Psychiatrieerinnerungen - zwischen Hoffnung und Realität

Sonntag.
Ich habe ausnahmsweise mal frei.
Und ich spüre die Müdigkeit. In jedem Knochen. Bis ich mich motivieren kann zumindest mal Kaffee zu kochen ist eine Stunde vergangen.

Ich lese quer. Heute vor einem Jahr bin ich endlich von der geschlossenen Station auf die offene Station verlegt worden. Und diese Zeilen… - sprechen für sich. Ich wollte es diesmal wirklich. Etwas verändern. Raus aus diesem nie endenden Strudel kommen. Ich kann mich noch erinnern, wie viel Motivation ich hatte, als ich endlich auf der offenen Station angekommen war. Und das ausgerechnet wenige Tage nach der größten Katastrophe meines Lebens.

"Die Bereitschaft und Therapiemotivation und die Umsetzung sind vermutlich zwei verschiedene paar Schuhe, aber ich bin bereit. Viel mehr bereit, als das letzte Mal. Wenn man mir hier den Boden gibt, den ich brauche, weil ich meinen her gebe, dann bin ich bereit mich fallen und wieder aufrichten zu lassen. Auch, wenn das loslassen bedeutet. Einige Dinge vielleicht für immer. Ich werde lernen müssen, dass der einzige Mensch, der sich am Ende halten kann, ich selbst bin. Dass uns niemand die Entscheidung für oder gegen das Leben abnimmt. Das wir nicht immer alleine sind, aber in letzter Instanz eben doch. Dass es meine Aufgabe ist, mir Hilfe zu organisieren und die mir keiner hinterher trägt. Dass der Job nicht alles ist. Dass ich auch mal Spaß haben darf. Dass es keine verbotene Tätigkeit ist, mit einem Nicht – Neuro – Buch herum zu sitzen. Dass ich mich selbst in meinem Job sicher manchmal, aber nicht regelhaft für die Patienten aufgeben muss. Dass ich ein Recht habe auf dieser Welt zu existieren, auch wenn ich nicht arbeite. Dass ich gemocht und vielleicht auch geliebt werden darf, weil ich der Mensch bin, der ich bin und nicht weil ich der Mensch bin, der exorbitant viel arbeitet. Dass die Welt noch so wahnsinnig viel bietet, wenn ich mich selbst nicht so beschränke. Und selbst wenn ich es mit diesem Job nicht hinkriege, bin ich kein schlechter Mensch. Dann bin ich nur eben einen Weg gegangen, der gerade nichts für mich ist."

Und dann steckte mir auch eine Angst in den Knochen, die allerdings ausnahmsweise mal geringer zu sein schien, als das Vertrauen in die Situation.
Ich hoffe, ich bin bereit. Für den Weg, der vor mir liegt. Der als erstes ein bisschen Trauerarbeit sein muss, der Umgang mit dem Gedanken, dass der beste Freund mir auf so tragische Weise so viel mit auf den Weg gegeben hat. Auch, wenn es die letzten ungeschriebenen Zeilen waren. Aber ein bisschen… - ein bisschen muss ich jetzt für uns beide kämpfen.
"Und dann muss ich den ganzen darunter liegenden Mist in den Griff kriegen.

Und oha ja, ich habe wahnsinnige Angst. Dass ich das nicht hinkriege. Dass ich mir die Zeit, ich brauche nicht eingestehen kann, zu nehmen. Dass man mir die Zeit nicht gibt, die ich brauche."

Das Ganze hielt noch genau drei Tage. Bis zur nächsten Oberarztvisite. Bei der man mir erstmal das Entlassdatum vor die Nase gesetzt hat.

"Ich habe absolut nichts dagegen, arbeiten zu gehen. Und jeder weiß, dass ich das lieber tun würde, als alles andere. Aber was wieder schwierig zu verstehen zu sein scheint ist, dass mir in den letzten vier Wochen alles auseinander gefallen ist. Wie soll ich in vier Wochen stabil sein mit der Trauerarbeit, es verkraftet haben, dass die Person, mit der ich mich wechselseitig getragen habe, nie wieder zurück kommt? Wie soll ich die Schuldgefühle verarbeitet haben, […]? […] aber ich frage mich einfach, warum ich immer so zur Eile getrieben werde? Grundsätzlich. Mit allem. Im Job, beim Gesundwerden. Immer ist Mondkind die Überfliegerin, die alles schnell schaffen muss. […]Wie soll ich mich in die Behandlung fallen lassen, auseinander fallen und mich wieder aufbauen lassen, wenn ich weiß, dass ich in rund einem Monat wieder alleine stehen und gehen muss? Und da dann einfach keiner mehr ist. Wenn ich zum Entlassdatum nicht einigermaßen stabil bin, habe ich verloren."

Es gab ganz am Anfang mal ein Gespräch mit der Pflege, in dem folgende Sätze fielen: „Wir kriegen das schon hin, Sie innerhalb der nächsten drei bis vier Wochen wieder auf die Beine zu stellen, sodass Sie wieder arbeiten gehen können. Die Frage ist, wie lange das gut geht. Oder… - Sie lassen sich jetzt Ihren sicheren Boden mal unter den Füßen weg ziehen und schauen, ob man das nicht anders gestalten kann.“ Und mehr als dass ich wieder arbeiten gehen kann wurde - so sehr wie ich auch gehofft habe, dass es diesmal anders sein würde - nicht erreicht.


Das waren echt so mit die allerbesten Momente... einfach eine Katze auf dem Schoss. Leben spüren ganz anders...

 

Meine Morgen, bis die Station wach geworden ist. Kaffee, Mandalas und Musik auf den Ohren... 


Retrospektiv konnte ich mit diesem Entlassdatum vor der Nase einfach nicht mehr vertrauen, dass die Zeit reicht um zu fallen und mich irgendwie wieder zusammen zu setzen. Und am Ende hatten wir den worst case ja auch irgendwie. Ich war eigentlich komplett instabil, als ich gehen sollte, weil mir immer mehr bewusst geworden ist, was der Verlust des Freundes wirklich bedeutet und abgesehen davon war der Tag genau zwei Monate danach sowieso ein reichlich blödes Datum. Und dann saß ich ganz schnell wieder auf der Geschlossenen und musste mich als erste Aufgabe erstmal darum kümmern, wie ich da runter komme. Ich weiß noch, dass ich es nach diesem Horror – Tag noch irgendwie zum Abendessen geschafft habe und dann mit so starken Kopfschmerzen im Bett lag, dass ich den Kopf nicht mehr aus dem Kissen heben konnte.

Es beschäftigt mich alles immer noch und es tut mir immer noch sehr weh, dass ich diese Chance die ich da hatte, nicht nutzen konnte. Aber vermutlich war es auch von mir eine reichlich blöde Idee in eine Klinik zu gehen die ich kannte – aber in deren Voraufenthalten ich nie über den Freund geredet habe – und dass der Freund darüber hinaus in dieser Klinik in der Ergotherapie gearbeitet hat. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, wie ich damit umgehe, wenn das raus kommt. Es kam auch nicht raus.
Ich kann mir heute verzeihen, dass ich das damals in der Situation alles nicht durchdenken konnte und nicht sehen konnte, dass es vielleicht sinnvoller gewesen wäre sich für eine andere Klinik zu entscheiden und ich kann denen verzeihen, dass die einfach mit der ganzen Situation nicht umgehen konnten.

Aber es stellt sich die Frage, wie ich heute damit umgehe. Es sind die Wochenenden, in denen die Gedanken über das Sterben wieder so laut werden, weil ich privat absolut keine Zukunft mehr sehe. Es sind die Wochenenden, in denen die Tage grau werden, in denen ich die Erschöpfung in den Knochen spüre, in denen ich die Angst fühle, nicht genug zu sein.
Die Wochenenden, an denen ich mich frage, ob es nochmal einen Versuch wert wäre die Therapiemotivation von damals unabhängig von allen schwierigen Erfahrungen die ich auch im stationären Setting machen musste, zusammen zu kratzen, nochmal Vertrauensvorschuss in ein unbekanntes Team zu gewähren und es nochmal zu versuchen.
Es sind die Wochenenden, in denen ich die Fragilität spüre. Das Flattern. In denen ich mich frage, ob ich aus lauter Funktionieren und dem Begraben der Emotionalität darunter nicht den Absprung längst verpasst habe.

***
Es hat heute ein kurzes Telefonat mit meiner Mum gegeben. Ich habe meine Oma im Hintergrund reden gehört. „Und dann war da noch so eine Kiste, da war ein Schloss davor, aber ich habe sogar den Schlüssel gefunden und habe mal rein geschaut und überlegt, ob die Mondkind das wohl noch braucht…“ Wow… - manchmal frage ich mich, ob die es wirklich nicht merken. Ob die wirklich glauben, dass es in Ordnung wäre in abgeschlossene Kisten hinein zu schauen. Auch wenn sie dort schon lange liegt, aber mutmaßlich war der Inhalt vertraulich.

Und das sind die Nachmittage in denen ich hier sitze und mir denke, dass es ganz schön lange her ist, dass ich das letzte Mal zur potentiellen Bezugsperson geradelt bin. Aber wann ich kommen darf und ein winziges Stück Privatleben spüren darf, in dem mir mit Respekt begegnet wird, entscheidet er. Davon ab hat er demnächst erstmal Urlaub, da werden wir uns lange gar nicht hören und sehen. Und am Montag muss ich auch erstmal mein Springerdasein auf seiner Station überleben. Denn ob man nur einen Tag aushilft oder länger dort ist, ändert bitte nichts daran, dass man eine Stunde nach der Frühbesprechung die Biographie der zugeteilten Patienten auf dem Schirm haben muss, obwohl man bis dato keinen der Patienten kennt. Und das hat bislang selten zu seiner Zufriedenheit geklappt; darauf kann ich mich schonmal einstellen. 

Mondkind

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