshalb - auf Basis deiner Einträge - geantwortet. Entschuldige bitte.

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    2. Ich meinte als Patientin, nicht als Ärztin in eine psychosomatische Klinik! ;) Studienstadt wegen Kontakten dort, aber ist andererseits auch verständlich, dass nicht, stimmt... Zum Eingewöhnen: Das klingt schön anders als in vielen Posts. Daumen werden gedrückt. Ich glaube, ein Enddatum wäre wichtig. Wie lange versucht man? Nicht dass man es jahrelang probiert und andere (berufliche) Chancen verpasst, nur um sich zu beweisen, dass man trotz Erkrankung als Ärztin in Vollzeit arbeiten kann ... Toitoitoi.

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