Ein zwischenmenschlicher Platz

Montagnachmittag.
Es ist schon fast Feierabend und ich sitze mit meinem Oberarzt in der Notaufnahme. Er zählt neben mir die Patienten des Tages durch und mir fallen fast die Augen zu.

Ich bin schon seit dem Vorabend da, habe den Nachtdienst gemacht und den Tagdienst direkt hinten dran. Sonntags kann das ganz schön undankbar werden. Die Nacht habe ich mir mit einem Patienten um die Ohren geschlagen, der kürzlich sein Antipsychotikum abgesetzt hatte und vollkommen entgleist bei uns aufgeschlagen war. Da er initial – aber nicht lang anhaltened – in einem stuporösen Zustand war, hat die Leitstelle beschlossen, dass der Patient trotz seiner psychiatrischen Vorgeschichte erst zu uns zur Abklärung muss und danach vielleicht weiter in die Psychiatrie verlegt werden kann. Selbst die Krankenschwestern und –pfleger, die schon in der Psychiatrie gearbeitet haben, selbst auf geschlossenen Stationen, haben mir gesagt, dass ihnen so etwas noch nie unter gekommen ist. Irgendwann im Morgengrauen hatte ich es dann geschafft den Patienten soweit abzuklären, dass der wirklich sehr, sehr nette Psychiater (war er wirklich, meistens sind die extrem kratzbürstig, wenn man Jemanden dorthin verlegen möchte) ihn mir ohne Diskussionen abgenommen hat. „Ich brauche mein Psychiatriejahr noch“, habe ich an irgendeiner Stelle gesagt. „Das war wahrscheinlich keine leichte Nacht für Sie“, hat er entgegnet.
Schon zur Frühbesprechung war die Notaufnahme wieder gut belegt, sodass ich nicht mal dorthin konnte zur Dienstübergabe, sondern einfach nahtlos weiter gemacht habe.

„Mondkind, kann ich Dir noch irgendetwas helfen?“, fragt mein Oberarzt. „Nein ich denke nicht. Ich bin einfach nur noch nicht zum Dokumentieren gekommen, das muss ich jetzt noch machen“, entgegne ich. Kurze Zeit später. „Komm mal mit Mondkind.“ Wir stehen auf dem Flur. „Mondkind ich habe mal mit dem Chef geredet. Darüber, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass Du nochmal Deine Zeit in der Klinik brauchst…“ „Was hat er dazu gesagt?“, frage ich. „Dass es dann halt so ist. Ich habe Dir den Boden für den Weg geschaffen, aber gehen musst Du ihn jetzt selbst.“
Und ich frag mich was: Bei aller Liebe, aber welcher Chef nickt bitte zwei Klinikaufenthalte innerhalb von zwei Jahren ab – nur mal so theoretisch, ob ich es mache, weiß ich noch nicht – ohne an irgendeiner Stelle mir die ernsthafte Frage zu stellen, ob ich mich noch als fähig für das Neuro – Team betrachte. Und spricht das jetzt nicht nur für meinen Chef, sondern vielleicht auch dafür, dass man glaubt, dass ich meine Sache gut mache, dass man möchte, dass ich langfristig bleiben kann und vielleicht auch dafür, dass es irgendwem wichtig ist, dass es mir gut geht?

Am Abend bekomme ich noch eine Mail. „Menschen hier wollen, dass Du bleibst, weil Du es Dir jeden Tag verdienst zu bleiben.“

Und dann denke ich nach. Über die Dienste, über die zwischenmenschliche Wärme.
Und am liebsten würde ich die Mondkind von vor einem Jahr mal ganz fest in den Arm nehmen und ihr sagen, dass nicht alles verloren ist – auch wenn es sich für die Mondkind, die damals auf der geschlossenen Psychiatrie saß und vor ihrer eigenen Destruktivität gegen sich selbst geschützt werden musste, so angefühlt hat.

Die Dienste sind irgendwie seltsam. Die dezente Hypomanie am Ende der Dienste, wenn man es wieder geschafft hat, in der Nacht als einzige Neurologin die Klinik gerockt hat und der Hintergrund mir soweit vertraut hat, dass er nicht rein kommen musste und ich ihn auch nicht jede Stunde aus dem Bett klingeln musste, hat fast ein bisschen Suchtcharakter. Es ist auch immer wieder schön, vom Hintergrund am Morgen zu hören: „Es war ein guter Dienst mit Dir.“ Nach dem letzten Jahr und gemessen an der Tatsache, was die Dienste noch vor einem Jahr für Ängste in mir ausgelöst haben, ist das ein riesiger Sprung nach vorne. Und ja, der Preis um das erleben zu können ist und war hoch und ich weiß, es wird noch viele Dienste geben, die einfach nur beschissen sind und in denen Dinge passieren, für die ich vielleicht nicht mal etwas kann und für die ich in der Situation trotzdem verantwortlich bin. Aber es gibt auch gute Dienste zwischendurch. Es tut so gut zu spüren: Ich muss mich nicht mehr verstecken in der Neuro. Ich kann etwas.

Und dann merke ich, wie ich im Leben der Kollegen langsam eine Rolle spiele. „Mondkind ich habe am Wochenende Marmelade gekocht und da habe ich gedacht, dass die sich sicher auch gut auf Deinem Frühstückstisch macht, deshalb habe ich Dir ein Glas mitgebracht.“ Oder eine andere Kollegin hat mir – nachdem wir darüber gesprochen habe, dass ich „crazy socks“ liebe - vom Einkaufen Socken mit Wassermelonen mitgebracht. Und dann gibt es den in der Notaufnahme für mich verantwortlichen Oberarzt der weiß, dass ich einmal in der Woche zur Therapie gehen muss und die Kollegen im Spätdienst, die für eine gewisse Kratzbürstigkeit bekannt sind selbst anruft um ihnen zu sagen, dass sie zu Beginn ihrer Arbeitszeit sofort in die Notaufnahme kommen sollen, weil ich weg muss. 


 

Manchmal denke ich mir, dass ich vielleicht nicht in alle Menschen um mich herum die Erwartungen meiner Eltern hinein projizieren muss. Vielleicht darf ich glauben, dass ich unabhängig von meiner Leistung ein wertvoller Mensch bin. Vielleicht müssen zwischenmenschlich wertvolle Begegnungen kein Zufall sein. Vielleicht ist es den Menschen um mich herum wirklich wichtig, dass es mir gut geht. Vielleicht ist ein Teil von mir meine Leistung und sicherlich auch der Boden auf dem in der Neuro viel passiert. Aber vielleicht gibt es tatsächlich einfach Menschen, denen ich wichtig bin. Die bleiben. Die auch wollen, dass ich bleibe. Und die möchten, dass ein Mondkind - Lächeln echt ist.
Und manchmal ist da ganz viel Dankbarkeit. Für die Menschen um mich herum. Für den Ort hier. Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich mal irgendetwas richtig gemacht.

 Mondkind

Kommentare

  1. Hallo Mondkind, Kollegin aus der KJP hier :)
    Falls Du noch einen Klinikaufenthalt planst, kann ich nur empfehlen eine auf (k)PTSD spezialisierte Station/Klinik zu wählen und informiert auszusuchen. Nicht die nächstbeste oder altbekannte Klinik wählen bei so einer Problematik. Alles Gute!

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    1. Hallo!
      immer schön von Kollegen hier zu lesen... ;)

      Ich bin mir noch nicht sicher, wie das alles weiter gehen soll. Wenn ich mich selbst so auf der Arbeit beobachte, dann denke ich mir: Was will ich denn in einer Klinik? Wenn ich so die Wochenenden betrachte... - sieht das anders aus...

      Mh... - also von einer PTSD hat bisher noch niemand etwas erzählt. Es steht auch nicht in irgendwelchen Diagnosen. Also weiß ich weder, ob man sich damit in entsprechenden Kliniken anmelden kann noch, ob ich überhaupt eins habe. Oder prüfen die das in den Kliniken dann selbst, ob die Diagnose überhaupt vorliegt...?

      Ich wollte hier eigentlich in der Nähe bleiben. Die altbekannte Klinik geht jetzt ohnehin nicht mehr - weder hat das Sinn, noch werden die mich nehmen wenn die wissen, dass mein Freund dort gearbeitet hat und das tun sie mittlerweile. Die Klinik hier in der Nähe... - ich weiß nicht, was die alles machen. Aber Du hast natürlich Recht, das sollte diesmal alles endlich etwas bringen. Diese ständigen Klinikaufenthalte müssen mal irgendwie aufhören und dafür sollte ich dann auch einen weiteren Weg in Kauf nehmen.

      Mondkind

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    2. Wenn Du möchtest, kann ich per Mail kurz meinen Senf abgeben, ich glaube sonst bewegen wir uns in den grauen Bereich von medizinischer Beratung. Möchte mich aber keinesfalls aufdrängen.

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    3. Kannst Du gern machen, wenn Du magst... - ich bin für Tipps und Gedankenanregungen immer offen; was man dann draus macht, kann ich ja schauen, aber ich bin da im Moment echt ein bisschen unschlüssig...
      Mailadresse steht ja auf dem Blog (itsjustanotherway@gmx.de). Aber nur, wenn Du Lust und Zeit hast...

      Mondkind

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  2. "Bei aller Liebe, aber welcher Chef nickt bitte zwei Klinikaufenthalte innerhalb von zwei Jahren ab (...), ohne an irgendeiner Stelle mir die ernsthafte Frage zu stellen, ob ich mich noch als fähig für das Neuro-Team betrachte."

    In einem Team, in dem deutsche Sprachkenntnisse sowie eine deutsche Approbation häufig genug fehlen, ist so etwas möglich. Du bist immens wichtig für die Abteilung, weil du nicht nur gute Arbeit leistest, sondern diese auch regelmäßig unter den Scheffel stellst und nicht genug private Rückendeckung erhältst, um dich in Dienstplanfragen usw. durchzusetzen. Ich wünsche dir so sehr (seit Monaten), dass du das mithilfe der Therapie zu begreifen lernst, wie wichtig du bist und dass du dir nicht alles aus Angst vor Ablehnung oder Zurückweisung gefallen lassen brauchst.

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    1. Wie sagte mal ein Kollege vor über einem Jahr: "Wenn Du Dienste machen kannst, bist Du für die Klinik untersetzlich."

      Naja... - ob ich mithilfe dieser Therapie noch so richtig schlau aus mir werde... ? Ich gebe mir echt Mühe mit der Frau; so sehr ich kann - was im Moment auch nicht so viel ist, weil ich einfach sehr müde bin (siehe neuester Blogpost) - aber sie gibt halt, das war das Problem von Anfang an, immer noch überhaupt keine Resonanz...

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