Ein paar Worte zur Therapie

„Mondkind jetzt komm mal her, wir müssen jetzt mal analysieren, was Du da dokumentiert hast in Deinem Fall von Sonntag.“
Dieser Katastrophen – Dienst schlägt immer noch täglich hohe Wellen in der Neurologie. Ich sitze zitternd neben meinem Oberarzt, mit dem ich die letzten Monate die Notaufnahme gemacht habe und aus dessen Zuständigkeitsbereich ich bald heraus rotieren werde. Findet er einen Fehler? Er schaut genau, wann ich welches CT angemeldet habe, schaut sich alle sonstigen Untersuchungen an, die ich gemacht habe, vergleicht es mit der Doku.
„Okay Mondkind, das hast Du gut überlegt und ziemlich sauber dokumentiert, da kann man Dir glaube ich wenig…“

Kurze Zeit später. Bevor ich zu meinem Termin gehe. Seitdem ich wieder auf der Station bin, ist es nicht mehr selbstverständlich, dass ich danach gehen darf. „Darf ich nach meinem Termin nach Hause gehen?“, frage ich. „Mach [dem Kollegen] eine Übergabe und geh nach Hause Mondkind“, sagt er. „Danke“, entgegne ich. Die letzten drei Tage waren die Hölle. Mein Gehirn ist platt. Ich habe so viel Müll in meinen Briefen geschrieben. Mein Oberarzt hat sie einfach stillschweigend korrigiert. Sonst zieht er mich mit solchen Fehlern immer auf; diese Woche nicht.

„Ihre Augen sehen so leer heute aus…“, ist der erste Satz von Frau Therapeutin auf der Türschwelle. „Die letzte Woche war eine absolute Katastrophe“, entgegne ich. Erzähle von meinem Dienst. Von dem Patienten. „Ich habe mich einfach so unglaublich hilflos gefühlt. Und es ist einfach egal, ob Du sieben Jahre Assistenzarzt bist, oder eben erst im zweiten Jahr bist. Du hast zu funktionieren und Du hast das Richtige zu tun. Und auch wenn Du Angst hast, dass er gleich auf dem CT – Tisch sterben wird. Dabei sein, präsent sein, versuchen zu retten, was zu retten ist. Was nicht viel war.“ Sie findet das grenzwertig. Solche Dienste, die potentiell traumatisieren können.
Und dann rede ich von der „Einjahresrealität“ mit dem Freund. „Ich weiß nicht, was die Leute von mir erwarten. Ich erwarte von niemandem das siebte Weltwunder, dass er mich da raus rettet oder sonst irgendetwas. Es ist passiert, ich habe es erlebt, das kann keiner mehr rückgängig machen. Aber ich brauche keine Hobby – Psychiater oder lebenden Ratgeber. Ein bisschen zwischenmenschliche Wärme, das Gefühl nicht völlig alleine zu sein, ein bisschen praktische Unterstützung – das würde mir helfen."
Und nach einer kurzen Pause. „Das ist dasselbe wie mit diesem „Mondkind Du musst ihn jetzt mal langsam loslassen.“ Absoluter Schmarrn, echt. Ich muss ihn nicht loslassen. Ich habe schon früh in mein Tagebuch geschrieben, dass Loslassen für mich ein Synonym für Vergessen ist. Und das will ich ja gerade nicht. Es geht glaube ich darum, ihm irgendeinen Platz in mir und in meinem Leben zu geben, an dem er bleiben darf. Und klar, das ist nicht mehr der Platz, an dem er gewesen ist. Aber das ist auch nicht ein Platz außerhalb meines Lebensbereichs.
Und das Problem ist… - alles was ich erzähle, führt beim Gegenüber sofort zu Wiederstand und ist falsch. Diese Version, die ich viel schöner und friedlicher finde, die akzeptiert kein Mensch.

Und irgendwie… - wir rennen da alle irgendwie gegeneinander und niemand hat mehr Verständnis für den anderen. Klar, der Tod ist ein Tabuthema und erst recht ein Tod durch Suizid. Da will jeder Abstand haben. Da relativiert das Gegenüber wo es geht, um nicht mit der Trauer und der Ohnmacht konfrontiert zu werden. Da gibt es viel rationales Gerede, wie es sein müsste. Aber es gibt kein Mitfühlen. Es gibt kein „Mondkind, was brauchst Du eigentlich?“ 


 

Wir reden noch kurz über die Studienstadt. Obwohl ich eh frühestens Oktober hinkann – vorher habe ich nicht einen einzigen Tag Urlaub und der Dienstplan lässt keine Lücken. Ich habe mich die ganze Stunde zusammen gerissen, aber jetzt geht es echt nicht mehr mit den Tränen. „Wenn ich diesen Sommer nicht fahre, war ich dann zwei Sommer nicht am [Fluss]. Und ich vermisse es so, so sehr. Rückblickend war [die Studienstadt] das meiste Heimatgefühl der letzten Jahre. Ich habs nur leider nie begriffen. Weil das ja nicht das erklärte Ziel war. Aber ich kann einfach nicht mehr am Flussufer stehen.“ „Haben Sie noch Kontakt zu ihrem alten Therapeuten?“, fragt Frau Therapeutin. „Nein. Der arbeitet jetzt in einer Praxis und behandelt nur Privatpatienten. Also… - ich habe sogar mal eine neue Mailadresse von ihm gefunden, aber das kann ich jetzt nicht bringen; der denkt noch ich stalke ihn.“ „Also ich habe das auch schon gemacht, dass ich Patienten zum Friedhof oder irgendwo hin begleitet habe. Schreiben Sie ihm eine Mail, fragen Sie ihn. Sie würden ihn ja auch bezahlen, wenn er das macht. Ich denke das ist es wert.“ Ich schweige eine Weile. „Er wäre aktuell wirklich der Einzige mit dem ich mich das überhaupt trauen würde. Ich habe noch ein Gespräch im Ohr, in dem er mal gesagt hat: „Niemand weiß, wie es Ihnen mit der aktuellen Situation geht. Das weiß ich nicht, das weiß Ihr Oberarzt nicht und das wissen Ihre Eltern nicht. Die müssen das alle nicht machen. Das wissen nur Sie.“ Und das war so viel Wertschätzung meines Erlebens, dass ich glaube, dass er grundsätzlich alles Gefühlslagen, die ich dort am Flussufer haben könnte, akzeptieren würde. Vielleicht wird es nicht schlimm, in der Öffentlichkeit kann ich mich ja meistens zusammen reißen. Aber sollte ich da – wie damals im Blutabnahmezimmer – weinend, hyperventilierend und völlig am Ende sitzen, würde er das auch akzeptieren ohne viel zu kritisieren. Und das ist alles was ich brauche. Ich muss da durch. Irgendwie. Und niemand kann mir mein Gefühlsleben abnehmen. Aber ich brauche Hilfe dabei.“

Wir haben zwei Minuten überzogen, als sie mich rausschmeißt. Der Druck hat sich minimal reduziert. Aber es ist weit entfernt von okay. Die Dienste sind wie ein Bügeleisen. Einmal drüber über das Hirn und dann ist es so müde, dass es zumindest nicht ganz so destruktiv denkt.
Freitag kommt der nächste Dienst. Kann ich das schaffen?

Mondkind

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