Von Pirouetten und Mauern

Wieder mal einen Dienst geschafft. Und gerade dann wenn ich Dienste mache, wenn es mir gar nicht so gut geht, ist das morgens doch noch so ein Anflug von Euphorie. So ein: Ich hab`s geschafft, wo auch immer die grauen Zellen dafür her kamen.
Und manchmal bin ich mir doch dankbar, dass es in den „Notsituationen“ am Ende immer klappt, dass mein Körper, mein Hirn und ich funktionieren.
 
Das Leben ist merkwürdig geworden.
Und manchmal weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Ich spüre eine gewisse Distanz dazu, weil sonst die Seele darunter vermutlich einfach zerbrechen würde. Und gerade wenn man allein ist, muss man sich halt irgendwie selbst zusammen halten.
Ich muss den ehemaligen Freund meistens überhaupt nicht fragen über diese andere Frau in seinem Leben; er erzählt das von ganz allein. Wofür ich – so sehr das auch in der Seele schmerzt – im Grunde recht dankbar bin, damit ich zumindest mal an einer Stelle nicht Rätselraten spielen muss.
Und dann erzählt er. Dass er sich ja – wenn es nach ihm ginge – nicht mehr mit ihr treffen müsste. Dass es für ihn völlig okay wäre, wenn sie sich nicht mehr melde. Dass er auch nicht sonderlich nett zu ihr sei. Aber er toleriert es. Dass sie ihre Grenzen immer weiter zu ihm hin schiebt; viel forscher und zum Teil auch aggressiver, als ich das damals getan habe.
 
Und wenn ich mir das so bildlich vorstelle, dann sehe ich da eine Person, die Pirouetten tanzt, sich um sich selbst dreht, barfuß und im Kleid; die irgendwie zerbrechlich wirkt und in dem was sie tut gleichzeitig so bewusst und anmutig.
Und ich sehe, dass sie keine Pirouetten mit einem anderen Menschen tanzt, sondern, dass sie Pirouetten vor einer Mauer tanzt ohne das wirklich zu bemerken. Es wirkt, als wäre sie blind, als würde sie das jedes Mal als Einladung verstehen, wenn die Pirouette wieder etwas näher an die Mauer rückt und diese nicht zurück weicht. Aber als würde sie nicht sehen, dass das gegenüber nicht mit ihr tanzt, sondern nur still zuschaut.
 
Und wenn ich genau in mich hinein horche, dann ist dieses Pirouetten tanzende Wesen nicht nur die andere Frau im Leben des ehemaligen Freundes, sondern dann bin das genauso ich.
Ich hatte damals diese Außenperspektive nicht. Ich habe immer wieder geschrieben, dass ich das Gefühl habe, dass jeder ganz vorsichtig und langsam die Fühlerchen in das Leben des anderen streckt und jedes Mal nach einem winzigen Vorstoß kurz inne hält, als könnte das zu viel gewesen sein. Aber ich habe eine Gegenseitigkeit gesehen. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass er das genauso macht wie ich. Damals habe ich eine Wechselseitigkeit zwischen uns beiden gespürt. 


Aber wenn ich heute so sehe, was die Beiden so tun – und der ehemalige Freund meinte schon, dass ihn das sehr an uns beide erinnert – dann frage ich mich, ob das bei uns nicht auch genau so war. Vielleicht ist es irgendwie auch seine Art, Beziehungen zu führen.
Darauf angesprochen und gefragt, wie er das damals gesehen hat und heute sieht mit uns beiden kommt zurück, dass ich das wissen müsste.
Und ich dachte auch, ich wüsste das. Ich dachte, ich hab da was gespürt und ich dachte, ich kann das ernst nehmen, wenn er sagt, dass er sich auch sehr freut mich zu sehen (was bei ihm schon so ziemlich das höchste der Gefühle war und ist – er spricht nicht viel und schon mal gar nicht über Gefühle – aber wahrscheinlich sind die Männer so). Und an dieser Stelle ist es dann Rätselraten. Liebt er mich wirklich noch von der Tiefe seines Herzens her? Wie sieht er das mit uns? Was ist das für ihn? Und macht es Sinn weiter Energie in diese Geschichte zwischen uns zu investieren? Kann es noch eine Form von Beziehung zwischen uns geben, die uns beide glücklich macht? Werden wir irgendwann mal heiraten, zurück an diese Zeit jetzt denken, uns in den Arm nehmen in dem Wissen, wie schwer das war? Werden wir irgendwann mal Kinder haben?

Ich dachte eine Zeitlang in meinem Leben, ich kann gut auf mein Bauchgefühl hören.
Was ich schnell und mit dem Bauch entschieden habe, ohne großartige Überlegungen, das hat sich meist als sehr richtig entpuppt. Den Gefühlen zu folgen war entgegen aller Rationalität, die ich sonst so aufbringe, so oft eine gute Idee gewesen.
Aber nachdem ich damit in den letzten Jahren öfter mal in der Sackgasse gelandet bin, bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Der Freund hat übrigens letztens eine sehr interessante Wahrnehmung geteilt. Er hat postuliert, dass es mir die meiste Zeit, in der wir ein Paar gewesen seien, sehr schlecht gegangen sei. Dabei war das für mich einer der besten Sommer meines Lebens. Den ersten richtigen Sommer mit dem verstorbenen Freund werde ich auch nicht vergessen, aber letztes Jahr – das war schon auch toll. Und ja – natürlich war nicht alles perfekt. Mein Dasein auf der Intensivstation hat mich nicht erfreut, es gab ständig Theater mit den Diensten und dass es mich gestört hat, dass wir uns aufgrund dessen so wenig gesehen haben (wobei immerhin noch mehr als heutzutage, weil ich da auch oft unter der Woche vor einem Spätdienst bei ihm war). Und was mich natürlich auch letztes Jahr viel beschäftigt hat war, dass ich so vieles unfair gegenüber dem verstorbenen Freund fand und es mir oft wie ein Verrat gegenüber vorkam.
Aber wenn er das schon als ein „es ging mir grundsätzlich schlecht“ bezeichnet… Ich weiß nicht, ob das ein Vorwurf war, oder einfach eine Anmerkung, auf jeden Fall hat es seltsam mit meiner eigenen Wahrnehmung kollidiert und wenn das letztes Jahr immer noch schlechte Tage sind, dann ist die Frage wie das Leben sein kann, wenn es mal richtig gut ist.

Übrigens hat mir gestern der Rettungsdienst eine Patientin gebracht und die kamen von weit her – wahrscheinlich weil zwischendurch mal wieder alle Neurologien abgemeldet waren – und eine der Rettungssanitäterinnen war eine, mit der ich mal gemeinsam in der AGUS – Gruppe war. Das war eine sehr schöne Begegnung und wir haben ausgemacht, wir quatschen mal die Tage.
Irgendwie war es ein seltsames Innehalten. Die AGUS – Gruppe war für mich tatsächlich eine der hilfreichsten Brücken in ein Leben nach dem Tod des Freundes. Weil dort Menschen waren, die das alles nachvollziehen konnten, was man da erzählt hat. Und ja – die haben einem manchmal den Kopf zurecht gerückt – aber es hat sich nie vom Grundsatz her falsch angefühlt. Ich hatte nie das Gefühl, grundsätzlich nicht verstanden zu werden. Und ich habe die alle nie persönlich gesehen – das lief damals über Zoom – Meetings. Und seitdem die sich 100 Kilometer von hier entfernt zum Freitagabend treffen, war das eben einfach vorbei. Manchmal denke ich, vielleicht sollte ich das auf der Arbeit irgendwie ansprechen. Das ist ja auch nicht jede Woche. Ein Mal im Monat oder so. Wenn ich 16 Uhr gehen würde, sollte das ja reichen. Aber dann denke ich auch oft, ich darf mich nicht so in den Vordergrund drängen.

So... - ich mache noch flott klar Schiff heute. Morgen geht es erstmal wieder zum Freund.
Montag habe ich wieder Dienst. Und Dienstag bin ich - wenn ich irgendwie fit bin nach diesem Dienst, aber ich hoffe ich kann dafür sorgen und die Messlatte für "fit sein" hängt aktuell wesentlich niedriger und bezeichnet eigentlich nur ein "ich traue mir zu Auto zu fahren und kann irgendwie reden ohne dass mir jedes zweite Wort fehlt" - mit der Frau des Oberarztes verabredet. Das ist zwar unser erstes Treffen nach der Plüschvogel - Aktion, die ich ihr noch nicht ganz verziehen habe, aber ich bin mal gespannt, was sie zu den Entwicklungen der letzten Wochen sagt. Laut ihrer Internetseite hat sie sich unter anderem insbesondere mit dem Thema Partnerschaft auseinander gesetzt - also vielleicht kann ich etwas lernen von ihr in der Hinsicht, wie man sich in so einer Situation am besten verhält. Und sie wird schon unverblümt ihren Senf dazu geben - das kann sie nämlich gut und wir haben uns schon ordentlich aneinander gerieben.


Mondkind 

Bildquelle: Pixabay

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