Von Job, Sicherheiten und Vertrauen

Der Oberarzt der Stroke Unit und ich sitzen zusammen vor dem Monitor und schauen uns die MRTs von diesem Nachmittag an. Wir kommen bei einem der Patienten aus meinem letzten Dienst an.
„Hätten Sie den lysiert unter den Umständen, die wir hatten?“, frage ich.
„Nein Mondkind. Schon im ersten MRT hatte er einen Infarkt, der sowohl in der Flair als auch in der Diffusion zu sehen war. Da wäre das Einblutungsrisiko zu hoch gewesen.“
Jetzt hat er ein neues MRT bekommen – er hat nämlich vor unseren Augen mit der Symptomatik ordentlich nachgelegt. Der neue Schlaganfall ist gar nicht so groß – aber an einer ungünstigen Stelle.
„Der dienstplanverantwortliche Oberarzt hat gesagt, in Anbetracht der schweren Symptomatik hätte er lysiert“, gebe ich zu bedenken.
„Fragst Du fünf Leute, wirst Du fünf Antworten kriegen. Das war eine Grenzfallentscheidung. Eine Lyse wäre auf jeden Fall ein Risiko und nicht leitliniengerecht gewesen, obwohl ich auch eine solche Entscheidung in dieser verzweifelten Situation hätte nachvollziehen können.“
Es gibt immer noch Uneinigkeiten hinsichtlich der verschlossenen Hauptschlagader. Eine Dissektion ist nach Betrachtung der heutigen Bilder raus. „Das kann aber auch kein akuter Verschluss sein“, sagt der dienstplanverantwortliche Oberarzt, der mit einem Radiologen inzwischen dazu gekommen ist. „Dann hätten die Kollateralen im Leben nicht so gut funktioniert. Wie soll der Patient innerhalb von einer Minute so kräftige Kollateralen bauen?“ „Die ACI war in meinem Doppler auch schon zu und das war mindestens eine Stunde vor Verschlechterung der Symptomatik. Wenn das symptomatisch gewesen wäre – dann hätte er doch schon da Symptome haben müssen“, gebe ich zu bedenken. „Vielleicht ist es ein subakuter Verschluss gewesen“, wirft einer der Radiologen ein. „Vielleicht war da ein Thrombus im Rahmen einer kardialen Embolie, der eine hochgradige Stenose erzeugt hat, bis das Gefäß dann wirklich zu war. Dann hatte er ein paar Tage, um Kollateralen zu bauen.“ Das würde auch erklären, warum er kaum Plaques in den Gefäßen hat. Ob der Versuch einer Thrombektomie dann bei einem so langstreckigen Verschluss, bei dem man den Thrombus auch nicht so einfach hätte raus ziehen können dann sinnvoll gewesen wäre, bleibt zu diskutieren. Die Neuroradiologen wollten es nicht machen in der Nacht, in der er aufgenommen wurde.
Vielleicht hätte man alles machen können und das Ergebnis wäre das Gleiche gewesen. Vielleicht hätte eine Lyse ihn umgebracht. Vielleicht hätte ein solch mutiger Vorstoß auch irgendetwas gerettet. Vielleicht hätte ihm der Versuch einer Thrombektomie das Gefäß komplett kaputt gemacht, weil der Thrombus eben zu fest an der Wand gewesen wäre. Oder es hätte die schweren Folgen für diesen Patienten doch etwas abgemildert.

„Das ist frustrierend“, sage ich leise, als alle wieder weg sind und ich alleine neben dem Stroke – Oberarzt sitze.
„Dann lieber 12 Aufnahmen in der Nacht, als so etwas“, sagt er.
Ich nicke nur still. 




„Haben Sie eigentlich irgendetwas davon gehört, dass ich wieder auf die Normalstation rotieren soll?“, frage ich den Stroke – Oberarzt.
„Nein“, entgegnet er. „Wer hat das gesagt?“
„Naja, man hört es aus dem Buschfunk“, sage ich. „Aber ich würde es halt gern wissen für meine Planungen und dann nicht am ersten Juli vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“
„Natürlich wollen die Dich da drüben haben Mondkind“, erklärt er. „Aber ich behalte Dich hier. Ich habe das Gefühl, ich bin hier zur Ausbildungsstation geworden. Ich brauche auch noch irgendwen, der weiß was er tut.“

***
Später sitzen wir mit ein paar Kollegen zusammen; der dienstplanverantwortliche Oberarzt ist auch da. Plötzlich geht mich einer der Oberärzte aus der Notaufnahme richtig an. Irgendein Patient ist am Morgen nach meinem Dienst umtriagiert worden. Man hatte mich noch angerufen, dass ein Patient, der von einer Zecke gebissen wurde während der Arbeit und eine Borrelliose hatte, von uns BG – lich aufgenommen werden sollte. Aber zum Einen hatte er keine Neuroborrelliose und zum Anderen machen wir meines Wissens nach keine BG – Fälle. Ich hatte der Pflege dann gesagt, dass der Oberarzt der Notaufnahme sowieso in 10 Minuten kommt und dass man ihn fragen und den Patienten solange im Wartezimmer sitzen lassen soll. Scheinbar ist das dann ziemlich eskaliert, während ich bei der Übergabe war – warum habe ich nicht ganz verstanden. Jedenfalls versucht der Oberarzt der Notaufnahme gerade mir die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, obwohl ich den Patienten de facto nie gesehen habe. Ich sage dazu gar nicht viel – außer, dass ich den Patienten nie gesehen habe, dass ich gesagt habe, dass man das gleich mit dem Oberarzt klären soll und ich nicht weiß, was ich jetzt falsch gemacht habe und warum sich alle so aufregen.

Später höre ich den Notaufnahme – Oberarzt mit dem Telefon über den Gang laufen.
„Die Mondkind steht unter meinem Schutz, die hat gar nichts falsch gemacht.“
Scheinbar haben sich die Wogen noch nicht geglättet und den Oberarzt werde ich wohl erstmal meiden. Er ist auch Neurologe und war mal einer von uns, aber seitdem er in der ZNA als Oberarzt – eben nicht von der Neuro, sondern von der ZNA arbeitet – ist er schon komisch geworden.

***
Ich denke irgendwie viel nach. Über die Themen Sicherheit, Verbindlichkeit, Nähe und Vertrauen.
All das scheint irgendwie etwas zu sein, das für den ehemaligen Freund etwas mit Schwäche zu tun hat. Jedenfalls habe ich in jedem unserer Gespräche den Eindruck. Ich fühle mich sehr zurecht gewiesen, wenn er mir wieder versucht klar zu machen, warum seiner Meinung nach das Bedürfnis nach Sicherheit und Verbindlichkeit in einer Beziehung nichts zu suchen hat.

Ich habe nochmal viel über meine eigene Formulierung nachgedacht, dass es wahrscheinlich dann zum Problem wird, wenn beide darum ringen. Weil es für den Einen ein Grundbedürfnis in einer Partnerschaft ist und für den Anderen einfach nur furchtbar.

Ich denke viel nach, wie das beim verstorbenen Freund und mir war. Komischerweise hatten wir nie Angst, uns zu verlieren. Obwohl ich zwischendurch so weit weg gegangen bin. Ich glaube, das könnte ich aktuell gar nicht mit dem ehemaligen Freund. Weil ich zu viel Angst hätte, dass diese Bindung reißt.

Ich glaube, der verstorbene Freund und ich hatten ein Grundvertrauen und eine Sicherheit ineinander, ohne dass wir das thematisieren mussten. Und ich weiß, wie oft wir darüber geredet haben, ob ich gehe oder nicht. Wie oft wir gemeinsam nebeneinander auf dem Boden saßen und beide geweint haben. Weil wir beide wussten, dass ich das machen muss. Dass ich wahrscheinlich mein Leben lang darüber nachdenken würde, ob ich beruflich glücklicher geworden wäre, wenn ich es versucht hätte. Und trotzdem lag der Fokus dieser Traurigkeit glaube ich nicht auf der Angst, uns zu verlieren. Sondern darauf, dass wir erstmal getrennt sein würden, dass wir nicht mehr so viel würden teilen können, dass wir nicht mal schnell beim Anderen sein könnten.
Aber ich glaube, wir hatten nie Angst, uns zu verlieren. Wir wussten, wir bleiben.

Und ich glaube, das ist Bindung und Sicherheit.
Nicht, dass man sich ständig nah ist, sich ständig sieht, sich ständig versichert, dass der andere morgen auch noch da ist. Sondern, dass man irgendwann einfach so verbunden ist, dass man das nicht mehr hinterfragen muss, sondern, dass man ein ganz tiefes Vertrauen darin hat, dass dieses Band nicht reißen wird. Auch, wenn man sich mal entfernt. Auch, wenn man mal nicht viel Kontakt hat.

Und ich glaube, man muss die Aspekte von Bindung auch mal definieren. Bindung hat für mich so wenig mit Zwang zu tun.
Bindung ist für mich eine Form von Gegenseitigkeit. Aber nicht im Sinn einer Waage. Bindung heißt für mich: Ich spring für Dich ein, wenn Du es brauchst. Nicht, weil ich das Gefühl habe zu müssen, oder weil es dazu gehört. Sondern, weil ich will. Weil mir dieser Mensch wichtig ist und weil es mir wichtig ist, dass es ihm gut geht. Und ich erwarte nichts dafür und es gibt kein imaginäres Konto auf dem gespeichert wird, wer was getan hat.

***
Ich soll nachdenken, bis Montag.
Bis ich wieder bei der Frau des Oberarztes bin.
Über diese Beziehung, wie ich das gerne hätte, wie es wohl realistisch machbar wäre und was ich von offenen Beziehungen halte – dazu hat sie auch noch eine kleine Übung mit mir vor, hat sie gesagt.

Aber nun ist ja die Frage – wie definiert er das überhaupt…?
Er hat zwischendurch am Dienstag etwas von Freundschaft erzählt, was zwar erwartbar war, aber trotzdem irritierend.

Gibt es eine definierte Grenze zwischen Freundschaft und Beziehung? Und wenn ja – wo liegt die?
Wie kann eine zwischenmenschliche Beziehung, die aus allen Formen des Austauschs von Intimität besteht, eine Freundschaft sein? Solche Dinge gehören meiner Ansicht nach absolut nicht in eine Freundschaft. Und ja – ich naive Nudel habe mich ja jetzt einige Zeit schon beschäftigt mit Beziehungsmodellen und ich habe durchaus schon etwas von Freundschaft Plus gehört – aber ich finde das Konstrukt persönlich ziemlich furchtbar.

Tatsächlich befinde ich, dass die Grundlage einer Beziehung nicht unbedingt der Austausch körperlicher Intimität ist, aber wenn das zwischen zwei Menschen statt findet, ist das nach meiner Defintion eben umgekehrt definitiv eine Beziehung. Weil es so viel mehr Intimität und Nähe generiert, als eine Freundschaft das zulassen kann. (Und wir zählen jetzt mal nicht alle Formen der kommerziellen kurzweiligen Bedürfnisbefriedigung dazu – das hat natürlich wenig mit Beziehung zu tun).

Die Frage ist – wenn das wirklich sein Plan wäre – was mache ich dann?
Ich finde schon, mich mit dem Gedanken einer offenen Beziehung anzufreunden, wird wahrscheinlich eine ziemlich arge Herausforderung für jemanden, der immer einen Partner haben und heiraten wollte, ein Haus (okay mittlerweile nicht mehr, ich glaube das wäre mir zu stressig), mindestens zwei Kinder und einen Hund (den wird es mit dem ehemaligen Freund auch nicht geben, aber wenigstens keine Katze). Ich war da voll old school eingestellt.

Naja… - kommt Zeit, kommt Rat.
Oder so.

***
So… - und wer war zum dumm, seine TÜV – Plakette abzulesen… ?
Die meisten werden mich jetzt sicher auslachen, aber ich war so überzeugt davon, dass ich erst im Dezember zum TÜV muss, weil an der 12 immerhin die Markierung ist. Aber nachdem ich heute eine freundliche Nachricht vom Autohaus bekommen habe, wann ich denn gedenke mal einen Termin zu vereinbaren, war ich ziemlich verwirrt und habe erstmal nachgeschaut, wie man denn so eine Plakette ablesen muss. Und Tadaa… - das was ich für Selbsterklärend gehalten habe, ist vollkommen falsch.
Naja, ich habe noch einen Termin in meinem nächsten Urlaub Ende Juli bekommen, aber eigentlich hatte ich da etwas Anderes vor gehabt… nun gut. Zumindest gab es noch Termine… wie ich das Auto an einem normalen Arbeitstag noch zum TÜV hätte bringen sollen, weiß ich nämlich nicht.

Mondkind


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