Von einem Coaching - Termin

Montagmorgen.
Frau des Oberarztes.
Es geht weiter um den Freund.

„Naja, das hat dann letzten Dienstag nicht so cool geendet“, höre ich mich sagen.
Und berichte ihr, dass er sich wieder nicht sicher war, ob wir uns weiterhin sehen sollten.

„Ich glaube, es ist gar nicht mal dieses ständige potentielle Verlassenwerden von ihm. Das haben wir seit einem Jahr. Das Ding ist einfach, dass das so Vieles irgendwie reaktiviert und mich jedes Mal komplett hilflos macht. Also gefühlt zumindest. Ich versuche mir das nicht anmerken zu lassen. Ich komme mit den meisten Menschen irgendwie zurecht. Aber mit ihm ist das eine absolute Herausforderung.“

Und dann hole ich ein bisschen weiter aus.
„Das mit den Bindungen in meinem Leben ist so eine Sache. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals eine stabile Bindung hatte oder zumindest eine Bindung zu irgendwem, bei der ich mich nicht verbiegen musste, um dort bleiben zu dürfen. Aber das war meistens doch sehr subtil. Bis ich wirklich begriffen habe, dass ich mich am Ende auf niemanden verlassen kann, war ich erwachsen. Und davor habe ich immer versucht unendlich viel an diesen Beziehungen zu arbeiten, sie zu stabilisieren und das hat alles nichts gebracht. Und später wurde eben auch offensichtlich warum. Ich bin nicht groß geworden in sicheren Beziehungen in meinem privaten Umfeld – ich bin hauptsächlich an Institutionen angebunden gewachsen.
Aber das mit dem Freund – das fühlt sich manchmal an, als würde er die Baustelle meines Lebens so offensichtlich vor mir auf den Tisch knallen, dass ich das nicht mehr ignorieren kann. Bei ihm komme ich mir oft vor, wie das Kind von damals. Ich glaube, ich habe schon ein bisschen gelernt, wie man Menschen anpacken muss und kann – je nachdem, wie sie sich einem gegenüber verhalten. Und mit ihm ist das so ein vorsichtiges Versuchen, so ein Bewusstsein dafür möglichst nicht in jedes Fettnäpfchen zu treten, dass ich ihm so dermaßen unterlegen bin, dass es mich schon selbst nervt. Und so war ich früher in jeder Beziehung. Ich habe so viel zurück gesteckt für ein winziges bisschen Stabilität, dass ich irgendwann schon selbst nicht mehr wusste, was ich eigentlich in den zwischenmenschlichen Verbindungen brauchte.“

Wir reden nochmal über diese ganze Nummer mit der Polygamie. Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Wir hatten uns ja eigentlich schon mal drauf geeinigt im letzten Jahr, dass das dann halt unser Lebenskonzept sein muss. Einer muss auf den anderen zugehen und da er keinen Millimeter auf mich zugehen wird…
„Wissen Sie Frau Mondkind, Sie können ja gar nicht wissen, ob das für Sie eventuell ein Konzept sein könnte, wenn Sie sich nicht darauf einlassen. Letzten Endes können wir das in der Theorie ewig hoch und runter deklinieren, aber wie sich das am Ende für Sie anfühlt, das können wir nicht wissen. Wenn Ihnen dieser Mann wichtig ist, dann müssen Sie das ausprobieren. Einen kleinen Schritt. Und wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Dann gehen sie den nächsten kleinen Schritt woanders hin.“ (Das mit den „kleinen Schritten“ erinnert mich doch gerade sehr an ihren Mann…)
„Das erinnert mich gerade sehr an letztes Jahr“, sage ich.
Sie legt fragend den Kopf schief.
„So ähnlich habe ich das damals zum Freund gesagt. Als ich mir nicht vorstellen konnte, nach dem Tod des verstorbenen Freundes noch mal eine Beziehung zu führen. Wir müssen es ausprobieren, um zu wissen, ob es für mich machbar ist, habe ich gesagt. Aber ich glaube, das hängt mir auch bis heute nach. Nachdem ich den verstorbenen Freund und mich verraten habe, nachdem ich bewiesen habe, dass „Er und ich gegen den Rest der Welt“ eben nicht das Konzept für den Rest der Zeit ist, habe ich das Gefühl, ich darf nicht das verlieren, mit dem ich bewiesen habe, dass ich auch ohne ihn glücklich werden kann. Ich weiß, dass das ziemlich bescheuert ist. Aber für mich auch wichtig.“

„Allerdings – wenn natürlich er theoretisch mehrere Frauen haben darf, dürfen Sie auch umgekehrt mehrere Männer haben“, sagt sie.
„Naja… - jeder von uns kann das ja halten, wie er will. Wenn das für ihn das Konzept ist, dann kann ich nichts dagegen tun, aber ich für mich persönlich möchte nur einen Mann haben.“
„Aber Sie können ja ihn behalten und nebenbei doch mal Ausschau halten, ob es nicht wen gibt, den Sie auch mögen.“
„Naja, vom Prinzip her habe ich das ja schon unfreiwillig ausprobiert. Als der Typ in der Geburtsstadt und ich sich kennen gelernt haben, war ja gerade ziemlich Funkstille zwischen dem Freund und mir. Bis ich dann in die Geburtsstadt gefahren bin, hatten wir ja schon wieder Kontakt. Und für mich hat sich dieses Reise dorthin auch irgendwie sehr schlimm angefühlt. Ich habe da sehr viel geweint in den Nächten und war richtig doll froh mit jedem Kilometer, den ich dann zurück in Richtung Heimat gefahren bin. Ich glaube, da ist mir bewusst geworden: Mein Herz und meine Seele möchten einfach den Freund. Und niemanden anders. Und bei einem anderen Typen auf dem Sofa zu pennen, hat sich sehr falsch angefühlt.“
„Na dann ist das wohl eher nichts für Sie“, schließt die Frau des Oberarztes.

„Was brauchen Sie von ihm, damit Sie weiter in dieser Beziehung bleiben können?“, fragt sie.
„Ich glaube einfach diese Gewissheit, dass wir am Ende des Tages am gleichen Strang ziehen“, sage ich. „Ich weiß im Endeffekt nicht, was er über uns denkt. Aber wenn wir eben weiterhin eine Verbindung leben, die im Grunde eher einer Beziehung entspricht, dann erwarte ich halt schon, dass beide Seiten versuchen auch einen Weg zu finden, miteinander umzugehen. Und er sich nicht jeden zweiten Tag raus zieht, weil es ihm zu viel wird, weil er Angst bekommt, oder weiß ich nicht was. Er ist der König im Schweigen, wenn es um solche Fragen geht und ich verstehe ja, dass er da offensichtliche Schwierigkeiten hat, aber nicht zu reden, macht es für mich halt auch nicht einfacher – im Gegenteil.
Wenn er sagt, das ist für ihn alles ne Kumpel – Freundschaft, mit der er eben auch in die Kiste hüpft, dann bin ich raus und das weiß er auch. Ein paar Prinzipien sind dann bei mir doch noch übrig geblieben.“

Kürzlich auf meiem Wochenend - Spaziergang...

Am Ende geht es nochmal kurz um das Thema Vertrauen.
„Naja, wir sind – oder waren – oder so ähnlich – ja schon getrennt. Natürlich weiß man, dass jeder am Ende des Tages einfach so gehen kann, aber diese Trennung war schon sehr unschön. Und ohne, dass ich da nochmal eine Chance gehabt hätte dazwischen zu kommen, weil er damals genau die Dinge zur unmittelbaren Bedingung gemacht hat, die ich nicht so einfach abnicken konnte und das wusste er natürlich auch. Es hat sich eher so angefühlt, als hätte er mir die Verantwortung in die Schuhe schieben wollen, so nach dem Motto: Du hättest ja die Wahl gehabt. Ich glaube selbst, wenn das mit uns nochmal etwas wird, aber das war kein triviales Ding. Mit dem Vertrauen habe ich es ohnehin nicht so und ich weiß nicht, ob ich ihm nochmal voll und ganz vertrauen könnte. Vertrauen, dass wir Konflikte lösen, statt uns einfach zu trennen, dass er nicht einfach geht, wenn es mal schwierig wird. Ich glaube, ich würde ihn fast instinktiv mein Leben lang mit Samthandschuhen anfassen, um das nicht nochmal erleben zu müssen, aber das ist eigentlich keine Grundlage für eine Beziehung. Ich glaube, da müssten wir sehr, sehr viel Zeit und Mühe rein investieren, damit mein Herz und meine Seele sich nochmal gut fühlen, ihm zu vertrauen.“

Ob diese Beziehung also nochmal mehr wird, als ein „Fishing for moments“ bleibt abzuwarten.
Ich versuche mir das weiterhin immer zu sagen. Dass jedes Treffen eben das Letzte sein könnte.
Wahrscheinlich würde man das nicht aushalten, wenn man es nicht so oft erlebt hätte. Aber es ist eben so und ich weiß, dass es nur eine Wiederholung ist, von etwas, das ich doch zur Genüge kenne. Natürlich habe ich gehofft, dass es mit ihm anders wird. Ich glaube, das hofft man immer. Und natürlich gibt es keine Garantien. Schon mal gar nicht in zwischenmenschlichen Beziehungen. Aber ein einfaches Miteinander, ein Akzeptieren meiner Person eben weil ich ich selbst bin, habe ich eigentlich nie langfristig erlebt.

Die Hausaufgabe für uns beide ist Reden. Wer hätte es gedacht?
Die Frage ist nur wann. (Wie holprig das wird, haben wir schon gestern Abend gesehen. Mehr als "ich habe über uns  nachgedacht" (ich hatte ihn gar nicht am Telefon ansgesprochen, er kam von allein drauf, als ich ihn nach dem Wochenende gefragt hatte), war aus ihm trotz über einer halben Stunde Geduld am Telefon nicht heraus zu bekommen). Stand jetzt ist, dass der Freund tatsächlich Freitagabend hier her kommt, aber Freitag nach dem Spätdienst läuft sicher gar nichts mehr und Samstag vor meinem Dienstmarathon, der am Sonntag anfängt, möchte ich vielleicht mal ein bisschen Ruhe haben. Dummerweise sehen wir uns aber die nächste Zeit fast überhaupt nicht. Was dieser Beziehung sicher auch nicht gut tut. Übernächste Woche ist er schon wieder nicht da, die Woche danach habe ich wieder Dienst am Wochenende (nächstes Wochenende auch, aber immerhin Freitag statt am Wochenende) und dann ist schon Urlaub – aber am ersten Urlaubswochenende kann ich auch erst ab Sonntag und das Wochenende danach hat meine Mama Geburtstag – aber ich glaube nicht, dass ich hin fahren werde, auch wenn sie es sich wünscht – zumal der Weg für zwei Tage auch eigentlich echt zu weit ist. Wenn, dann müsste ich zumindest auch etwas für mich an diesem Wochenende tun – zum Beispiel Freunde treffen. Und der Freund und ich brauchen sowieso mal irgendwann wieder ein Wochenende. Und im August geht es ja weiter mit jedes Wochenende einen Tag Dienst. Ich glaube, diese Konstellation hat uns schon letztes Jahr das Genick gebrochen, weil wir viel Zeit und Ruhe brauchen, um unsere Dinge zu klären und das so zwischen Tür und Angeln einfach nicht funktioniert.

So – jetzt muss ich mal gut den Rest der Woche planen.
Freitag muss ich für uns und für die Woche einkaufen vor dem Dienst, Donnerstag muss ich noch mal die Bude putzen. Dann wollte ich vielleicht noch beim Oberarzt vorbei – je nachdem, ob er Zeit hat. Etwas zu essen für Freitagabend muss ich dem Freund eigentlich auch noch vorbereiten – mal sehen. Eigentlich koche ich ja in Spätdienstwochen nie, weil es einfach nicht rein passt in den Tag; ich frühstücke meistens recht gut, weil ich schon weiß, dass ich abends um Mitternacht herum nicht mehr viel essen will. Mal überlegen…

Erstmal muss ich jetzt los zum Spätdienst und auf dem Weg noch bei der Post vorbei, damit der Freund auch einen Schlüssel hat, mit dem er in die Wohnung kommt. Er hat ja derzeit keinen mehr…

Mondkind


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