For the last time...

Ich glaube, heute habe ich zum letzten Mal im Büro von der potentiellen Bezugsperson gestanden.
Ich habe ihn um ein Ohr gebeten. Weil ich einen kleinen Rat brauche. Von Jemanden, der mal nicht drin hängt, in der Dynamik zwischen dem Freund und mir. Weil ich gern mal mein Erleben teilen würde. Mit wem, der mich schon lange kennt.

Tatsächlich war das ja mit uns schon das letzte Jahr über sehr, sehr schwierig.
In meiner Zeit auf der Intensivstation haben wir uns kaum gesehen, weil das auch schlicht nicht so einfach möglich war, zwischen den Häusern hin und her zu rennen. Und, weil ich ihm das ziemlich übel genommen habe, dass es seine Idee war, mich sofort nach der Klinik auf die Intensivstation rotieren zu lassen, wo doch ziemlich offensichtlich war, dass das die nächste Krise auslösen wird, wo ich mich doch gerade eben stabilisiert habe.
Und dann war es ja auch seit dem Tod des Freundes so, dass er ziemlich unberechenbar geworden war. Dass da manchmal aus dem Nichts so vernichtende Kommentare kamen, dass das kaum auszuhalten war und die – eben weil er mich so gut kannte – die Seele bis aufs Tiefste erschüttert haben.

Aber irgendwie war ich nicht so vorbereitet, dass wenn ich wirklich mal vorbei komme und lieb nachfrage, ein kurz angebundenes „Nein“ kommt. Nicht, weil gerade keine Zeit ist oder die Gelegenheit nicht passt - wie das ja immer mal sein kann im Krankenhaus - sondern weil ich eben ich bin. Und er darauf keine Lust mehr hat. Das hat er auch ziemlich deutlich so begründet.
Ich habe es dann natürlich auch akzeptiert und war innerhalb einer halben Minute wieder draußen. 

Und obwohl dieses Kapitel schon fast geschlossen war, schließt es sich jetzt komplett.
Genau das ist übrigens das Problem an vertikalen Beziehungen. Da gibt es nichts mehr zu diskutieren. Das ist dann eben einfach so. Es war immer klar, dass er da das Zepter in der Hand hat.

Damit gehen dann mehr als sieben Jahre zwischen uns beiden zu Ende.
Und auch wenn das am Ende so schwer mit uns war, hat er mir unglaublich viel mit auf den Weg gegeben. Als wir uns damals im Frühling 2016 kennen gelernt haben, war ich gerade erst zu Hause raus und ziemlich verloren mit der ganzen Situation. Ich hatte die ganze Familie gegen mich, keinen festen Platz, keinen Halt und dann kam er ums Eck.
Und irgendwie ist er eine Art „Zieh – Papa“ geworden. Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass ein Oberarzt der falsche Mensch dafür ist und das stimmt auch sicherlich – aber ich war ja kaum abseits von Uni oder Krankenhaus unterwegs – wo sollte ich Menschen kennen lernen? Und als er das dann noch genauso formuliert hatte – ich werde nie den Satz „Dann bin ich jetzt eben erstmal Dein Ersatz – Papa“ vergessen – war das irgendwie klar, dass ich an ihm hängen bleibe.
Und das war dann auch so. Neben einigen anderen war er der wesentliche Grund dafür, dass ich heute im Ort in der Ferne bin. Er hatte diese Papa – Vibes, die ich so sehr vermisst habe. Er konnte mir ein bisschen etwas von dem zurückgeben, das mir so sehr gefehlt hat. Und ich hab mich im Grunde immer sehr geschämt, an dieser Stelle so bedürftig zu sein. So viel alleine auf die Kette zu bekommen, wenn es sein muss, aber an dieser Stelle so verletzlich und verwundbar zu sein.
Seit jenem Frühling waren wir eigentlich immer im Kontakt. Mal mehr, mal weniger. Aber selbst wenn ich in der Studienstadt war, haben wir geschrieben. Er war meistens der Erste, der ungefiltert von den Dingen wusste. Er war der Mensch, mit dem ich meinen weiteren Lebensweg bequatscht habe, wie ich das mit der Arbeit und der Neuro mache, wie ich dazwischen noch Therapie und Klinik unter kriege. Er war einer der ganz wenigen Menschen, bei denen ich damals noch nichts verstecken musste. Tatsächlich war er damals einer von zwei Menschen, der wusste, wann das Examen ist. (Der andere war der verstorbene Freund). Und tatsächlich war er der Erste, den ich damals angerufen habe. Während alle ihre Familien angerufen haben, habe ich eben ihn angerufen. An einem der wichtigsten Tage der Karriere.

Irgendwann lief das mal – wahrscheinlich jenseits aller Grenzen – ziemlich gut mit uns. In diesem einen Sommer, in dem ich relativ oft sonntags bei ihm war. Wir haben den Garten zusammen gemacht – Tomaten gepflanzt, Rasen gemäht, vertikutiert, Sonnensegel gebaut oder ein Gewächshaus – irgendetwas gab es immer zu tun, seine Frau hat meist in der Zeit gekocht und dann haben wir alle zusammen noch gegessen, ehe ich wieder aufgebrochen bin.
Das hat dann recht schnell aufgehört, als die Beziehung zwischen uns schon dezent gekippt ist, aber diese Sonntage haben ein bisschen was in einem Mondkind – Herz heilen lassen. Ich hab’s mal erlebt, diese „Familien – Sonntage“, die so schwer vermisst waren. Ich trag sie bis heute im Herzen und hab immer still gehofft, dass die nochmal zurück kommen.

Und irgendwie bin ich unter seinen Fittichen sogar in der Neuro angekommen. Wir haben die ersten „ersten Dienste“ zusammen gemacht, er hat mich schon auch manchmal krass getreten, wenn es sein musste und ich habe auch viel geflucht, aber ob ich das mit meinen 10.000 Ängsten ohne ihn geschafft hätte, weiß ich nicht.

Er hat mich wesentlich auf meinem Weg des Erwachsenwerdens begleitet und natürlich hätte ich ihn gern noch ein bisschen behalten.
Es fühlt sich schon ein bisschen an, als würde ich mein Nest verlieren.
Aber vielleicht ist das mit 30 okay und an der Zeit.

Ich werde die guten Tage nicht vergessen.
Und nicht vergessen dankbar zu sein. Trotz der Traurigkeit, dass das jetzt auch vorbei ist. Und trotz der Tatsache, dass hier gefühlt gerade alles zerfällt.
Und wenn irgendwann mal die Frage auftauchen wird, wer mich in meinen 20ern wesentlich geprägt hat, dann wird sein Name fallen.

Mondkind


P.S. Und so ist es halt… - wenn die Lawine ein mal rollt, dann rollt sie scheinbar. Dann passiert eine zwischenmenschliche Katastrophe nach der anderen. 


Bildquelle: Pixabay

 

Kommentare

  1. Das tut mir von ganzem Herzen unfassbar leid & es kann ja sein, dass er selber im Leben gerade private Probleme hat , auf jeden Fall finde ich das für einen Arzt ziemlich undifferenziert. Aber da ich selber aus einem Arzt-/Apotheker Haushalt kommt, wovon ich auch wirklich viel Schaden genommen habe, dann weiss ich eines: Gut gebildet heißt nicht zwangsläufig , dass dies imnprivaten Kimtext auch so ist, dass da differenziert kommuniziert & sich mitgeteilt wird. Und jemand hat es in einem Kommentar vom letztem Beitrag erwähnt, das ist eine klassische Kognitive Dissonanz.
    Trotzdem tut es mir für dich schon sehr arg weh - und ich Folge dir nun auch schon einige Jahre (weiss auch, was du meinst mit dem Examen da ;)) , habe auch mitbekommen, wie du in seine Familie eingebunden wurdest- im Garten, an Weihnachten....Ich mag Dich sehr !! Und als eine, die dir online schon seit Jahren folgt, JEDEN Blogpost liest, du der erste Account bist, denn ich aufrufe- und da bin ich glaube ich nicht mal die Einzige! Das spricht SO sehr für Dich, liebe Mondkind!!

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    1. Danke Dir für das liebe Kommentar.
      Ja, mit dem Examen, das werde ich wahrscheinlich auch mein ganzes Leben nicht vergessen…

      Ganz überraschend kam das ja jetzt zum Glück alles nicht – das hat sich ja schon vorher angebahnt. Ich glaube das ist auch eine der Beziehungen, die den Tod des Freundes irgendwie nie gepackt haben – wie die Meisten aus dem Leben davor. Und wir haben das noch lange versucht – oder sagen wir vielleicht besser ich – aber wir haben da im Grunde nie wieder richtig zueinander gefunden. Es war mir eigentlich wichtig, diesen Menschen behalten zu dürfen, aber es ging nicht.

      Dass er selbst irgendwelche Sorgen hat kann natürlich sein, aber er hat das schon deutlich mit meiner Person begründet. Aber wie gesagt - die Tendenz war ja auch schon lange klar.

      Ich werde schon auch noch eine Weile dran zu knacken haben und wir arbeiten ja auch aktuell miteinander, was das jetzt nicht unbedingt einfacher macht.
      Aber es wird schon irgendwie. Es ist ja irgendwie das, wie die meisten zwischenmenschlichen Beziehungen in meinem Leben enden. Man sollte meinen, ich bekomme irgendwann Übung…

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