Und ich frag mich...
Es ist, als habe sich die Welt fast unmerklich leise abgeseilt. Als
sei der Schmerz zu groß gewesen, um ihn noch alleine tragen zu können. Weil fast
alles was man verlieren konnte, verloren ist.
Stille Resignation. Zu müde, um noch Angst zu haben. Zu müde, als dass
sich der Herzschlag in den täglichen Katastrophen noch großartig beschleunigen
könnte.
Der Freund und ich. Mein Dauerthema der letzten Monate.
Langsam kann ich nicht mehr.
Langsam weiß ich nicht mehr, wer er war, wer ich war und was das mit
uns war. Ich weiß langsam nicht mehr, ob
ich meinem Hirn noch trauen kann, wie viel Realität war, wie viel Wunsch war,
warum es für uns beide so schwer war, wo wir doch uns hatten. Jede Nacht in
aller Stille rennt der Kopf immer und immer dieselben Schleifen, stößt sich
immer wieder an denselben Mauern. Ich weiß es nicht mehr. Und je öfter ich
versuche krampfhaft zu rekonstruieren was da war, desto mehr verschwimmt es im
Nebel.
Es gibt mich selbst, die das mit ihm als die tiefste und wichtigste
emotionale Verbindung sieht, die es in meinem Leben je gegeben hat. Und die
sich jetzt dennoch fragt, warum er so selten erwähnt wurde. Klar, weil
Beziehung so ziemlich das Verbotenste war, das es gab und man am Ende
vielleicht nur die Zuneigung annehmen kann, die man glaubt verdient zu haben.
Hier auf diesem Blog war er sehr selten Thema, weil er einer der einzigen
Menschen war, der die Blogadresse hatte. Aber ist das alles? Es ging mir auch
mit ihm in meinem Leben häufiger mal schlecht.
Es gibt das Außen, das behauptet, dass mindestens die Hälfte von dem
was ich erzähle konstruiert sei.
Ich lese meine alten Blogeinträge, die alten Tagebucheinträge, schaue
mir die alten Fotos an und weiß einfach nicht mehr, was das für ein Leben war,
das ich damals hatte.
So oft denke ich immer noch, das kann nicht sein, dass es auf der
Zielgeraden so gekracht hat. So kurz, bevor das Leben hätte normal werden können
und sollen. Nachdem ich jahrelang für eine Zukunft gekämpft hatte, die besser
werden sollte war es, als habe mir das Leben die Tür vor der Nase zugeschlagen
und mich aus meiner eigenen Umlaufbahn befördert. Und nein, das soll jetzt kein
Opfer – Dasein begründen, aber es fühlt sich einfach so an.
Es kann nicht sein, dass er den Frühling nicht mehr sieht, die Sonne,
die Bäume nicht mehr grün werden sieht. Es kann nicht sein, dass er in einer
Woche Geburtstag hat und ich die Geburtstagsgrüße gen Himmel schicken muss.
Es kann nicht sein, dass ich in einer Woche in einer langen Nacht in
der Klinik im 24 – Stunden – Dienst sitze und so tun muss, als wäre dieser Tag
und dieses Ereignis das Normalste von der Welt, obwohl ich die Welt anschreien
könnte und mir gleichzeitig wünsche, dass sie mich in den Arm nimmt.
Frühlingsboten... |
Und was den Job anbelangt.
Ich habe so oft gesagt, schon im Vorfeld, dass ich es nicht ewig in
der Notaufnahme aushalte. Am Anfang hieß es, man habe mich von der peripheren
Station weg geholt, weil man mir mehr Ruhe gönnen möchte nach allem, was ich
erlebt habe. Dass das letzten Endes ein fadenscheiniger Grund war und es nie
deren Plan war, dass ich lange auf der Stroke Unit bleiben darf, hat sich dann
schnell gezeigt.
David gegen Goliath. Und natürlich habe ich diesen Kampf verloren.
Nur der Körper verzeiht es nicht mehr so richtig. Ist nach langen
Dienst – Sonntagen schon Montags so müde, dass ich kaum noch stehen kann.
Vielleicht wird es besser, wenn man es lange genug aushält? Vielleicht
stumpft man so ab, dass man es doch machen kann?
Ich weiß es nicht. Wie ich die kommenden Wochen und Monate überstehen
soll, bis es dann endlich Juli ist, bis all die „letzten Male“ vorbei sind und
ich weiß nicht, ob es wirklich hilft, wenn ich sagen kann „vor einem Jahr war
es auch schon so.“
Ich weiß nicht, wer noch hier ist und wer bleibt. So oft wünsche ich
mir das Helfersystem von früher zurück; wenn es Herrn Therapeuten noch gäbe,
wäre sicherlich nächsten Donnerstag ein spontanes, kurzes Telefonat drin. Und
wenn er nur sagen würde „ich denke an Sie“ und sein übliches „Kann ich noch
etwas für Sie tun?“, fragen würde, dann wäre es genug Backup um zu wissen, dass
ich nicht so tief fallen kann, dass mich jemand mal wenigstens ein paar Minuten
auf dem Schirm hat.
Ich weiß nicht, ob mich irgendwer in den Arm nehmen wird, ob
irgendwer sagen wird „Mondkind ich denk an Dich.“ Ich weiß nicht mal, ob ich
Zeit zum Denken habe während des Dienstes, wie viel los sein wird, ob Zeit für
ein paar still geweinte Tränen ist und fast schon scheint es Verrat gegenüber
uns beiden zu sein, sollte dieser Dienst ohne Komplikationen verlaufen.
Es ist schwer noch Worte zu finden, für all das Chaos. Ich weiß, dass
ich letztes Jahr häufiger mal geschrieben habe: „Versprich mir, dass mein Herz
daran nicht zerbrechen kann.“
Vielleicht trifft es das ein minikleines Bisschen.
Versprich mir, dass ich das überlebe. Versprich mir, dass wir beide
Frieden finden. Versprich mir, dass wir beide wieder glücklich werden. Nicht
zusammen, aber doch jeder irgendwie für sich.
Mondkind
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