Jahresrückblick 2023


Ich habe mich entschieden, dass es dieses Jahr wieder einen Jahresrückblick gibt.
Wer sich an letztes Jahr erinnert weiß, dass es mir zur Zeit des Jahresüberganges so schlecht ging und die Situation so unklar war, dass ich Keinen geschrieben hatte.
               

Jahreswechsel.
Frisch getrennt.              
Dieser Start ins neue Jahr hat so deutlich gemacht, dass hier etwas passiert ist. Eigentlich war der Plan mal gewesen, dass ich den ehemaligen Freund kurz nach Mitternacht von der Arbeit abhole und wir gemeinsam ins neue Jahr starten können.               
Im Endeffekt war ich alleine, habe die Silvestershow am Brandenburger Tor geschaut und habe mit meiner Schwester über whatsApp die Beiträge kommentiert. Und mich dabei ertappt, dass das gar nicht so schlecht ist. Und als die Raketen über der Stadt in den Himmel gestiegen sind habe ich mich gefragt, was es für mich bereithalten würde, dieses neue Jahr.                

Beruflich bin ich von der Intensivstation erstmal zurück auf die Stroke Unit rotiert. Ganz am Ende wäre ich lieber noch ein paar Wochen auf der Intensivstation geblieben. Nicht, weil ich einen plötzlichen Sinneswandel hatte, sondern weil der Oberarzt der Intensivstation mir mit so viel Einsatz durch die ersten Tage nach der Trennung geholfen hat und ich ihn gern noch ein wenig greifbar bei mir behalten hätte.             
Allerdings habe ich auf der Stroke Unit auch begriffen, dass ich doch auch zumindest ein bisschen Kompetenz habe. Der Stroke – Unit – Oberarzt hat mich von Anfang an als seine rechte Hand eingespannt und während ich am Anfang nur froh war weg von der Intensiv zu sein, habe ich auch schnell bemerkt, dass es auch nicht sehr viel besser ist, wenn man am Ende an allem Schuld ist, was der Oberarzt nicht auf die Reihe bringt. Er hat mich mehr als ein Mal gefaltet und ich wusste gar nicht, was genau er hatte oder mir war bewusst, dass ich nichts hätte anders machen können.     
Deshalb war meine Strategie für die nächsten neun Monate, mich so oft es geht in Spätdienste einzutragen. Das wurde zwar auch ab April unbequem, weil die Spätdienste bei Bedarf bis auf 23:15 Uhr ausgedehnt wurden, was dann immerhin 11 ¼ Stunden im Krankenhaus, häufig ohne Pause, waren. Aber dafür konnte ich weitestgehend selbstständig arbeiten und hatte die Obrigkeit nur bis 17 Uhr an den Hacken, danach konnte ich den Hintergrund bei Bedarf anrufen. (Mittlerweile ist das auch nicht mehr attraktiv, da muss man bis 23:15 Uhr bleiben, auch wenn nichts zu tun ist, aber das kam zum Glück erst, als ich schon auf der Psychosomatik war).               
Und ich konnte vor dem Spätdienst beim Intensiv – Oberarzt vorbei schauen; das war auch ein Grund der vielen Spätdienste. Sonst war das kaum mehr möglich, weil wir in verschiedenen Häusern gearbeitet haben.              

Nächte in der Notaufnahme


 

Mit dem ehemaligen Freund war es schwierig. Die ersten Wochen im Januar hatten wir keinen Kontakt, dann bin ich wieder eingeknickt. Er hat auch nichts dagegen gesagt, hatte er doch nun was er wollte: Eine Beziehung ohne Bindung. Das war das Stichwort dieser Zeit. Den Intensiv – Oberarzt hat es jedes Mal geschüttelt, wenn ich das erzählt habe. Beziehung ohne Bindung sei nichts für ein Sensibelchen wie mich, hat er schallplattenartig referiert.        
Der Intensiv - Oberarzt war dann der Meinung, seine Frau, die immerhin eine Ausbildung im Coaching hat, könnte mir vielleicht besser helfen. Also hat er mich dorthin geschickt. Mit ihr bin ich nie so richtig warm geworden, aber ich konnte mir immer aussuchen, ob ich bei „Mama“ oder bei „Papa“ sitzen wollte, bisweilen war das aber schon etwas skurril, weil die natürlich über mich geredet haben und manchmal Dinge wussten, die ich eigentlich dem Anderen erzählt hatte.       

Dieser Elefant sollte mich mal erinnern, den Kontakt zum ehemaligen Freund etwas einzustellen... hat nicht so gut geklappt

 


Und das war eigentlich die Zeit bis zum Frühling.            
Ich habe die Neuro vermieden, weil ich das einfach nicht mehr ausgehalten habe. Saß ständig bei meinem Oberarzt herum, der in der Zeit die einzige Bezugsperson war. Und mit dem ehemaligen Freund war es ständiges Auf und Ab. Mal lief es eine Zeitlang ganz gut und ich habe die Wochenenden wieder bei ihm verbracht, sobald ihm das zu viel Nähe wurde, hat er mich zurück gestoßen und dann ging das wieder von vorne los. Ein nie endender Kreislauf. Vor – zurück, Vor – zurück, Vor – zurück.             

Zwischendurch hat Laufen mir ganz gut geholfen - vielleicht sollte ich mal wieder anfangen

 

Im April hatte ich mich auf Anraten des Oberarztes mal auf einer Dating – Plattform angemeldet. Da liefen einige ziemlich schräge Typen herum, aber mit einem habe ich dann tatsächlich länger geschrieben. Er wohnt in der Nähe meiner Geburtsstadt und war dann auch ganz schnell dabei, mich zu besuchen. Gefunkt hat es nicht. Eher ist mir da bewusst geworden, dass Beziehung nicht mit jedem nächstbesten Typen funktioniert. Auch, wenn er super nett sein mag, aber es braucht eine Anziehung.

Im Mai hatte ich Urlaub. Habe die Studienstadt besucht. Freunde gesehen. War in meiner Geburtsstadt und habe den Typen besucht, den ich im Internet kennen gelernt hatte. Es war ein anstrengender Urlaub und ich war froh, als ich zurück war.       

 

In der Nähe meiner Geburtstadt...

Mit dem Hund einer Freundin

Hey Lieblingsstadt 👋


Und dann kam der Juni.              
Ende Juni war der ehemalige Freund nochmal bei mir. Das hatte ich eigentlich als positives Zeichen bewertet, bis zu jenem Spaziergang. Auf dem er mir gesagt hat, dass er sich nicht mehr mit mir treffen wird, wenn er eine Frau findet, die es im Bett ein bisschen besser hinkriegt.        
Wahrscheinlich brauchte es diesen Kommentar. Rückblickend. Damit ich endlich loslasse. So kann kein Mann mit einer Frau umgehen. So retrospektiv war das zu dem Zeitpunkt auch schon lang keine horizontale Beziehung mehr – wenn es denn je eine gewesen war. Ich war vorsichtig wie ein Luchs bei allem, was ich gesagt oder getan habe, weil er aus dem Nichts schon mal völlig beleidigt sein konnte. Überhaupt – von einer Beziehung, in der Sexualität fast keine Rolle gespielt hat in eine Beziehung, in der das das Allerwichtigste war, wenn nicht sogar das Einzige, das uns verbunden hat: retrospektiv konnte das nicht funktionieren. Wir waren selten außerhalb der Wohnung gewesen, man konnte ihn schwer motivieren, irgendetwas unternehmen und alles, was wir je gemacht haben, ist auf meinem Mist gewachsen und begeistert war der ehemalige Freund davon nicht gewesen.

Wahrscheinlich brauchte es diese Wut, um endlich in Bewegung zu kommen. Um Respekt vor mir selbst zu entwickeln und um zu sagen, dass ich viel mitgemacht habe und viel versucht habe, um in dieser Beziehung bleiben zu können, aber dass das alle Grenzen überschreitet. Wut ist ein Ausdruck von Grenzüberschreitung und ich war selten in meinem Leben so wütend, wie nach diesem Wochenende.

Wenige Tage danach war der Todestag des verstorbenen Freundes und ich saß nach einem Dienst mal wieder bei meinem Oberarzt. Er hat mich irgendwie durchgetragen durch diese Zeit mit der Wiederholung dieses Todes und  der Endgültigkeit mit dem ehemaligen Freund.   
Ich glaube er ist der Mensch, der dieses Jahr am verlässlichsten da war und dem ich am meisten dankbar bin in diesem Jahr. Irgendwie hat er es mit reiner Intuition geschafft, dass ich einen Fuß vor den anderen setze. Es war ein eigenartiges Anschieben. Ohne zu viel Ruppigkeit, ohne mich als zu inkompetent darzustellen, dagegen hätte ich sicher rebelliert, das hatten wir alles durch mit der potentiellen Bezugsperson. Einfach mit einer Mischung aus ein bisschen Strenge, ganz viel Validierung und noch mehr Wertschätzung.     

Juli.
Dieser Tag muss irgendwann in den ersten Juli – Tagen gewesen sein, nach dem Todestag des Freundes. Genau weiß ich es nicht mehr und es lässt sich schwer nachvollziehen, weil der Kollege und ich so oft Dienste gemacht haben, dass es die Konstellation öfter gab.              
„Es gab einen Notfallalarm, die sind jetzt im CT Mondkind“, hat der Kollege mir gesagt und ist schon mal vorgegangen, während ich mich noch kurz um einen anderen Patienten gekümmert habe. Kurze Zeit später kam ich hinterher gerast, habe als Letzte den Raum betreten. Der Raum war recht voll mit Ärzten, die den Patienten, der sich in der Notsituation befand, begleitet hatten; die Pflege war dabei, die MTAs. Ich wusste nicht mal, aus welcher Fachrichtung der Patient war. Und dann habe ich ihn gesehen. Zwei Köpfe größer als ich, den Schlüsselbund um den Hals gehängt, der dazugehörige Transponder in der Brusttasche versenkt. Und ich habe mein Herz gespürt. Das ein Mal kurz gestolpert ist, mir ein innerliches „Huch, was ist das?“, entlockt hat. 
So schnell, wie sich die Versammlung im CT gebildet hatte, so schnell löste sie sich auch wieder auf, sobald die Bilder fertig waren. Unsere Wege trennten sich vorerst wieder und ich hatte nur ein vages Berühren meines Herzens, wie eine Lichtspur, die wieder verblasst in mir.   
 
Flattern im Herz...

Tatsächlich weiß ich nicht mehr genau in welcher Reihenfolge unsere Begegnungen danach stattgefunden haben. Irgendwann hatte ich an einem Wochenende mal ZNA - Dienst, als er um kurz nach halb zehn Uhr am Abend in die ZNA geschlappt kam und gleich zwei Patienten für mich hatte. Blöderweise hatten die wirklich beide etwas Neurologisches. Einer einen Hirntumor, den man zwei Tage nach der Herz – OP gefunden hatte und ein anderer einen Schlaganfall. Ich habe die Fälle beide noch zu Ende gemacht, auch wenn es bis dahin weit nach Mitternacht war und ich die Arbeit auch hätte abgeben können.              

Es gab weitere Begegnungen. Irgendwann saßen wir auch mal um Mitternacht herum im sechsten Stock im Stationszimmer der Kardiochirurgie und haben dort zusammen dokumentiert und ein paar Worte gewechselt. Es gab Konsile auf der Stroke Unit, zu denen er drei Minuten nach dem Anruf kam. Er kam extra auf die Station geschlappt um zu vermelden, dass wir einen Patienten übernehmen können und hat darauf bestanden, mir das persönlich zu sagen. Das Universum musste sich dennoch schon einiges an Mühe geben, damit wir beide irgendwie mal aus dem Quark kommen und dann kam dieses eine Gespräch im Arztzimmer auf der Stroke Unit. Da war den Kollegen schon längst klar was Sache ist und sie haben Schmiere gestanden, damit uns niemand stört. Der Kardiochirurg hat eine halbe Stunde von seinem Studium erzählt und ist beim ersten Annäherungsversuch so schnell verschwunden, wie er gekommen war…

Danach kam meine Spätdienstwoche und seine Nachtdienstwoche, in der wir uns ständig angerufen und ständig verpasst haben. Und dann habe ich ihm in den letzten Tagen vor meinem Urlaub in der letzten Juli – Woche die Mail geschrieben. Dass ich ihn gern kennen lernen würde. Und zwei Tage später hat er zurück geschrieben, dass er das auch gern tun würde.

Die Woche danach hatten wir beide frei – bloß gut, sonst wäre das alles um Längen holpriger geworden, denn dass unser Zeitmanagement eine solche Katastrophe wird, wusste ich damals noch nicht. Unser erstes Treffen war im Kurpark geplant. Er war felsenfest davon überzeugt, dass es nicht regnen würde, obwohl der Wetterbericht und der Himmel etwas anderes prophezeit haben. Und kaum waren wir fünf Minuten unterwegs, kam der Wolkenbruch dann. So viel zum Thema Outfit und Frisur beim ersten Date. Danach hat es ein paar Tage gedauert, ehe wir uns Ende der Woche erneut getroffen haben. Ich hatte eine Vorahnung was passiert, wenn wir uns in der Pizzeria unterhalb seiner Wohnung treffen. Und… - so war es dann auch. Nach dem Pizza essen waren wir alibimäßig eine Runde spazieren, ehe unser Treffen in seiner Wohnung geendet hat. Irgendwann – es war schon lange dunkel – standen wir an seinem Dachfenster, haben uns die Sterne und die Stadt unter uns angeschaut. Das Kribbeln im Körper bei jeder Berührung von ihm war schon kaum noch zu ertragen und irgendwann in dieser Nacht folgte der erste Kuss. 

Erste Ausflüge...


 

 

Danach war schon August.

Meine Tage auf der Neurologie waren allmählich gezählt und dafür war ich im Prinzip schon recht dankbar. Gleichzeitig haben sich mit dem Kardiochirurgen neue Möglichkeiten aufgetan. Wir hatten seitdem eigentlich keine Konsile mehr zusammen, aber wir haben angefangen uns öfter mal zu verabreden. Wenn wir beide im Krankenhaus waren und beide schon – oder noch – in der Dienstzeit da waren - nicht im normalen Tagesgeschäft - dann haben wir uns in der ZNA oder im Arztzimmer getroffen. Und das hat die verbleibende Zeit dort sehr viel angenehmer gemacht. Obwohl es manchmal komisch war zu wissen, dass uns nur ein Stockwerk trennt und wir es öfter doch nicht geschafft haben, uns zu sehen. Und gleichzeitig war es eine Zeit von viel Unsicherheit. Ich war zu dem Zeitpunkt – kurz nach der endgültigen Trennung und dem Todestag des Freundes – nicht unbedingt auf Partnersuche. Wieso war das so schnell gegangen? Hatte irgendetwas in mir die Ansprüche herunter geschraubt, um nicht allein sein zu müssen? War der Kardiochirurg nur irgendeine „Übergangslösung“? Oder war es tatsächlich so, wie es eben war?

Was tatsächlich schnell deutlich wurde war, dass wir ein Zeit- und ein Kommunikationsproblem haben. Zeit ist ein rares Gut im Medizinerleben, insbesondere bei den Chirurgen und wenn man die Zeit nicht vernünftig plant, dann verpasst man viele Chancen. Die ersten Wochen haben wir uns noch nicht unter der Woche getroffen und uns nur ein paar Stunden am Wochenende sehen können. Es war fast wie eine „Wochenendbeziehung“. Nicht das, was man sich wüscht, wenn der Partner im selben Dorf wohnt, fünf Minuten mit dem Auto entfernt. Aber änderbar war es erstmal auch nicht, denn was sich auch schnell heraus kristallisierte war, dass es Geduld braucht mit dem Herrn.

 

Ich lieb den Sommer schon ganz arg. Aber ich war oft alleine

Zwischendurch hatte ich dann eine richtige Lesephase...

September.
Die letzten Tage und Wochen auf der Neurologie haben sich unglaublich gezogen. Ich dachte, da kommt vielleicht irgendwann nochmal ein Abschiedsschmerz. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass es diesmal anders ist, als es immer war. Schon seitdem ich zurück von der Intensiv – Station rotiert war, war die Neurologie weder eine berufliche noch eine zwischenmenschliche Heimat gewesen. Es war, als hätte ich zwischen all diesen Grenzsituationen zwischen Leben und Tod begriffen, dass somatische Medizin nichts für mich ist. Und als wäre diese Einstellung so tief in mir drin, dass sie nichts mehr ändern kann. Ich habe weiterhin meinen Job gemacht, einige Aufgaben übernommen. Mich noch zu einem Vortrag auf der Stroke Unit über ALS hinreißen lassen, nachdem ich den schon im Kollegium halten musste. Einen Dienst für eine Kollegin übernommen, die einen Todesfall in der Familie hatte. Bei den Vorbereitungen zur SU – Rezertifizierung teilgenommen. Gelernt, bei einer unserer Studien mitzumachen. Aber es war doch sehr spürbar, dass es ein Ende brauchte. Und ich habe sehr gehofft, dass ich in der Psychosomatik mehr Erfüllung finden würde – sonst würde ich ein gewaltiges Problem haben. Das würde ich zwar auch haben, wenn das klappen würde, aber das wäre noch besser, als wenn mir beide Fachrichtungen nicht zusagen.

Was ich allerdings vermissen würde, würden die Dienste mit dem Kardiochirurgen sein. Am letzten Dienst, den ich unter der Woche hatte, hatte der Kardiochirurg auch Dienst. Es war glaube ich eine der stillsten Nächte meiner Dienst – Karriere. Ab Mitternacht war die Notaufnahme leer und ab zwei Uhr in der Nacht die letzten administrativen Dinge erledigt. Eigentlich bin ich nur zum Essen auf den sechsten Stock gefahren, wo er mich mit ins Dienstzimmer der Kardiochirurgen, statt ins Arztzimmer genommen hat. Und dann haben wir da die Nacht verbracht. Das erste Mal in einem Bett, Arm in Arm. Das war eine Nacht, die werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Nicht nur, weil es unsere erste gemeinsame Nacht war. Sondern auch, weil ich bis dahin glaubte, dass es so etwas im „echten Leben“ nicht gibt. „Mondkind, Du bist mal wieder in einer hypomanen Phase nach dem Dienst“, hatte mich der ZNA – Oberarzt am nächsten Morgen begrüßt.

Die letzten zwei Septemberwochen hatte ich schon Urlaub. Die erste Woche hat leider nicht wie geplant funktioniert. Der Kardiochirurg hatte auch frei, wollte aber tagsüber paragliden. Dennoch hatte ich mich auf viel gemeinsame freie Zeit eingestellt. Denn die Abende und Nächte sind ja lang. Aber daraus wurde leider nicht viel. Der Kardiochirurg war meist sehr müde, wenn er abends keim kam; paragliden scheint ein anstrengender Sport zu sein. Ich habe viel Zeit mit warten und frustriert sein verbracht, ehe es dann in meiner zweiten Urlaubswoche in die Studienstadt ging. Aber auch dieser Aufenthalt war etwas verkürzt, weil ich eigentlich bei meiner Mama übernachten wollte, was allerdings aufgrund ihrer Covid – Infektion nicht möglich war. Daher brauchte es ein Hotel, das für zwei Nächte schon teuer genug war. Ich habe zwei Freunde besucht, war am Fluss und bei der alten Therapeutin; das Standardprogramm, aber das ist immer gut.

 


Ich stelle fest, ich war drei Mal in der Studienstadt dieses Jahr... - really?

Hallo Uni

Und dann war auch schon Oktober. Neue Stelle. Aufregung. Würde das so gut werden, wie ich es mir erhofft hatte?
Ich habe eine alte Kollegin aus der Neurologie wieder getroffen und wir hatten einen neuen Oberarzt, der allerdings schon Assistent in der Klinik gewesen war, mit dem wir starteten. Und gleich nach drei Tagen unsere eigene Gruppe bekamen.
Der Anfang war irgendwie alles. Aufregend, neu, aber natürlich auch massiv überfordernd. Wenn man nach drei Tagen eine Gruppe hat, mit der man irgendwie Therapie machen soll, dann muss man sich bei den Kollegen schnell abschauen, wie das alles funktioniert.
Und gleichzeitig war es ein Ankommen. Die Neuro habe ich zu keinem Zeitpunkt wirklich vermisst – maximal den ein oder anderen Kollegen – aber was ich wieder gefunden habe, ist eine längst verstaubte Mondkind. Eine Mondkind, die sich einst begeistern konnte für die Psychologie und nun die Nase wieder gern in die Fachliteratur gesteckt hat und wissbegierig war. Und zeitgleich schon auch Respekt vor ihren Aufgaben hatte.
Ich habe viel lernen können in diesen ersten Wochen. Von den Kollegen. Von unserem neuen Oberarzt, dem ich stundenlang hätte zuhören können. Und – man lernt auch für sich selbst. Nimmt immer wieder Eindrücke aus den Therapien mit.

Eigenes Büro - mit eigenen Gestaltungsmöglichkeiten


Glückliche Mondkind 😏

 

Mitte Oktober mich dann leider der erste richtig krasse Infekt seit Beginn meines Arbeitslebens umgehauen. Mit 40 Grad Fieber war es dann doch nicht mehr möglich zur Arbeit zu gehen. Ich konnte einen Dienst in der Neuro nicht machen – das hing mir als zuverlässigen Menschen sehr nach – und danach war ich noch einige Zeit recht schlapp auf die Füße. Mein ambitioniertes Lesen abends musste erstmal etwas zurück weichen, weil ich nachdem Tag so erschöpft war, dass kaum noch etwas ging.

Und mit der Zeit kamen die ersten Schwierigkeiten. Eine Art berufliche Identitätskrise, weil ich eigentlich lieber in der Psychosomatik bleiben würde. Das Thema Suizidalität war sehr präsent und hat mich an den verstorbenen Freund erinnert, was mich nach einigen Wochen so beschäftigt und innerlich angespannt hat, dass ich ein verbales Ventil brauchte. Und das hatte ich in unserem neuen Oberarzt der Psychosomatik gefunden, der damals aber schon wieder gekündigt hatte. Er hat das alles sehr professionell gelöst. Hat mir ein bisschen Raum zugestanden, um diesen fast unerträglichen Zustand etwas zu entlasten, dann aber auch deutlich gemacht, dass es da fachliche Unterstützung braucht. Er hat mir geholfen einen Supervisor zu finden und nachdem ich noch ein paar „Abschubser“ brauchte, habe ich dort auch angerufen und Mitte Januar einen Termin bekommen.

Ende November, zeitgleich mit dem Gehen unseres Oberarztes, ist meine Kollegin krank geworden und von Heute auf Morgen hatte ich das Privileg die Gruppe leiten zu dürfen. Einer der Psychologen hat letztens nochmal angemerkt, dass die mich dort sicher sehr ins kalte Wasser schmeißen. Ich persönlich sehe das immer als Herausforderung – auch, wenn ich mich mit der Gruppe schon ordentlich auf die Nase gelegt habe. Ich denke aber immer, ich habe nicht so viel Zeit hier – erstmal zumindest – ich muss schnell lernen. Die letzte November-/erste Dezemberwoche war jedenfalls sehr herausfordernd. Erstmalige Gruppenleitung und ein riesiger Konflikt in der Gruppe. Aber ich habe das geschafft. Irgendwie. 


 

Ab Anfang Dezember haben dann erstmal noch zwei Wochen Urlaub gewartet. Die waren schon ein buntes Potpourri. Die ersten vier Tage hatten den Kardiochirurg und ich zusammen frei. Auch hier war er gern wieder irgendwo unterwegs und es war schwer, ihn ein bisschen einzufangen und gemeinsame Zeit zu generieren. Gute Momente hatten wir trotzdem. Es hatte geschneit und wir waren im Umland, haben eine wunderschöne Schneewanderung gemacht. Wir haben Plätzchen gebacken und Kakao getrunken. Aber insgesamt lief das nicht ganz so, wie ich mir das gedacht hatte. Danach war er erstmal auf Fortbildung und ich habe die Zeit genutzt, um die Mutter des verstorbenen Freundes zu besuchen. Ich habe hier wieder viel Neues erfahren und manchmal denke ich mir, dass mir auch meine Psychosomatik – Erfahrung beginnt zu helfen. Es ist schwer zu beschreiben, aber mir hilft es zwischenmenschlich besser zu verstehen, nachzufühlen, wo er war. Und ich habe insbesondere viel Wut gespürt. Auf sein Umfeld, darauf, dass die Dinge so verlaufen sind, wie sie das getan haben. Dass fast nichts für ihn gespielt hat am Ende. Und ich habe ihn besucht. Eine Kerze mit ans Grab gebracht. Und damit habe ich mir selbst auch einen Wunsch erfüllt. Das wollte ich tun, seitdem er gestorben war. Und gleichzeitig fand ich es so schön, dass zumindest mal für ein paar Tage deutlich war, dass ich da war. Dass er nicht alleine ist. 

Hallo mein lieber Freund 💜

Winter - Wonderland

 

Kakao trinken mit dem Kardiochirurgen

Mit all den Eindrücken im Gepäck ging es weiter in die Studienstadt. Ich habe eine Freundin besucht, das zweite Treffen ist leider ausgefallen. Ich mag die Freundin sehr, mit ihr kann man echt über alles reden. Ich war bei meiner Therapeutin, mit der ich festgestellt habe, dass das Jahr jetzt gar nicht schlecht war.

Und dann ging es auch schon wieder zurück und der Kardiochirurg und ich sind in unseren ersten, gemeinsamen Urlaub gefahren. Und obwohl das alles etwas holprig war – wir sind super spät los gefahren, das Auto war zwischendurch kaputt und am Samstagabend hat ihn der Dienstplan fertig gemacht, aber ich glaube, dass diese Tage auch die besten Momente des Jahres bereit gehalten haben. Wir sind drei Tage nebeneinander aufgewacht und eingeschlafen, ich habe die Alpen kennen gelernt und mag sie super gern. Wir hatten super schöne Momente zu Zweit, haben wunderbare Erinnerungen mitgenommen. Und wenn es nur war, dass er mich über irgendeinen Graben auf der Wanderung gehoben hat, dass wir mit einem Weinglas vor dem brennenden Kamin saßen, während es draußen kalt war und Schnee lag. Dass ich morgens beim Aufwachen seine Hand auf meinem Körper gespürt habe, dass wir Arm in Arm auf dem Weihnachtsmarkt standen und neue Orte erkundet haben – wie Schloss Neuschwanstein. All die Momente habe ich gut im Herzen gespeichert.

 




Und dann ging es auch schon in den Endspurt. Noch zwei Wochen blieben übrig. In der Zeit hatte ich in der Psychosomatik die Gruppe wieder alleine und habe sie – denke ich – ganz gut durch die Zeit gebracht. Einige sind noch abgereist und haben zurück gemeldet, dass der Aufenthalt nützlich war. Weihnachten war dann dieses Jahr noch ein bisschen holprig zwischen dem Kardiochirurgen und mir und hat nochmal einige Spannungsfelder auf den Tisch gebracht. Das wird die erste Aufgabe im neuen Jahr.

Für das nächste Jahr steht viel an.
Ich werde einige, große Schritte in Richtung Facharzt gehen müssen. Denn das ich den versuchen muss zu machen, das habe ich mittlerweile eingesehen, ob ich dazu zurück in die Neuro muss, ist mal eine andere Frage.
Irgendwie muss ich auch meine „berufliche Identitätskrise“ lösen. Ich bin recht gespannt, wo ich in einem Jahr arbeite und ob ich dann für mich sagen kann, dass ich dort glücklich bin. Ich möchte für mich auch nicht ausschließen, dass es mich vielleicht doch zurück in die Neuro ziehen könnte, aber wenn es so ist, dass ich dort arbeite, dann bitte aus Überzeugung und nicht aus irgendeinem Pflichtgefühl heraus.
Ich bin sehr gespannt, wie das mit dem Kardiochirurgen und mir weiter geht. Ob wir vielleicht in einem Jahr noch unsere Tage zusammen verbringen und wenn ja – ob sich Dinge bewegen? Ob wir mal unter der Woche beim anderen verweilen, ob wir gemeinsame Urlaubserfahrungen gesammelt haben, ob wir uns nicht nur im Urlaub so ganz haben können, sondern auch einen Alltag, der den jeweils anderen integriert.
Ich bin gespannt auf den Sommer. Ich wünsche mir, ans Meer zu fahren. Da hätte ich mal wieder richtig Lust drauf. Einfach am Stand zu chillen, mit Fischis um die Wette zu schwimmen.
Ich hoffe, dass ich das ein oder andere Mal in die Studienstadt komme. Meine Freunde sehe. Vielleicht auch diejenigen, mit denen das dieses Jahr nicht geklappt hat. Ich habe manchmal große Angst, die Menschen dort zu verlieren, die ich sehr schätze und noch ein bisschen behalten möchte.

Ich bin gespannt. Es könnte richtig gut werden. 

Mondkind

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