42 Monate

Mein lieber Freund,
ein neues Jahr. 2024. Als Du gestorben bist, war 2020. Crazy, wie die Zeit vergeht. Und beängstigend.
Ich hoffe, Du bist gut angekommen im neuen Jahr. Und hast es ein bisschen krachen lassen.
Der letzte Monat war intensiv. Ich musste ein bisschen wachsen, was die Arbeit anbelangt. Plötzlich hatte ich Therapiegruppen, die ich selbst leiten musste / durfte – je nachdem, wie man es sieht. Stell Dir vor, wie crazy das ist: Da sitzt Du plötzlich da und leitest Gruppen. Alleine. In denen ich früher selbst, wie so ein Häufchen Elend saß. Ich würde dir so gern davon erzählen. Aktuell muss der ehemalige Freund etwas unter diesen Erzählungen leiden. Natürlich geht auch nicht immer alles gut, ich habe mich mit Gruppen auch schon ordentlich auf die Nase gelegt, aber ich betrachte das als einen kontinuierlichen Lernprozess.
Samstag habe ich meinen ersten PSK – Dienst. Wir machen das so, wie wir es kennen okay? Du passt von da oben auf, dass keine Katastrophen passieren. Machst Du das? Dienstag kommt dann direkt der erste Akut – Dienst und Donnerstag meine erste Supervision. Nach drei Wochen Gruppenerfahrung bisher. Ich glaube, die haben nicht mehr alle Pfeile im Köcher. Ich kann schon jetzt nicht mehr schlafen und wenn ich bedenke, dass das noch eine Woche so bleibt, wird das die erste Woche in der PSK, die mich an den Rand des Machbaren bringen wird. (Das ist halt schon der Nachteil von neuen Dingen. Dich macht alles erstmal wieder verrückt. Mittlerweile kann ich sogar entspannt einen Status intubieren, aber die PSK – Geschichten…)
 
Ich war bei Deiner Mum. Und ich war bei Dir. Ich hoffe, Du hast Dein Licht gesehen. Und ich hoffe Wind und Regen haben es nicht vorzeitig erlischen lassen. Ich wollte eigentlich nicht so viel weinen, wenn ich da bin, vor allen Dingen wegen Deiner Mama nicht, aber als diese Kerze dort gebrannt hat, konnte ich das doch nicht mehr verhindern. Irgendwie kam mir da der Gedanke, dass alle Welt jetzt gerade sehen kann, dass Du nicht vergessen wirst. Dass all die Gedanken, die ich immer noch täglich habe, mal aus mir raus nach draußen getragen sind. Ich würde gern öfter bei Dir vorbei kommen und eine Kerze mitbringen.
Deine Mum hat mittlerweile übrigens die Idee eines Grabsteins. Ich überlege mir, was Dir gefallen könnte.
Es war sonst ein eher schwieriger Besuch. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich glaube die Psychosomatik hilft mir irgendwie, eine Resonanz in mir nicht nur diffus zu fühlen, sondern auch einen inneren Standpunkt zu entwickeln. Und irgendwie habe ich da ganz viel Wut gespürt. Du hast mir so viele Dinge, die Dir das Leben schwer gemacht haben nicht erzählt. Und da war ich ganz viel wütend auf Dein Umfeld, dass sie keine andere Lösung gefunden haben, als sich selbst so zu verhalten, dass Du so darunter gelitten hast. Und ich war wütend auf Dich, weil Du so viel verborgen gehalten hast und mich nicht daran teilhaben gelassen hast. Zwar sagte mir der Kardiochirurg letztens auch zu einem Thema „Das ist kein schönes Thema, da muss man nicht drüber reden“, aber das ist so falsch. Themen sind da. Ob sie gut oder schlecht sind. Und das Leben ist nicht immer gut. Ich hätte mir gewünscht, dass Du mehr geteilt hättest, sodass ich die Chance gehabt hätte, besser für Dich da zu sein. 



Habe ich eigentlich schon erzählt, dass ich nächste Woche zur Supervision gehe…? (also nicht in der Klinik, sondern extern… - verirrend das Ganze). Das ist zeitlich etwas knapp nach dem Dienst und mit dem Berufsverkehr, weil ich wirklich ein ganzes Stück fahren muss, aber ich hoffe, dass ich es gut schaffe. Und, dass es sich lohnt.
Es wird nochmal um diese ganze Situation mit Dir gehen. Weil ich da ja so immense Schwierigkeiten hatte. Tatsächlich ist es etwas besser geworden, aber nachdem mich der Oberarzt angehalten hatte, das nochmal zu thematisieren und ich bemerke, dass es mich in so vielen Bereichen des Lebens bremst… - ich bin aber schon nervös deshalb. Was ich übrigens mittlerweile auch entwickelt habe, ist ein völlig anderes Therapieverständnis. Ich kann mittlerweile schon nachvollziehen, dass die Behandler mit mir absolut verzweifelt sind. Aus einer heutigen Perspektive befürchte ich allerdings, dass ich damals so viel zwischenmenschliche Not hatte, dass das das Hauptthema war. Ich habe ganz vordergründig einen zwischenmenschlichen Ort gesucht, an dem ich erstmal bleiben konnte und das haben die stationären Settings hergegeben. Und das hat aber auch das Gesundwerden verhindert. Denn Gesundwerden hätte bedeutet diesen Ort, an dem ich das Gefühl hatte zwischenmenschlich wieder atmen zu können, loszulassen. Ich frag mich manchmal heute, was ich mit Patienten wie mir eigentlich machen würde. Die so im Defizit sind, dass jede Therapie eigentlich unmöglich ist.
Ich bin ja mittlerweile stabilisierter. Habe ein Arbeitsumfeld – und auch dort ein soziales Umfeld – in dem ich mich bewegen kann, ich habe auch im Privaten ein soziales Umfeld, ich brauche ein solches künstlich geschaffenes Umfeld auf Zeit nicht mehr. Und dafür bin ich sehr dankbar, weil ich heute klar sehen kann, dass das langfristig einfach ins Nichts führt.
Und ich glaube, wenn ich davon weg komme, dann kann ich anfangen Therapie als eine Art geschützten Rahmen zu betrachten, in dem man Dinge anschauen kann, die man vielleicht alleine sich nicht traut, anzusehen. In dem es dann neue Anregungen und Sichtweisen geben kann, die helfen können die Situationen zu integrieren. Und dann kann ich mich aber auch – vielleicht sogar recht gern – wieder aus dem Rahmen raus bewegen, zurück in mein jetziges Leben, das eben schon noch von der Vergangenheit geprägt wird, aber in der Gegenwart auch so viel Gutes bereit hält. Verstehst Du ungefähr, wie ich das meine?
 
Apropos Gutes: Ich war im Dezember das erste Mal seit so, so langer Zeit im Urlaub. Und es schreit nach einer Wiederholung. Irgendwie ist es auch schön, in diesem neuen Jetzt völlig neue Orte kennen zu lernen. Abenteuer zu erleben, Erinnerungen zu schaffen. Gemeinsam Pläne schmieden, verrückt sein.
 
Ehrlich gesagt hätte ich mir für Dich auch sehr gewünscht, dass Du in Deinem Leben nochmal an diesen Punkt kommen darfst. „Es muss noch ein Mal gut werden vor dem Sterben, damit sich das hier gelohnt hat“, habe ich so oft gesagt. Aber vielleicht kann es ja auch einfach gut bleiben. Wie wäre denn das?
Ich habe erst um den Jahreswechsel herum mit einer ehemaligen Freundin gesprochen und – das hat mich sehr bewegt – sie hat mir auch nochmal zurück gemeldet, dass ich mich so sehr zum Positiven verändert habe. Ich hoffe, das bleibt eine Weile.

Halt die Ohren steif, okay?
Ganz viel Liebe in Richtung Universum
Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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