Vom Funktionieren, dem alten Kinderzimmer und dem Hochwasser

Etwas hat sich geändert.
Etwas, das vielleicht lange Zeit nicht wirklich greifbar war. Das ich lange Zeit selbst nicht so richtig gemerkt habe. Die Arbeit hat mich verschluckt. Füllt die emotionalen Lücken. Mit den beiden Diensten von Sonntag und Donnerstag habe ich zusammen schon etwa 47 Stunden in der Klinik verbracht – und die anderen Tage habe ich auch noch gearbeitet. Der letzte 24 – Stunden – Dienst war nicht witzig. Ich hatte 10 Aufnahmen alleine in der Nacht und das waren teils schwer kranke Patienten.
Und all das möchte ich nicht sagen, damit irgendjemand sagt „Die Mondkind arbeitet aber viel.“ Das wissen wir alle. Aber was dabei passiert ist, dass die Erschöpfung, die mir so sehr in den Knochen steckt, das Hirn ein bisschen vernebelt. Oft kann ich am Morgen nach dem Dienst kaum noch klar reden. Zusammen mit der dezenten Hypomanie durch den Schlafentzug und aus der Erleichterung heraus, den Dienst geschafft zu haben, ist das ein ganz netter Zustand.
Es ist ein bisschen, als würde die Notwendigkeit auf der Arbeit zu funktionieren alles andere unter sich begraben. Die „kritischen“ Momente sind und bleiben die Wochenenden (und Urlaub...), unter der Woche komme ich kaum dazu, mich mit mir zu beschäftigen. Ich habe auch in der Therapie meistens keine Ahnung, über was ich reden möchte, weil ich oft nicht mal dazu komme mich zu fragen, wie es mir eigentlich geht.

Und dann hat das irgendwie so eine Doppelfunktion mit der ZNA und den Diensten. Zum Einen ist das bestimmt wichtig über diese Hürde zu hüpfen von der ich immer geglaubt habe, dass sie mich das Leben kosten würde. Und zu merken: Es ist nicht einfach und ich weiß nicht, wie oft ich schon dachte, dass mein Herz gleich stehen bleiben wird, nachdem es nicht mehr schneller schlagen konnte, aber jeder Dienst und jeder Tag in der ZNA geht zu Ende und bislang habe ich die Patienten und mich immer irgendwie durch gebracht.
Zum Anderen: Der Blog ist seit Wochen sehr ruhig, ich komme kaum noch dazu whatsApps zu beantworten, ich bin dauernd müde und das Hirn ein ist bisschen wie im Nebel. Und solange wie ich keine Ahnung habe, wie ich mein Privatleben in den Griff kriegen soll, dämpft das ein bisschen. Macht das Hintergrundrauschen um die Geschehnisse vor einem Jahr etwas leiser. Zeigt mir, dass ich zumindest auf der Arbeit ein „normaler“ Mensch sein kann.

Und manchmal würde ich die Mondkind von vor einem Jahr, die zu dem Zeitpunkt immer noch auf der geschlossenen Psychiatrie saß in den Arm nehmen und ihr sagen: „Mach Dir keine Sorgen um die Arbeit. Das kriegen wir schon hin. Mach Dir Sorgen um das, was nach allem vom Privatleben bleiben wird. Mach Dir Gedanken, wie Du es vom gestern ins morgen trägst, ohne daran zu zerbrechen.“

Die Frage ist… - merkt man, wenn dieser schmale Grat, auf dem ich da laufe, ausgereizt ist? Merkt man, wenn irgendwann nicht nur das Privatleben – schon auch gewollt – darunter leidet, sondern auch der Funktionier – Modus am Ende ist? Und hat man sich dann soweit herunter gewirtschaftet, dass das nicht mehr so einfach rettbar ist? Und wie lange ist das überhaupt eine sinnvolle Strategie? Irgendwann werde ich schon überlegen müssen, wie es weiter gehen soll. Und ich weiß es einfach nicht. Weil das was mir fehlt nicht mehr durch Veränderungen der äußeren Faktoren erreichbar ist. 

Lieblingspark...

 

***

Familie. Schwieriges Thema. Kennen wir.
Meine Oma hat mir eine Nachricht geschrieben. Dass sie gerade bei meiner Mutter ist – also in meinem Elternhaus – und sich erlaubt hat mein Kinderzimmer komplett leer zu räumen. Das war sie selbst für wichtig befindet hat sie in drei kleine Drogerie – Plastiktüten getan. Der Rest ist nicht mehr existent.
Wow… - und das schreibt sie mir einfach so, als sei das jetzt irgendwie das Normalste von der Welt. Als ich zu Hause ausgezogen bin, bin ich nur mit einem Koffer voller Klamotten weg gegangen und den allerwichtigsten materiellen Gegenständen wie Laptop und Tagebuch. Wenn ich wieder umgezogen bin habe ich meine Sachen immer wieder in den Koffer gepackt, irgendwann war mein Hab und Gut dann schon eine kleine Autoladung voll mit dem mein Papa die Sachen meist freundlicherweise quer durch Deutschland gefahren hat und bin weiter gezogen.
Man hätte es doch wenigstens ankündigen können. Wenigstens fragen können, was mir persönlich wichtig ist und was ich noch brauche und behalten möchte. Sollte ich irgendwann mal eine Familie haben (obwohl das ja nach dem Tod des Freundes weit weg ist…) – was soll ich meinen Kindern von meiner Vergangenheit zeigen?
Jetzt ist er also ausgelöscht, der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Ich hätte es gern nochmal gesehen, dieses Zimmer. Mit all den Dingen, die dort noch waren.
Aber meine Familie war schon immer schräg.

***

Hochwasser. Nicht hier, aber in meiner alten Heimat. Zu sehen, wie Orte die ich kenne so absaufen, ist schwer zu ertragen und es tut mir so unglaublich leid für die Menschen, die dort leben. 10 Gehminuten von der Psychiatrie entfernt steht laut Medien alles unter Wasser.
Ich habe die ehemaligen Freunde und Kommilitonen gefragt wie es ihnen geht und natürlich hofft man, dass es ihnen gut geht. Bei den meisten ist das auch so, aber die Familie eines Kumpels hat alles im Hochwasser verloren. Das beschäftigt mich schon extrem. Und viel mehr als ein bisschen Geld für die Familie zu spenden kann ich von hier aus ja auch nicht machen.
Es gibt noch so viele andere Menschen von früher, die ich gern fragen würde, wie es ihnen geht. Aber leider lassen es die Umstände nicht zu, dass ich bei allen möglichen Menschen die mir so einfallen, mal schnell nachfrage. Also kann ich nur hoffen, dass es ihnen gut geht.

Mondkind

Kommentare

  1. Deine Oma ist ein toxischer, furchtbarer Mensch. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Es tut mir leid, dass dir dein Kinderzimmer so völlig ohne Respekt für deine Eigentümer und Erinnerungen genommen wurde. Das geht einfach gar nicht, passt aber leider vollumfänglich zu dem Rest deiner Familie, der hier manchmal Erwähnung findet.

    Hast du dir schon einmal überlegt, auf Teilzeit zu reduzieren? Zumindest für einen begrenzten Zeitraum?

    Was die fehlende Resonanz der Therapeutin angeht: Forderst du diese ein? Benennst du deine Bedürfnisse und Wünsche ihr gegenüber? Ganz konkret?

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    1. Hi ;)

      Aktuell darf ich Mittwochs nach der Therapie nach Hause gehen; das ist schon mal ein bisschen Entlastung von der Arbeitssituation. Es gab ja eine zeitlang zumindest einen Mini - Anteil unserer Überstunden die wir aufschreiben durften, daher rühren die noch. Wie das weiter geht wenn die leer sind, weiß ich nicht. Dafür, dass ich erst halb 3 wieder auf der Arbeit wäre und man für Arzttermine ja nun nicht unbedingt Überstunden nehmen sollte ist das auch nur so halb fair geregelt mir dafür vier Überstunden zu streichen, aber ich bin schon froh, dass das überhaupt noch ein paar Wochen geht und immerhin gehe ich ja auch nie halb 5; da spare ich im Endeffekt schon einige Stunden. Und wenn die Überstunden dann leer sind, muss man sich über Stundenreduktion wahrscheinlich echt mal Gedanken machen...

      Es ist schwierig mit der neuen Therapeutin, das sage ich ganz ehrlich. Ich versuche zwar ihr gegenüber schon ehrlich zu sein, aber zum Einen weiß ich aktuell selbst häufig nicht wie es mir geht, zum Anderen möchte ich auch nicht, dass sie meine Bedürftigkeit sieht und am Ende wieder anfängt darauf herum zu hacken. Oder dass - wenn ich sie um ihre Resonanz bitte - wir am Ende wieder Stunden darüber reden, dass ich meine Entscheidungen selbst treffen muss. Das stimmt zwar, aber ich bräuchte halt schon ihren fachlichen Rat zu der ganzen Geschichte. Ich weiß auch nicht, wo ich hin will mit ihr. Sie geht nächstes Jahr im Mai in Rente, es gibt keinen Nachfolger, das heißt so wie es jetzt aussieht werde ich ohnehin spätestens dann wieder ohne Therapie dastehen. Und dann will ich auch einfach ein bisschen vorsorgen und mir selbst nicht das Gefühl geben, sie zu brauchen. Also lasse ich das - vielleicht ein Stück unbewusst - so nebenbei laufen, so als Termin den man eben auch noch zu absolvieren hat aber ohne, dass ich mich in irgendeiner Form darauf stütze. Ich habe so viele Verluste erlebt, ich kann nicht mehr. Und wenn ich weiß, dass ich mir zumindest einen Trennungsschmerz sparen kann, indem ich mich gar nicht auf diesen Menschen einlasse, dann tue ich das und das ist - glaube ich - nicht mal eine bewusste Entscheidung.

      Mondkind

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    2. Dir ist bewusst, dass dein Arbeitgeber dir nicht verbieten darf, Überstunden aufzuschreiben, oder?

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