Ein Urlaubsfeeling - Wochenende

Vielleicht mögen wir das Ungeklärte
Nur dran zu denken was so möglich wäre
Nie zu sagen, was das für uns ist
Bevor's ein Versprechen ist
Wir sind so gut darin nicht anzukommen
Ja, so schlecht darin zum Punkt zu kommen
(Revelle – das Ungeklärte)



„Mondkind, wo willst Du dieses Wochenende hin?“, fragt die Dienstärztin neben mir, mit der ich auch befreundet bin, als ich am Freitagabend langsam ungeduldig werde. Ich muss allmählich weg aus dieser Notaufnahme, wenn ich heute Abend noch zu einer halbwegs christlichen Zeit ankommen möchte.
Ich sehe sie an, lächle verlegen und zucke mit den Schultern.
„Mondkind…“, sagt sie. „Ich weiß manchmal nicht, ob ich Dich für Deine Geduld bewundern soll, oder ob ich das einfach dumm finden soll.“
„Ich weiß es manchmal auch nicht“, sage ich, fahre den PC herunter, wünsche ihr einen ruhigen Dienst und verabschiede mich ins Wochenende.
Ich glaube, das ist das erste freie Wochenende seit dem Urlaub und irgendwie hat mir das Chaos der ZNA heute wenig ausgemacht. Immerhin ist es das erste komplette Wochenende, das ich mit dem Freund verbringe seit über einem halben Jahr. Und ich freue mich riesig.

Als ich ankomme, gibt es gute Nachrichten.
Beim Essen schiebt er mir einen Zettel über den Tisch mit den Notizen, die sein Therapeut heute in der Stunde für ihn gemacht hat. Ich hatte still gehofft, dass er diese andere Frau anspricht und dass die beiden sich darüber austauschen, aber so richtig damit gerechnet hatte ich nicht. Scheinbar haben die Beiden da etwas reflektiert und es wirkt ein bisschen so, als würde an dieser Stelle demnächst ein bisschen Ruhe einkehren.

Zwischendurch führen wir an diesem Wochenende ein Gespräch über das Thema Vermissen.
Er vermisst niemanden, sagt er. Nicht seine Eltern, nicht seine Freunde, nicht mich. Wenn er alleine ist, dann ist er völlig okay mit sich, erklärt er mir.
Vielleicht erklärt das ein bisschen, warum ich gefühlt die Einzige von uns beiden an, die sich ständig darum bemüht, dass wir uns sehen können. Denn er fehlt mir, wenn er nicht da ist. Obwohl ich mittlerweile verstanden habe, dass es nicht um die Quantität von Zeit gibt. Ich komme nicht mehr am Abend vor einem Spätdienst und ich bleibe auch nicht mehr bis zum Morgen, wenn ich an dem Tag Dienst habe und später auf der Arbeit sein muss. Das klappt einfach nicht mit uns morgens und wenn es dann mehr Stress als alles andere ist, dann macht es keinen Sinn.
Aber ich frag mich – wenn man niemanden vermisst – freut man sich dann auch so sehr, wenn man sich wieder sieht? Braucht man nicht die Schatten, um das Licht spüren zu können? Und das heißt ja nicht, dass man ständig Zeiten von Abwesenheit schaffen soll, aber ich finde so ein Vermissen ab und an macht auch klar, wie gern man diesen Menschen hat. 


 

Oh und mir ist noch etwas aufgefallen, während ich so am Wochenende morgens in meinem Bett lag und gewartet habe, bis der Freund wach wird.
Ich glaube, ich muss noch lernen, dass Gefühle Zustände sind, die auch immer wieder irgendwann vergehen. Vorletzte Woche war es wirklich sehr, sehr schlimm. Und das erwischt mich jedes Mal ziemlich kalt, wenn so eine Welle von ganz schlimmen Gefühlen über mich hinweg fegt und ich den Eindruck habe, dass ich dem nichts entgegen stellen kann und das aber auch nicht aushalten kann. Dann suche ich Menschen, die mir helfen können es auszuhalten und wenn ich die nicht finde, dann wird das alles noch schlimmer und dann landet man schnell wieder beim Thema Suizidalität.
Aber mit Gefühlswellen ist es wohl so, dass die auch immer wieder abebben. Entweder, weil sich die Situation entschärft, oder weil man sich tatsächlich an das, was sie ausgelöst hat gewöhnt und damit einen Umgang findet. Oder einfach deshalb, weil auch schlimme Gefühle nicht immer gleich intensiv da sein können, obwohl man manchmal meint, die hätten eine Dauerberechtigung, während die guten Momente viel zu schnell vorbei sind. Aber eigentlich ist das genauso wie mit den guten Momenten. Die gehen auch. Genauso tun es die Gefühle, die einen bisweilen glauben lassen, dass man die nächsten zwei Tage nicht überlebt.

Dieses Wochenende war voll von guten Momenten. Ein ganzes Wochenende frei, was sich per se schon mal ein bisschen nach Urlaub anfühlt. Zwei Mal in Ruhe auf dem Balkon gefrühstückt und auch dort zu Abend gegessen, teilweise mit Live – Musik aus der Stadt auf den Ohren, die bis zum Balkon zu hören war. Den anderen Menschen die meiste Zeit des Tages ganz nah neben mir gespürt. Ein paar gute Gespräche gehabt und am Sonntagnachmittag sind wir in die Stadt spaziert, haben ein Eis gekauft und es an einem schattigen Plätzchen gegessen. Und irgendwie habe ich das Gefühl, wir gehen mehr aufeinander zu. Er geht mehr auf mich ein – es war zum Beispiel mein Wunsch, noch in die Stadt zu gehen, ihm war es eigentlich zu warm. Und es wird irgendwie ein bisschen leichter zwischen uns; auch in den Gesprächen, im Verhalten zwischen uns schwingt mehr Leichtigkeit. Und daneben scheint die Geschichte mit der anderen Frau gerade etwas ruhiger zu werden.
Und so ganz am Rand kommt er auch noch zu der Idee mich zu fragen, ob ich mitkommen möchte zu der Hochzeit seiner Schwester Ende August. Ich bin mir zwar noch nicht sicher, aber allein, dass wir über so etwas wieder nachdenken können…

Mal schauen, was die nächste Zeit so bringt. Wir haben ziemlich blöd geplant  - nämlich eigentlich gar nicht. Alle Wochenenden, die ich frei habe ist er unterwegs und alle Wochenenden, die ich arbeiten muss, ist er da. Aber er hat noch bis Mitte des Monats frei. Ich habe schon gesagt, dass er doch auch mal ein paar Tage bei mir sein kann zwischendurch und er hat es mal zumindest nicht im Keim erstickt. (Dafür gibt es dann bei mir auch Wassermelone – Feta – Salat). Denn eigentlich kann das nicht sein, dass wir uns die nächsten vier Wochenenden nicht mal 24 Stunden sehen, wenn er doch fast durchgehend frei hat. Da muss doch was zu machen sein.

Erstmal habe ich morgen Dienst, Dienstagnachmittag werde ich zu der Frau des Oberarztes fahren und trotz des guten Wochenendes gibt es genug zu besprechen. Und dann – wenn ich ohnehin ein Mal in der Nachbarstadt bin – sind der Freund und ich noch zum Essen verabredet und darauf freue ich mich sehr. Ich hoffe nur, ich werde nicht zu müde sein nach der fehlenden Nacht.

Und deshalb geht eine sehr glückliche Mondkind jetzt schnell ins Bett.
Vielleicht gibt es doch einen guten Sommer dieses Jahr.


Mondkind


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