Von einem Tag im Dienstfrei

Dienstagmorgen.
Ich sitze neben dem Kollegen in der ZNA. Die Übergabe auf der Station habe ich schon gemacht, aber mir hängt die Nacht noch ordentlich in den Knochen. Selbst mit mittlerweile schon einigen Jahren Diensterfahrung gibt es immer wieder Fälle, bei denen man der Zeit irgendwie nur hinterher rennt. „Komm Mondkind – geh nach Hause“, sagt der Kollege. „Du darfst nicht vergessen – wir haben auch noch ein Leben. Beschäftige Dich heute nicht mehr so viel damit – ich schreib Dir heute Abend, was raus gekommen ist.“ „Eigentlich wollte ich pünktlich gehen“, sage ich. „Dann mach das“, entgegnet er.
Ich fahre den PC in der ZNA herunter, recherchiere in unserem Arztzimmer doch noch kurz und gehe dann wirklich. Manchmal lässt einen dieser Job nicht los. Es ist einfach so.

Nach vier Stunden Schlaf über den Mittag bin ich am Nachmittag erstaunlich fit. Manchmal komme ich nach so einem Dienst auch gar nicht auf die Füße. Auf heute habe ich mich allerdings auch ziemlich gefreut.

Zunächst mal düse ich in die Nachbarstadt zur Frau des Oberarztes.
Zuerst mal geht es doch um den Patienten von heute Nacht und dass solche Nächte oft empfindlich an meinem beruflichen Selbstbewusstsein kratzen. Wir haben alles gemacht – wirklich alles – aber man hätte die Dinge eben auch immer anders entscheiden können. Vielleicht wäre es dann anders ausgegangen, aber manchmal ist es eben so, dass man mehrere Optionen hat und vielleicht retrospektiv – bevor man weiß, was noch alles passiert – nicht die Beste wählt. Am nächsten Morgen sind alle schlau, aber in der Situation drin…
Im Anschluss brauche ich erstmal ewig, um sie aufs Pferd zu heben. Sie weiß schon, dass der ehemaligen Freund sich den Arm gebrochen hatte (wahrscheinlich ist es Teil des Deals, dass der Oberarzt und seine Frau eben doch miteinander reden), aber von all dem, was danach kam, weiß sie noch nichts.
Und dann geht es darum, dass ich mir überlegen muss, ob ich in dieser Beziehung bleiben kann. Mit dem, was sie mit sich bringt. Es ist abzuwägen, wie wichtig mir dieser Mensch ist und ob ich Abstriche von meiner ursprünglichen Vorstellung von Beziehung machen kann, wenn die einzige Möglichkeit ist, mit ihm in einer offenen Beziehung zu sein. Die Frau des Oberarztes erklärt, dass es nichts Ungewöhnliches wäre, seine eigene Idee von Beziehung zwischendurch anzupassen. Das würden viele Menschen tun, wenn sie erstmal anfangen, ihre unkritisch übernommenen Ideen aus dem Elternhaus zu hinterfragen.
Wobei das natürlich tatsächlich Fragen mit sich bringt – vielleicht wäre die Wichtigste, wie in einem solchen Modell Familiengründung passieren kann und ob das überhaupt möglich ist. Ich möchte, dass meine Kinder eine Mama und einen Papa haben und dieser Papa nicht mit ständiger Abwesenheit glänzt oder zwischen mehreren Familien hin und her hüpft. Ich möchte nicht mehr oder weniger alleinerziehend bleiben, sondern mit meinem Partner, mit dem ich das Kind habe, zusammen leben.
Wir reden am Montag weiter, vereinbaren wir. Aber ich erzähle ihr, dass ich grundsätzlich ganz zufrieden bin, dass ich das Gefühl habe, dass es sich zwischen dem Freund und mir stabilisiert und dass so etwas auch immer ein bisschen Ruhe ins Leben bringt.

Wenig später fahre ich noch ein wenig weiter in Richtung Innenstadt, parke das Auto und spaziere auf die Fußgängerzone. Die Wärme ist drückend und überall sitzen Menschen an diesem Abend vor den Restaurants. Es fühlt sich fast ein wenig nach Urlaub an.
Ich treffe den Freund vor dem Restaurant, in dem wir verabredet sind. Der Plan ist, heute gemeinsam zu essen. Wir waren ewig nicht mehr hier. Zuletzt an seinem Geburtstag. 


Ein bisschen Nachbarstadt...


Und es ist auch alles wirklich schön und ich genieße diesen Tag nach diesem furchtbaren Dienst sehr, bis er zu der Idee kommt zu sagen, dass er darüber nachgedacht hat, ob das schlau ist, dass wir uns noch sehen und ob es nicht besser wäre, wenn wir gar keinen Kontakt mehr hätten.
Ich spüre, wie mein Herz schneller wird, wie ich jetzt alle grauen Zellen brauchen werde. Hatten wir uns nicht gerade gestern im Dienst noch geeinigt, dass ich den Oberarzt noch nach zwei Tagen frei für die Hochzeit seiner Schwester frage?
Manchmal kommt er mir vor, wie ein Blatt im Wind, das mal hierhin und mal dorthin weht.

Wahrscheinlich muss ich mich einfach damit anfreunden, dass die mir aktuell wichtigste Beziehung die instabilste zwischenmenschliche Beziehung ist, die ich je hatte. Spätestens seitdem der Freund gestorben ist, ist mir klar geworden, dass wir ohnehin nie wissen, was morgen ist und dass wir im Grunde nie wissen, ob wir den anderen noch mal wieder sehen, wenn wir über die Türschwelle treten. Dass jede Verabschiedung ein „für immer“ sein könnte und das ist mir auch sehr bewusst.
Und doch ist es mit ihm kompliziert. Weil ich ihn gern ganz unkompliziert an meiner Seite wüsste, von mir aus auch mal etwas näher und mal etwas weiter entfernt, aber grundsätzlich ohne dass ich mir jeden Tag die Frage stellen muss, ob er morgen auch noch da ist, oder wieder zu anderen Ideen kommt. Wahrscheinlich treiben wir uns jedes Mal gegenseitig in diese Spirale, mit der wir beide unzufrieden werden. Weil er – dadurch dass er so inkonstant ist – diese Angst in mir, dass er jeden Moment gehen könnte, erst so richtig antreibt. Normalerweise kann ich Menschen mittlerweile ganz gut lassen, aber bei ihm fällt es mir sehr schwer. Und umgekehrt nervt es ihn jedes Mal, dass ich mir von ihm eine Sicherheit wünsche, die er mir nicht geben kann und will. Und wahrscheinlich würde diese Sicherheit dort anfangen, wo wir aufhören würden, um sie zu ringen.

Vielleicht werden wir nie wissen, was wir sind. Bis zum Ende nicht. Für ihn ist es eine Art Freundschaft. Aber mit einem Kumpel – Freund schlafe ich normalerweise nicht. Also ist es mehr als das. Jedenfalls für mich.

Ich frag mich in dieser Nacht, während die Gewitter über das Land fegen, wann es Zeit ist, das zu beenden. Aktuell würde ich sagen, es ist okay, so wie es ist. Es gibt ihn nur so und diese Beziehung wird immer ein „Fishing for moments“ bleiben. Wir werden wahrscheinlich nie wissen, wann es das letzte Mal ist, dass wir uns sehen. Und irgendwann wird es das sein. So viel ist klar. Das kann so nicht für immer bleiben. Diese Beziehung wird immer so sein, dass es wieder zwei Schritte rückwärts geht, gerade wenn man denkt, dass man einen nach vorne gemacht hat. Wir werden nie wissen, wie viele Sommer wir noch haben. Nie wissen, wann einer von uns vielleicht ganz räumlich geht, wie der Freund gestern anmerkte – vielleicht um irgendwo anders zu arbeiten (ich weiß nicht, ob er schon Pläne hegt). Vielleicht werden wir es nicht mal wissen, dass es das letzte Mal ist, wenn wir auf der Türschwelle des anderen stehen. Wir werden nie gemeinsam planen können. Allein das mit dieser Hochzeit – wer weiß denn, was im August zwischen uns ist? Aber gut – das sind von meiner Seite aus zwei Urlaubstage, die kann man schon mal in den Wind schießen. Aber größere Reisen werden wir doch so nie planen können.

Ich frag mich, wie viel Zeit ich noch habe. Für mich.
Denn eigentlich ist meine Idee irgendwann eine Familie zu gründen. Irgendwann einzuschlafen und aufzuwachen neben dem Menschen, den ich liebe. Irgendwann gemeinsam Kinder groß zu ziehen. Und das wird mit ihm nicht funktionieren. Ich weiß noch nicht, ob ich bereit bin, diesen Wunsch hinten anzustellen, um weiterhin mit ihm eine Beziehung zu führen.
Und ich habe Angst, dass ich irgendwann älter werde und bemerke, dass es zeitlich irgendwie knapp wird das zu realisieren – ich bin ja mittlerweile auch schon 30.
Und gleichzeitig stehen Männer, mit denen man sich das vorstellen könnte, ja nicht an jeder Ecke. Ihn gehen zu lassen heißt auch nicht zu wissen, ob man nochmal jemanden findet, mit dem man glaubt diese Ideen realisieren zu können. Und gleichzeitig werde ich niemanden finden können, bevor ich ihn nicht gehen lasse und auch dann werde ich lange brauchen, um wieder offen für etwas Neues zu sein.

Und manchmal denke ich mir, das Leben sollte mich gelehrt haben, dass es ohnehin eigene Pläne hat. Dinge wie eine Familie kann man nicht alleine realisieren –so ist es einfach. Und während der Freund letztes Jahr noch ausgerechnet hat, wie viel Kindergeld wir bekommen würden (damals ging mir das alles viel zu schnell mit seiner Idee von Familie), beschäftigt sich jetzt meine Schwester damit.
Ich überlege mir in dieser Nacht, dass ich vielleicht irgendwann mal Tante werde. Aber dass ich vielleicht nicht meine eigenen Kinder irgendwo herum laufen sehe.

Ich weiß es nicht.
Auf jeden Fall bin ich froh, dass die Frau des Oberarztes und ich sich geeinigt haben, uns schon Montag wieder zu sehen. Es gibt viel zu besprechen.
Und zu erzählen, dass es nicht so okay ist, wie ich den Eindruck hatte. Obwohl es schön war. Diese Pirouette vom Wochenende bis gestern. Es ist immer wieder fast so, wie im letzten Sommer. Aber wahrscheinlich nie mehr so ganz.


Mondkind


Kommentare

  1. Und dieser Satz da: "Diese Beziehung wird immer so sein, dass es wieder zwei Schritte zurück geht, gerade wenn man denkt, dass man einen nach Vorne gemacht hat." klingt nach der perfekesten Definition von "Beziehungsangst" / "Bindungsangst" sprich mit anderen Worten: Angst vor einer Verbindung, vor Bindung, Angst vor VERBINDLICHKEITEN! Und genau das ist ja, wonach du Dich soooo sehr selbst! Nach einer "Heimat in einem anderen Körper" zu haben! Das ist ein SO gesunder Wunsch von Dir, liebe Mondkind! Und DU WEISST DAS! Und eure Konstellation funktioniert nur so, nur in der Aufrechterhaltung eurer beiden Pathologien oder Ur-Ängsten, Deiner Angst vier Verlust trifft auf seine vor Verbindlichkeiten, sich festzulegen & ihr RE-produziert dadurch eure Traumata aufeinander, ganz direkt gesagt: IHR RETRAUMATISIERT EUCH JEDES MAL AUFS GEGENSEITIG & GENAU DAS IST ABER WIE EIN CIRCULUM VITIOSUM (WAS VOM LATEIN INS DEUTSCHE ÜBERSETZT TEUFELSKREIS BEDEUTET)/ So kann jedoch NIE was Neues entstehen, denn ihr setzt euch gegenseitig Schachmatt & das, was euch so enorm stark aneinander tatsächlich binden lässt, ist die Hoffnung einer jeden komplex Traumatisierten Person, nämlich die, dass es vielleicht doch noch anders werden kann. Was ist Sinn einer unbewussten Retraumatisierung? Genau das, das man denkt, so wie es früher war, das wird vbei genügend Geduld irgendwann doch nochmals anders nämlich gut werden; dabei ist das Gegenteil der Fall...Einfach, was mich Sso krass verwundert , ja sogar ENTSETZT FÜHLEN LÄSST, ist das: WAS ZUR HÖLLE Nacht er da in seiner Therapie? Weil das, was er macht ist Folgendes: Er geht noch einen Schritt weiter, INDEM ER DIE REALITÄT AN SEINE PATHOLOGIE ANPASST UND SOMIT BEZIEHUNGEN IHNE BINDUNGEN ZU FÜHREN FÜR NORMAL VERKAUFT DAS KLINGT FÜR MICH NACH EINEM RPERFEKTIONIERTEN REALITÄTSVERMEIDUNG NEIN SOGAR REALITÄTSFLUCHT, REALITÄTS-PARADOXIE IN SEINER EUUGEMS ERSCHAFFTEN PSYCHOTISCHEN WELT, IN DER ABER NUR ER LEBT...Er klingt wirklich nach einem Menschen, der dringendsten professionelle Hilfe bräuchte& ich bin wirklich ENTSETZT, dass dies in seiner eigenen Therapie anscheinend nicht mal ansatzweise zun Thema wird. .Dieser Mensch müsste, bevir er auf Menschen losgelassen würde, zuerst intensiver Psychotherapie bedürfen, wobei er ja jede Veränderung (und Therapie IST im Kern der Wunsch nach Veränderung) perturpiert & seine Pathologie als den Maßstab von Normalität ansetzt & Dich Damit in schwerster Art & Weise EMOTIONAL SO WIE DANN AUCH OSYCHUSCH MISSBRAUCHT! ER SEIHT GAR NICHT DICH, ER KANN GAR NICHT 'DICH" SEHEN GEESCHWEIGE DENN LIEBEN,U BIST IM ORINZIO EINE SOUELFIGUR IN SEINER EIGENS KREIERTEN REALITÄT! Uff...

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