Zwischen Job und Beziehung

Ich rase über den Flur im vierten Stock des Reha – Gebäudes.
Im Kopf gehe ich gerade noch die absteigenden Bahnen im Rückenmark durch, die ich die Tage wiederholt habe. Zeitgleich überlege ich, wie ich das mit dem Neurorepetitorium mache. Das ist im März, dafür müsste ich zwei Urlaubstage umschieben, aber es geht sicher.
Ich bin gerade auf dem Weg, um eine Patientin abzuholen, die ich aufnehmen muss.
Und dann bemerke ich, dass durch ein Fenster im Flur die Sonne scheint und den Gang in helles Licht taucht.
Ich spüre mich atmen.
Das erste Mal bewusst seit einer knappen Woche.
Zum ersten Mal ist da etwas anderes als Angst, Wut, Enttäuschung und Stress.
Ich bleibe kurz stehen. Auf diesem Flur. Und bin einfach mal kurz bei mir.
 

***
Es ist nicht so, dass ich nicht geschrieben hätte die letzten Tage.
Irgendwie war ich nur nicht bereit, es auf den Blog zu stellen.
 
Es ist so viel los.
 
Psychosomatik.
Ich glaube, ich hatte die erste richtige Psychosomatik – Krise. Nicht, weil ich das Fach plötzlich nicht mehr mag oder so – im Gegenteil. Aber, weil wir zunehmend eine Gruppe von schwer kranken Patienten haben. Die Krönung ist eine junge Dame mit einer Anorexie und einer schweren Zwangsstörung. Und die Patientin leidet wirklich. Sie hat schon so viel geweint bei mir, weil sie aufgrund der Zwänge überhaupt kein Leben mehr hat. Alleine überhaupt Zeit zu haben zur Therapie zu gehen, ist eine Herausforderung, weil sie den ganzen Tag mit den Zwängen beschäftigt ist. Und ich weiß einfach nicht, wie ich ihr helfen soll. Die Gruppe leiten eine andere Neurologin und ich und ja – es gibt mal eine Supervisionsstunde dazwischen und die lief auch wie geschmiert und das war auch gut – und trotzdem habe ich nach drei Monaten einfach keine Ahnung von der Materie und wie man so schwere Symptomatiken behandelt.
Ich habe Sorge den Patienten nicht gerecht zu werden und dass die nicht ausreichend von dem Aufenthalt profitieren können.
 
Neuro.
Ich habe angefangen zu lernen. Und ich versuche das wirklich durchzuziehen. Und nicht jeden Tag eine Ausrede zu finden, warum ich mich nicht beschäftigen kann.
Aber das stresst. Wenn ich Glück habe, kann ich auf der Arbeit schon mal eine kurze Wiederholungssession in der Mittagspause einlegen, aber wenn ich da Zeit habe, möchte ich größtenteils Psychosomatik lesen. Allerdings zu Hause der Neurologie und einer kriselnden Beziehung gerecht zu werden, ist mehr als eine Herausforderung.
Ich habe den Eindruck, dass es zwar voran geht – immerhin habe ich schon Schwindel und Kopfschmerzen durchgenommen und stecke gerade mitten in der Neuroanatomie – aber mit dem ganzen Stress im Kopf bin ich gar nicht mehr aufnahmebereit für die Psychosomatik. Ich weiß nicht, ob das so richtig ist, aber ich habe den Eindruck für die Psychosomatik bräuchte es etwas mehr Ruhe im Kopf, denn schließlich geht es da weniger um das Abarbeiten von Fakten.
 
Es kommt mir manchmal vor, als würde beides zusammen nicht gehen, wobei das sicher geht – ich weiß nur noch nicht wie… 

Wanderung von letztens...


Und die Beziehung… - puh.
Mir ist keinesfalls klar, wo wir überhaupt stehen.
Ich weiß nicht, ob es ihm klar ist.
Vorgestern bin ich abends bei ihm. Erläutere nochmal meinen Standpunkt. Erkläre, dass da sicher viel an Kommunikation die letzten sechs Monate schief gelaufen ist und wir da sicher noch einiges zu klären haben, aber dass ich – nur im Fall, dass es nicht klar geworden ist – mir sehr eine Beziehung mit ihm wünsche und finde, wir sollten langsam versuchen, mehr Alltag miteinander zu teilen. Zwischendurch hatte er nämlich geäußert, dass er immer die Vermutung hatte, dass ich ihn in dem Gespräch über unsere Beziehung, das ich seit Wochen führen möchte „abschießen“ möchte. „Na dann ist das für Dich doch gar nicht so schlecht gelaufen“, hatte ich dazu gesagt. Er meinte, dass es doch schlecht war. Was in mir wieder die Fantasie geweckt hat: Vielleicht hat er gedacht, dass ich die Verbindung zwischen uns auflöse, dann müsste er es nicht tun. Vielleicht fand er es deswegen nicht cool.
Jedenfalls kam von seiner Seite wieder nichts. Auch auf ein „Du musst doch irgendwelche Impulse und Gedanken dazu im Kopf haben“ und einem „Vielleicht wäre es eine Idee, ein paar Notizen zu machen, wann immer Dir etwas einfällt“, kam keine Reaktion. Er meinte, dass er so viel im Kopf hat, dass er das nicht filtern und in eine Antwort verpacken kann.
Es ist schwierig. Sehr schwierig.

Morgen haben wir am Nachmittag einen Workshop zum Thema körperbezogene Psychotherapie inklusive Selbsterfahrung. Ich bin ja mal gespannt. Ich denke, das kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt. Ich muss zwischen all den Baustellen mal wieder minimal zu mir selbst finden. Temporär den Stress raus nehmen. Und realisieren, dass ich immer noch gerade in einem Lebensabschnitt bin, den ich mir sehr herbei gewünscht habe und mit dem ich eigentlich recht glücklich bin.

Mondkind


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