Ein Bericht aus dem Dienst

Ich sitze auf dem Fußboden in der Radiologie; die Augen gebannt auf den Monitor gerichtet und warte auf das CT meiner Patientin. Tränen in meinen Augen. Ich spüre nur noch mein Herz rasen, aber ich fühle die Angst nicht mehr. Wahrscheinlich bin ich dennoch angespannt. Das Bild ist kaum fertig, da ruft die Schwester nach einem Blick auf den Monitor im CT: „Mondkind die Sättigung…“. Also erstmal keine Angiographie mehr. Wir rennen rein, hängen ihr Sauerstoff dran, drehen gleich mal auf 10 Liter auf und ganz langsam klettert die Sättigung von 40 % wieder hoch. In der Zeit ist der Notfallalarm schon längst ausgelöst worden und die Anästhesie steht auf der Matte.

Zur Vorgeschichte. Dienst. Aktuell ist jeder meiner Dienste eine absolute Katastrophe. Patienten ohne Ende, meine letzte Nacht habe ich mit einer entgleisten psychoaffektiven Störung verbracht und die Patientin am Ende in die geschlossene Psychiatrie verschifft.
Irgendwann muss doch mal wieder Land in Sicht sein.

Es gibt viel zu tun in diesem Dienst; ein Patient nach dem anderen, aber händelbar. Gegen Mittag ruft mich der Chef an und verkündet, dass wir aufgrund personeller Schwierigkeiten keine Neuroradiologen im Haus haben. Wenn es also zu einer Thrombektomie kommen sollte, haben wir ein gewaltiges Problem. „Ruf mich an, wenn etwas ist Mondkind, ich bin da“, sagt er. Und ich bin noch frohen Mutes, dass ich ihn nicht brauchen werde.

Nachmittag. Ein Patient kommt in Begleitung der Tochter. Sprachstörung, Hemiparese links seit einer Stunde, daneben entdecke ich einen Upbeat – Nystagmus. Ich habe noch nie einen gesehen, aber das muss einer sein; sagt ja schon der Name.
Keine Zeit verlieren. Schnell ins CT und eine Angiographie gleich dazu. Nachdem wir die Aufnahmen betrachtet haben und mit den Radiologen besprochen haben lässt sich festhalten: Indikation zur Lyse gegeben, aber Thrombektomie kommt nicht in Frage, weil es keine Gefäßverschlüsse gibt. Der Patient wird aufgeklärt, stimmt zu. Meine erste Lyse, bei der ich nur telefonisch schnell Rücksprache mit dem Hintergrund gehalten habe, hängt im Zeitfenster von 30 Minuten – obwohl wir noch fünf Minuten brauchen um den Blutdruck soweit zu senken, dass die Lyse möglich ist.. Perfekt. Und dann ab auf Station.

Die Freude hält kurz. 20 Minuten später rufen mich die Schwestern aufgeregt an. „Mondkind, Du musst kommen. Der schreit hier rum und krampft. Ich renne auf die Station, gebe ihm ein Medikament um das Krampfen zu beenden. Und dann fällt auf: Weite, lichtstarre Pupillen. Mist. Jetzt brennt die Hütte. Aber so richtig. „Lyse stoppen, wir brauchen ein CT.“
Herzrasen. Was ist passiert. Hat er geblutet…? Im Hirnstamm… ? Habe ich etwas übersehen, hätte ich ihn nicht lysieren dürfen… ? Habe ich zu schnell entschieden, weil ich das Door – to – Needle - Zeitfenster im Nacken hatte? Irgendetwas, was gar nicht gut ist, läuft da. 


Wir rasen ins CT. Meine Nerven sind am Ende. Das ist der Moment, in dem ich in der Radiologie auf dem Boden sitze. Und trotzdem weiter funktionieren muss. Sättigungsabfall. Wir rasen rein, drehen den Sauerstoff auf. Drei Minuten später ist das Notfallteam da. Erstmal rüber in die Schockraum. Intubieren. Stabilisieren. Die Tochter anrufen. Sollen wir alles machen trotz kritischer Situation? Ja, sollen wir. Das CT hatte übrigens erstmal keine Erklärung für uns, geblutet hat er nicht.
Kurz EEG – Kappe aufsetzen während die Intensivmediziner noch an Beatmungsparametern drehen um nachzuschauen, dass wir nicht auf der falschen Fährte sind und er im Status ist. Ich habe in der Zeit den Oberarzt angerufen. Ja, ich habe es schon wieder nicht alleine geschafft und brauche Hilfe. Schon beim zweiten Dienst in Folge. Dann mit dem stabilisierten Patienten zurück ins CT. Angiographie. Wir scrollen durch. „Ich sehe keine Basilaris.“ 10 Sekunden später ruft die Radiologin an. „Mondkind jetzt hat er eine Basiliaristhrombose."
Wir erinnern uns… - wir haben keine Neuroradiologie. „Du musst den Chef anrufen“, erzähle ich meinem Oberarzt im Hintergrund, der von seinem Glück mit der fehlenden Interventionsbereitschaft noch nichts weiß.
Der Chef versucht auch noch irgendwoher einen Neuroradiologen zu bekommen, aber es ist nichts zu machen. Am Ende hängen mein Hintergrund – Oberarzt, zwei weitere Oberärzte und der Chef in dem Fall mit drin und wir alle telefonieren parallel die großen Kliniken ab. Es geht um Zeit. Wer am schnellsten zusagen kann, bekommt den Patienten.

Und irgendwann, genau in dem Moment, als der Notarzt sich mit dem intubierten Patienten auf die Socken in die Zielklinik macht - spüre ich wieder wie meine Beine unter meinem Gewicht zittern.
Währenddessen stapeln sich die anderen neurologischen Patienten in der Notaufnahme. Mein Oberarzt im Hintergrund und ich arbeiten uns einfach gemeinsam durch und irgendwann in den späten Abendstunden wird es ruhiger in der Notaufnahme. Ich kann kaum noch stehen, so sehr schmerzen mein Magen und mein Kopf.

„So Mondkind und jetzt mal zu Dir…“, kommt der Pfleger, der mit mir den Abend verbracht hat zu mir, bringt ein Glas Wasser, ein bisschen Ibuprofen und Pantoprazol mit. Und das berührt mich in dem Moment so, dass ich schon wieder Tränen in den Augen habe. „Und was war mit Deiner Hand jetzt… ? Sollten da nicht mal die Handchirurgen drauf schauen schon vor einer Weile? Wollten die Dir nicht mal eine Schiene geben…“ „Wir sind nicht dazu gekommen“, entgegne ich. „Dann ändern wir das jetzt. Du sitzt doch an der Quelle Mondkind, sag einfach etwas…“ Er kommt mit einer Kiste voller Schienen an und wir suchen eine, die passt. Solange tragen, bis es besser wird, ist die Anweisung. Und wenn es nicht besser wird, melden.

Ich sitze bis tief in die Nacht an der Dokumentation, da ich bis meine Ablösung um 22 Uhr kommt, noch nicht zum dokumentieren gekommen bin. Drei Stunden Schlaf werde ich diese Nacht noch erhaschen, bis der Wecker wieder klingelt.
Heute kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen, Briefe zu schreiben ist ein unsäglicher Aufwand und vorbereitet für die morgige Chefarztvisite ist noch nichts. Ich muss früh ins Bett heute. Eigentlich wollte ich mich noch damit beschäftigen, wie ich in den nächsten beiden Monaten Dienste machen möchte… - aber die Dienstplanbesprechung endet meist sowieso im größten Chaos und wenn man nicht gerade leitender Assistenzarzt ist oder aus irgendeinem anderen Grund viel zu sagen hat, gibt es ohnehin nicht viel zu melden.
Und schlimmer… - können die Dienste ja kaum noch werden.

Unterdessen ist auch noch nicht geklärt, ob ich Mittwoch zur Therapie gehen kann, weil die personelle Situation wieder mal knapp ist. Ich hoffe, ich kann es durchsetzen. Denn diese Woche brauche ich sie glaube ich nur um – hoffentlich etwas wacher – ein bisschen die letzte Woche reflektieren zu können. Es war viel. Tod auf Station, katastrophale Dienste, die lang gefürchtete Diskussion um die Einjahresrealität mit dem Freund.
Was mache ich hier? Und wie lange geht das noch so? Diese parallelen Welten zwischen dem Schmerz um den Verlust des Freundes und dem Job auf der anderen Seite. Eigentlich braucht beides hundertprozentige Aufmerksamkeit.

 

Mondkind

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