Vor einem Jahr...

Heute vor genau einem Jahr.

Ich kann mich erinnern, als sei es gestern gewesen.
Wir saßen auf dem Sofa / Bett, was damals noch um 90 Grad gedreht im Raum stand.
„Wir haben noch nicht über unseren Beziehungsstatus geredet“, merke der Freund an. Fünf Minuten später war das erledigt.  Und wir waren ein Paar. 4. Juni. Mitten in der Nacht. Aber schon nach Mitternacht. Für mich war diese Definition damals wichtig. Weil es eben mit dem verstorbenen Freund nie so genau definiert war. Was nach seinem Tod ein echtes Problem war.
Damals dachte ich, das mit uns, das ist jetzt für immer. 





Am Morgen danach habe ich ihn zum Bahnhof gebracht und als wir noch im Auto saßen und gewartet haben, dass es Zeit zum Losgehen ist, ist dieses Bild entstanden.
Er ist damals zwei Wochen nach Italien gefahren. Das war hart damals; ich glaube für uns beide.

Damals wussten wir noch nicht, dass dieses Wunder nur knapp sechs Monate halten wird.
Dass es ein sehr kalter Dezembertag kurz vor Weihnachten wird, als die Bäume wieder kahl und die ersten Flocken vom Himmel gesegelt waren. Damals lag ich auf dem Bett, er saß auf dem Sofa schräg hinter mir. „Dann müssen wir uns trennen“, war sein Resultat der Nicht – Diskussion auf dem Spaziergang zuvor.

Damals hätte ich aber auch nicht gedacht, dass wir uns heute wieder regelmäßig sehen. Dass der Tag gestern mit einer innigen, minutenlangen Umarmung und einem Kuss auf dem Gehweg geendet hat und wahrscheinlich jeder der in den umliegenden Gärten sitzenden Menschen dachte, wir sind das Paar überhaupt. Es sieht halt selten so aus, wie es ist.

Ich habe gestern mal bewusst nicht angesprochen, was das mit uns denn jetzt sein soll. Mir ist das auch manchmal zu anstrengend und aktuell bin ich ohnehin ohne Ende erschöpft. Ich bin gestern den Tag über gleich zwei Mal auf seinem Sofa eingeschlafen. Ich kann schon irgendwie damit leben. Mit diesen Widersprüchen. Hoffe ich.
„Ich freue mich sehr, dass wir uns morgen sehen – freust Du Dich auch?“, habe ich ihn Donnerstagabend am Telefon gefragt. Erst kam lange nichts und irgendwann kam ein leises und verhaltenes „Ich glaube schon“. Als könnte das zu viel gesagt sein und gleichzeitig war das so ehrlich und pur in seiner Stimme, dass die Botschaft dahinter nicht so vorsichtig klang, wie er es gesagt hat. Und dennoch hat er ein „Sehen wir uns Donnerstag?“ gestern zunächst mit einem „weiß ich nicht“ beantwortet, bis ich ihn ein bisschen drauf fest genagelt habe.
Das geht seit so vielen Monaten so, dass ich langsam lerne, damit zu leben. „Sie brauchen Sicherheit und Verlässlichkeit“, sagte einst mal meine Therapeutin vor vielen Jahren und das hier ist weiterhin das komplette Gegenteil davon – auch, wenn ich im Moment dankbar bin, dass es wenigstens ist, wie es ist. Vorbei sein kann es immer. Haben wir erlebt. Aber genau das macht mir immer noch sehr viel Angst. „Ich weiß, dass der Verlust von mir wichtigen zwischenmenschlichen Bindungen immer eine Katastrophe ist“, war so ziemlich der zweite Satz an jenem 19. Dezember, den ich zu meinem Intensiv - Oberarzt gesagt habe. Dieses Gespräch hätte mich damals fast in die Psychiatrie katapultiert. Und ich muss da noch viel an mir arbeiten, dass ich mit solchen Verlusten besser umgehen kann.

Mal sehen, wie das mit uns jetzt weiter geht. Übernächste Woche habe ich mal wieder ein ganzes Wochenende frei – ich könnte hoffen, dass er da noch nicht wieder im Urlaub ist. Das wäre glaube ich das erste komplette Wochenende seit knapp sechs Monaten, das wir miteinander verbringen. Und wahrscheinlich auch echt mal schön für uns beide. Diese nicht mal 24 – Stunden – Besuche sind schon immer ziemlich stressig – für mich jedenfalls.

Ansonsten… - ich weiß nicht, was mein Körper hier veranstaltet. Eigentlich war ich nie so eine psychosomatische Katastrophe. Diese Erschöpfung gepaart mit Kopf- und Magenschmerzen ist schon ein bisschen undankbar. Vor allem, wenn der Tag schon so los geht – wie soll das erst nach der Hälfte des Dienstes heute sein? Und ich weiß ja, dass es vom Prinzip her nichts ist – wirklich krank in dem Sinn bin ich ja nicht; also kann ich auch arbeiten gehen. Ich weiß schon, dass mein Leben gerade dezentes Chaos ist und da wahrscheinlich auch viel im Hintergrund stresst, mit dem ich mich aktuell auch gar nicht beschäftigen kann; das muss mir der Körper nicht unbedingt auch noch erklären.
Mal sehen – nächsten Freitag treffen sich der Intensiv – OA und ich aller Voraussicht nach; wir haben uns letzten Freitag in der Frühbesprechung kurz getroffen und koordiniert. (Ich war sehr froh, dass er sich einfach neben mich gesetzt und mich angesprochen hat; ich hätte ihn nämlich erstmal in Ruhe gelassen). Mit meinem Lebenschaos kann mir wahrscheinlich gerade niemand so wirklich helfen – einen Therapeuten gibt es ja nun mal nicht – aber wenigstens der Körper darf mal aufhören zu spinnen. Vielleicht fällt ihm etwas Schlaues ein. Manchmal hat er wirklich pragmatische Ideen; dafür mag ich ihn sehr.
Aber wenigstens muss ich heute Abend – sollte ich noch etwas essen wollen nach dem Dienst – nichts mehr machen; der Freund hat mir die Reste gestern einfach mitgegeben, sodass ich die nur noch in die Mikrowelle schmeißen muss. Obwohl ich nicht mal etwas gesagt habe hinsichtlich essen nach dem Dienst. (Man könnte meinen, ihm wird doch langsam klar, dass dieses Dienste wirklich sehr anstrengend sind und es sind diese Kleinigkeiten, an denen ich meine zu merken, dass wir vorsichtig Schritte aufeinander zugehen und die Lebenswelt des anderen versuchen zu verstehen). Und wenn ich heute Abend keinen Hunger mehr habe, werde ich morgen Abend auch dankbar dafür sein, weil ich immerhin bis Dienstag irgendwie noch diesen Vortrag auswendig lernen muss. Ich habe es gestern früh versucht, als der Freund noch geschlafen hat – ich konnte mir wirklich nichts merken… So grob werde ich das schon auf die Reihe bringen, hoffe ich dennoch. Und Fachbegriffe, die ich mir bis dahin nicht merken kann markiere ich und lege die Zettel auf dem Rednerpult ab. Man soll ja beim Vortrag sowieso durch den Raum spazieren – dann spaziere ich da eben ab und an vorbei. Die groben Dinge kann ich ja schon… ich wünschte mein Hirn wäre etwas aufnahmebereiter.

So – jetzt rocke ich erstmal den Dienst heute.


Mondkind


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