Bürogespräch, Klinikideen und Zukunftsfragen
Freitagabend. Ich dokumentiere noch. Telefon. „Mondkind, Du bist noch da…?“ „Ja…“ „Komm mal rum.“
Langes Schweigen.
Er sucht die Worte. Sehe ich.
Ich habe ihm geschrieben. Dass es so nicht geht. Dass ich dieses
Roulette – Spiel nicht mehr kann. Dass ich nicht mehr weiß, woran ich bin. Dass
ich ihn als verlässlichen Halt an meiner Seite geschätzt habe, aber dass wir
darüber reden müssen was dazu geführt hat, dass es jetzt nicht mehr so ist. Und
ob wir so weiter machen können.
„Darf es besser werden…?“ Erster Satz.
Schweigen.
„Von mir aus gerne. Ich würde mir nichts mehr wünschen, als irgendwann
glücklich zu werden.“
„Wie soll das gehen Mondkind? Solange wie Du Dich für schuldig an
seinem Tod hälst…?“
„Teilschuldig“, verbessere ich.
„Dann eben teilschuldig Mondkind. Verstehst Du, was ich sagen will?“
„Ja, verstehe ich. Das schließt sich aus.“
„Du führst eine Beziehung mit einem Toten Mondkind.“
„Er war mein Beweis, dass selbst eine Mondkind ein bisschen Normalität
erleben kann. Wie viele Menschen hätten dieses Hin und Her mitgemacht? Dieses
„eigentlich ist sich zu treffen und einen Freund zu haben eine verbotene
Tätigkeit, aber ich will es doch auch, ich kann nur nicht, aber ich versuche in
meinem Rahmen so viel zu geben, wie ich kann.“ Wahrscheinlich hat ihn das mehr
gestört, als er gesagt hat. Meine Idee von Normalität ist wortwörtlich
begraben, es ist eben nichts normal mit mir. Und jemanden, der noch mal so nah
ist und bleibt werde ich in meinem Chaos wohl nie wieder finden.“
„Es gibt nur noch zwei Themen in Deinem Leben Mondkind. Das ist der
Freund und der Job. Kannst Du Dich erinnern, dass ich Dich letztens gefragt
habe, ob Du glücklich bist in der Notaufnahme…?“
„Nein… - was habe ich gesagt?“
„Lassen Sie uns über ein anderes Thema reden, hast Du gesagt.
Mondkind, Du machst einen guten Job da vorne. Natürlich bist Du unsicher, aber
Du machst nichts Unüberlegtes und holst Dir lieber ein Mal zu viel Hilfe. Auch
die anderen Oberärzte machen gerne Dienste mit Dir. Aber Du bist nicht
glücklich dort, weil Du zu viel Angst hast.“
„Die Tage sind eng geworden seit der Notaufnahme.“
„Ich weiß Mondkind… Du solltest einen Job machen, in dem Du Du selbst
sein kannst. Und in dem Du keine Angst haben musst.“
„Und wie soll das gehen? Ich kann nicht mein ganzes Leben auf den Kopf
stellen. Erst habe ich den Freund verloren, wenn ich jetzt kündige, verliere
ich auch das einzige soziale Umfeld, das ich habe. Ich hätte nie Medizin
studieren dürfen. Ich glaube, man braucht eine gewisse Persönlichkeit, um
diesen Job machen zu können und die habe ich einfach nicht.“
„Nein Mondkind, die hast Du nicht. Du machst einen guten Job, aber Du
machst Dich kaputt dort.“
„Ja, aber das hätte mir früher einfallen müssen. Die Medizin ist seit
knapp 10 Jahren mein Leben. Der ist alles zum Opfer gefallen. Freundschaften,
ich selbst irgendwo, der Freund, für den ich keine Zeit hatte. Meine Schwester
ist auf der Inneren, rockt dort die Intensiv und ich kriege nicht mal eine
Neuro – Notaufnahme hin. Was soll ich denn machen, was nicht Versagen wäre? Ich
kann doch nicht 10 Jahre meine Welt gegen ihren eigenen Horizont gedreht haben
und am Ende doch daran scheitern…"
„Mondkind, ich verstehe langsam, dass das zu viel ist, um das ambulant
zu machen. Jeder, der irgendetwas versucht zu bewegen, wird Dein Feind. Sei das
nun ich, weil mir mal die Hutschnur reißt, oder eine Therapeutin, die
potentiell wirklich gut sein kann. Weil Du das Gefühl hast, man will Dir etwas
weg nehmen, weil Du nicht noch mehr verlieren kannst. Den Freund, den Job, der
neben dem Leid und der Angst, auch minimale Stabilität ist. Wenn du 24 / 7
alleine mit Dir wärst, da würden wir nach spätestens 48 Stunden ein Problem
kriegen…“
„Mh…“
„Und deshalb Mondkind, müssen wir nochmal in die Psychosomatik mit
Dir. Stationär.“
„Ich kann das nicht mehr. Wirklich nicht. Ich habe genug erlebt im letzten Klinikaufenthalt.“
„Was ist die Alternative Mondkind? Das so einfach weiter zu machen? Du
leidest wie ein Hund.“
„Wie sollen wir das dem Chef erklären? Das nächste Mal fliege ich hier
raus…“
„Wir müssen das vorbereiten Mondkind. Das muss geplant stattfinden, dass
man Zeit hat, Deine Lücke hier zu füllen. Nicht nochmal notfallmäßig. Ich glaube und hoffe, so weit sind wir noch nicht. Wir
müssen mit ihm reden.“
Vielleicht liegt es an meiner Anspannung, vielleicht daran, dass ich
müde von der Woche bin, vielleicht daran, dass er mich sieht. Und während wir
da so sitzen, spüre ich das Zittern in meinen Muskeln und frage mich, ob er das
auch sieht. Ich beherrsche mich sehr, aber es geht nicht. Irgendwann spüre ich
die Tränen. Die ein bisschen alles sind, nach dieser Woche. Es war eine Horror
– Woche. Jeden Tag ein anderer Stress in der Notaufnahme, Lysen, Thrombektomie,
Notfall – Stent, Hubschraubereinsatz, Sinuskurvenbeziehung und über allem die
Fragen, die wir da gerade stellen. Wie kann es weiter gehen? Verliere ich
langsam diesen jahrelangen Kampf? Meine Notaufnahme – Zeit geht noch bis
November. Kann ich das schaffen? Selbst, wenn daneben sonst keine Lebensqualität bleiben würde und man das "besser" auf danach vertagt?
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Diese Woche habe ich mir mal ein paar Tulpen gegönnt - in lila natürlich, welche Farbe auch sonst...? |
Samstag. Haushaltstag.
Der Wecker schmeißt mich um 8 Uhr aus dem Bett. Schnell einkaufen, ehe
man anstehen muss vor den Läden, zwei Maschinen Wäsche, Putzen, Wohnung
wischen.
Kopfschmerzen, Müdigkeit und der altbekannte Schüttelfrost. Eigentlich
müsste ich ein paar Nachrichten beantworten, einige Mails schreiben,
telefonieren. Und etwas Kochen wollte ich heute Abend auch, wenn man unter der
Woche schon nicht richtig zum Essen kommt.
Ob das wohl etwas wird?
Ich merke langsam, wie ich wie in automatisiertes Uhrwerk in der Notaufnahme
laufe. Einfach machen. Einfach immer weiter. So gut, wie es geht. Nicht erstmal
Panik und Herzrasen bei der Hubschrauberanmeldung bekommen. Das bringt nichts.
Einfach in den Schockraum gehen, mit den Internisten reden, ob wir erst
intubieren müssen, oder ob wir noch schnell das CT schaffen um zu sehen, was
überhaupt los ist im Hirn. Neben uns ein Leben am seidenen Faden, ein Herz, das
wenige Stunden später aufhören wird zu schlagen. Wir konnten ihm nicht mehr
helfen. Und am Ende stirbt nicht nur ein Mensch, am Ende bleiben auch
Angehörige zurück, die jetzt eine unersetzbare Lücke in ihrer Mitte erleben.
Aber in der Notaufnahme warten weitere Patienten. Die noch leben. Für
die ich jetzt da sein muss.
Die Wochenenden – eigentlich mehr die Samstage – sind die Quittung für
die Woche. Der Körper verzeiht es nicht gut. „Mondkind, Du hast da vorne auch
gerade den schwersten Job in der ganzen Neuro. Wir sind alle froh, dass wir es
nicht machen müssen“, sagte letztens ein Kollege.
Warum man – wenn die oberärztliche Etage scheinbar um meine Grenzen
weiß – ausgerechnet mich neun Monate in der Notaufnahme eingeplant hat, mag sich mir nicht ganz erschließen.
Morgen habe ich mal wieder ersten Dienst. Nach dem letzten ersten
Dienst – der ja die Katastrophe schlechthin war – habe ich doch sehr große
Angst. Auf der anderen Seite… - vielleicht haben wir alle Katastrophen in der
Notaufnahme schon im Verlauf der Woche abgearbeitet.
Drückt mir die Daumen. 12 Stunden können lang werden und am Montag
sollte ich da halbswegs zurechnungsfähig nach einer sehr kurzen Nacht
erscheinen.
Und ich hoffe, dass ich Montag endlich mal den Hausarzt erreiche für dieses völlig unnötige Konsil für die Therapie.
Mondkind
"Warum man – wenn die oberärztliche Etage scheinbar um meine Grenzen weiß – ausgerechnet mich neun Monate in der Notaufnahme eingeplant hat, mag sich mir nicht ganz erschließen."
AntwortenLöschenWeil man es mit dir machen kann. Weil du es mit dir machen lässt. Niemand kämpft dort für dich, Mondkind, das musst du allein tun. Und gehen.
Dito
LöschenNaja... - und was bleibt dann....?
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