Über eine fremde Begegnung

Der Kardiochirurg war hier.
Ein paar Stunden.
Nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte an einem Sonntag.
Wir haben natürlich nicht gefrühstückt. Es war viel zu spät.
Mein Plan war eigentlich, dass wir am Abend noch kochen, aber seiner war´s wohl nicht.
Ich war aber auch ein bisschen müde heute nach dem Dienst. Und ein bisschen träge. Vielleicht hatte er darauf nicht so viel Lust. Obwohl das oft unsere Realität ist. Einer von uns beiden ist immer ein bisschen abgekämpft.
Oft kommt´s mit vor, als würde er einfach durch meine Hände fallen. Und nicht nur er. Ideen vom Wochenende. Dinge, auf die man sich gefreut hatte. Dienst – ja okay, wenn wir uns dafür am Wochenende haben. Und wir müssen ja nicht viel machen. Hauptsache, wir können uns ein bisschen sehen, spüren, fühlen.

Gerade als die Tür ins Schloss fällt, bemerke ich Blaulicht auf dem Hof.
Rettungssanitäter springen aus einem Krankenwagen und müssen quasi am Hauseingang dem Kardiochirurgen in die Arme laufen.
Ich sehe den Freund meiner Schwester. Der ist nämlich in seiner Freizeit Rettungssanitäter.

„Uh, Party vor Deiner Tür“, schreibt der Kardiochirurg.
„Hab ich auch gesehen. Der Freund von meiner Schwester war dabei. Wird bestimmt keine Stunde dauern, bis sie mir das erzählt.“
„Ah okay, hat der kurze, schwarze Haare?“
„Ja, kurze schwarze Haare.“
Er schickt einen Daumen nach oben zurück.
„Haha, so habt Ihr Euch kennen gelernt, ohne dass Ihr es wusstet“, schreibe ich zurück.

Und dann muss ich sehr anfangen zu weinen.
Ich wünsche mir das so, so sehr. Dass wir irgendwann alle zu Viert hier sitzen können. Dass meine Schwester eines Tages hier her zieht. Ich wünsche mir so sehr, dass die Fernbeziehung der beiden das so lange überlebt, dass sie ihre Pläne umsetzen können, heiraten werden, eine Familie gründen und in einem Haus leben werden. Und ich hoffe so sehr, dass der Kardiochirurg und ich auch noch irgendwann die Kurve kriegen.
Ich wünsche mir so sehr, dass wir irgendwann wieder gemeinsam in irgendeinem Garten sitzen können, dass meine Schwester und ich gemeinsam sehen, wie unsere Kinder aufwachsen. Ich wünsche mir so sehr, dass wir irgendwann zuerst die kleinste Einheit sind, die in dieser kaputten Familie noch übrig ist nachdem wir mittlerweile schon fast 10 Jahre so weit voneinander weg sind. Es ging gar nichts mehr, als ich zu Hause weg war und das hat erst irre viel Zeit gebraucht, bis wir überhaupt miteinander geredet haben und dann waren irgendwann 600 Kilometer zwischen uns. Ich wünsche mir, dass wir wachsen können. Ich wünsche mir, dass unsere Kinder mit Tanten und Onkels aufwachsen, dass sie Familie haben, bei der sie ein und ausgehen können. Ich wünsche mir, dass dieser Ort hier für sie Heimat wird.
Ich wünsche mir, dass sie all das erleben können, das es für uns nicht gab. Und ich wünsche mir, dass sie das als Selbstverständlichkeit erleben. Ich wünsche mir, dass die Zukunft meiner Familie nie so sehr um Familie trauern muss. 


 

Und jetzt - Zeitlücke: Das heißt, ich schnappe mir ein Neuro - Buch. Ich muss das sicher eine Weile etablieren, bis es Selbstverständlichkeit wird. Aber das wird es werden. Es gibt Schritte, die sind jetzt einfach dran. Und das gehört wohl dazu, wenn man irgendwann den Facharzt haben möchte. 

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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