35 Monate

Mein lieber Freund,
schon wieder ist ein Monat vorbei.
Gerade ist es ziemlich sommerlich draußen.

Deine Mum zieht bald um. In eine Stadt ganz in der Nähe, aber weg von der Stadt, in der Du beerdigt liegst. Irgendwie tut mir das ein bisschen weh. Sie hat mich schon darum gebeten, dass ich sie auch dort besuchen komme, was ich hoffentlich dieses Jahr noch schaffe – Dich besuche ich dann natürlich auch. Mittlerweile sieht es sehr hübsch bei Dir aus und Du hast immer eine Schale von Blumen bei Dir. Das gefällt mir sehr gut. 



Ich war in der Studienstadt.
Das ist immer noch eine sehr emotionale Sache. Und langsam – befürchte ich – spüre ich auch, wie die Erinnerungen etwas verblassen. Natürlich weiß ich noch, wo wir überall waren, aber die Erinnerung an dieses Gefühl damals wird irgendwie weniger. Ich war mittlerweile schon so oft alleine da oder hatte einen meiner Freunde dabei. Und gleichzeitig ist es immer noch ein besonderer Augenblick an den Plätzen vorbei zu gehen, die uns verbunden haben. Ich bin an dem Café vorbei spaziert, in dem wir uns das erste Mal getroffen haben. An Deinem alten Arbeitsplatz. In der Uni natürlich. Am Uno. An der Bibliothek.
Und auch, wenn das den Schmerz natürlich auch verändert, hätte ich tatsächlich den Schmerz in dieser puren und brutalen Form immer noch gern bei mir.

Dass Beziehung übriges mal so kompliziert werden kann, hätte ich nie gedacht.
Hast Du eigentlich viel hinterfragt mit uns?
Ich meine – Du warst der erste Mensch, der so nah an mir dran war. Ich habe ungefähr alles was wir erlebt haben als „So ist wahrscheinlich Beziehung“ verbucht. Das ist erstaunlich unreflektiert, oder? Aber Du hast auch nie wirklich Gespräche darüber angeregt und ich war irgendwie gar nicht dabei so weit zu denken. Heute würde mich interessieren, wie Du viele Sachen siehst. Von einigen weiß ich es auch ohne, dass ich Dich fragen müsste, weil ich Dich einfach gut genug kenne. Und den Rest bequatschen wir irgendwann in einem anderen Leben, okay?

Und auch wenn ich ja jetzt Urlaub hatte, hat das mit der Erholung glaube ich nicht so geklappt. Da tobt viel im Hintergrund. Die Dinge ändern sich glaube ich irgendwie. Das Hirn merkt schon, dass es nicht springen kann, wie es gerade will. Dass es weiterhin funktionieren muss. Morgen ist Dienst, nächstes Wochenende ist auch Dienst, die Stroke Unit ist ein einziger großer Chaoshaufen und angeblich hatte es der Oberarzt wohl nicht mehr abwarten können, bis ich da bin. Nur leider kann ich alleine eine Station auch nicht retten und vor allen Dingen – ich will es auch gar nicht mehr. Daneben ist am Dienstag – nun doch ein bisschen eher – mein Vortrag; Du darfst mir die Daumen drücken. Morgen ist dann mal auch so ein Jahrestag, von dem ich sehr froh bin, dass er nicht auf Deinen Monatstag gefallen ist, denn dieser soll für immer Dir gehören.
Jedenfalls habe ich versucht mich tapfer zu schlagen, aber ganz ohne Ibuprofen kam ich die letzten Tage nicht aus, ich spüre, dass ich ziemlich reizüberflutet bin und könnte eigentlich an jeder Ecke schlafen.
Aber wahrscheinlich ist das eben so, wenn man es gerade nicht ganz aufgeräumt bekommt mit sich und dem Leben…

Deshalb heute mal etwas kürzer. Ich bin sehr erschöpft.
Vor dem nächsten Brief habe ich ehrlich gesagt schon etwas Angst. Dann sind es schon drei Jahre ohne Dich. Oder erst… ?


Halt die Ohren steif.
Ganz viel Liebe ins Richtung Universum

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen