Jahreswechsel im Dienst

31.12.2023
Dienst.
Ob es der letzte Neuro – Dienst wird?
Es geht direkt mit schlechten Nachrichten los. „Der Visitendienst ist kurzfristig erkrankt. Leider konnte  so schnell auch kein Ersatz gefunden werden.“ Der Chef schreibt eine Nachricht in die Gruppe, aber das bringt natürlich auch nichts. Heute habe ich die Station und die ZNA an den Hacken.
Zum Glück ist es am Morgen noch kurz ruhig, sodass wir zumindest Visite machen können. Und danach geht es los. Irgendwie befindet scheinbar der halbe Landkreis, dass es eine gute Idee wäre, in der ZNA vorstellig zu werden. Meine erste Patientin ist einfach allgemein schlapp bei Covid – ich weiß nicht, wer da auf die Idee kommt einen Schlaganfall zu sehen. Beim zweiten Patienten wird es schon interessanter: Er wurde verwirrt und unzureichend bekleidet in einer Hotellobby aufgefunden. Neben eher kleineren Notfällen und ganz vielen Menschen die eher psychisch dekompensiert waren – der Jahreswechsel scheint die Menschen doch auf eine gewisse Art zu berühren, mit einer waschechten Panikattacke konnte ich schon mal üben für meine PSK – Dienste ab nächster Woche – gab es dann auch noch ein paar kritische Dinge. Die Gefäßchirurgen haben angerufen und konnten sich nicht einigen, ob der Patient nun „zittert“ oder halbseitig gelähmt ist. Als ich dann vorbei gerast kam habe ich festgestellt, er hat einen epileptischen Anfall. Sowas von eindeutig. Und dann ist er in den Status gerutscht. Neben unserer Diagnostik habe ich alle Stufe I- und Stufe II – Medikamente zur Statusbehandlung in den Patienten rein gekippt ohne nennenswerte Besserung. Also blieb nur: Stufe III. Intubieren und auf die Intensivstation. Als ich nach anderthalb Stunden zurück in die ZNA kam, hat die Pflege mich mit den Worten empfangen, dass da noch eine TIA im Wartezimmer sitzt. Diese TIA saß aber in einem Rollstuhl und es sah nicht aus, als sei sie wieder beschwerdefrei. „Können Sie laufen?“, frage ich. „Nein, sonst würde ich ja nicht in diesem Stuhl sitzen“, entgegnet die Patientin. „Wie lange ist die hier?“, frage ich die Pflege. „15 Minuten“, ist die Antwort. Ich kriege kurz Herzrasen. Die müssen mich doch anrufen, das ist beschissen hoch 1000. Ich hätte mich wahrscheinlich auch nicht teilen können, weil ich den Status ja auf die Intensiv bringen musste, aber wenn ich nicht sofort wieder in die ZNA gerast wäre, wäre die Patientin mir voll durch die Lappen gegangen. Da kriege ich im Nachhinein noch fast Panik.
Letzten Endes hat sich heraus gestellt: Vorstellung im Zeitfenster. Indikation zur Lyse. Die dann auch kurze Zeit nach unserer Diagnostik hing. 

 



Es war so viel los, dass ich den Funk erst knapp 23 Uhr los geworden bin.
Dann haben der Kardiochirurg und ich erstmal miteinander gesprochen, der bis dahin schon längst im Nachtdienst angekommen war. Die Idee war ja, dass ich am Abend hoch auf die Intensivstation komme, dort fertig dokumentiere und wir dann gemeinsam ins neue Jahr starten. „Wir müssen aber schon professionell bleiben“, ermahnt der Kardiochirurg. Ich muss mich bemühen, über diese Aussage nicht zu lachen. Also bitte wessen Idee war denn diese Nacht in seinem Dienstzimmer damals und bitte wer kann seine Pfoten keine drei Minuten bei sich behalten, wenn wir gemeinsam auf dem Sofa liegen? „Ganz professionell“, bestätige ich.
Gegen 23:30 Uhr bin ich oben angekommen. Heute hat eine Anästhesistin Dienst, die ich zum Glück auch kenne und selbst die heutige Stationsleitung kennt mich. Sehr schön. Es scheint sich keiner großartig darüber zu wundern, dass ich dort oben bin.
Die Intensivstation hat sich wirklich ordentlich Mühe gegeben. Und um Mitternacht stoßen wir dann alle miteinander an und es gibt ein Buffet. Mir kommt in den Sinn, dass die Menschen, die unter der Situation leiden, dass man in manchen Jobs eben auch in solchen Momenten arbeiten muss nicht unbedingt die Menschen sind, die das tun, sondern die Menschen, die nicht dabei sein können. Wie ich an Weihnachten. Ich saß alleine auf dem Sofa und habe gewartet, dass der Kardiochirurg zurückkommt. Aber ich glaube diejenigen, die in der Situation sind, die können es irgendwie besser akzeptieren. Die sind ja beschäftigt, die sind in Gesellschaft und tun gleichzeitig etwas für die Gesellschaft. Ich weiß nicht, ob das Sinn ergibt.
Besonders romantisch war der Jahresübergang inmitten von piependen Monitoren und zwischen Pflegepersonal natürlich nicht, aber wir hatten uns kurz – wenn auch nicht ganz – und das war gut. Natürlich wäre meine Traumvorstellung von Silvester gewesen, dass wir in bisschen Privatsphäre haben. Dass wir zum Beispiel bei ihm im Dachfenster stehen, einen guten Ausblick auf die Stadt haben und das neue Jahr mit einer innigen Umarmung und einem Kuss starten können, während die Raketen in den Nachthimmel fliegen. (Tatsächlich zünde ich nie selbst welche an, aber ich schaue schon gern über die Stadt…). Aber das komm ja vielleicht noch irgendwann.
Für den Moment haben wir das Beste aus dem Rahmen gemacht, den wir hatten. Mit den Anästhesisten darüber sinniert, wie viele Menschen mit Handverletzungen wohl in der Nacht zu betreuen sind, über Silvesterbräuche aus anderen Ländern geredet und die waren auch recht interessiert in mein Tun auf der Neuro und in der Psychosomatik.

(Er ist aber halt auch voll der Pragmatiker und meinte dann, dass im Prinzip ja jeder tage ein Jahreswechsel ist, weil ja an jedem Tag 365 Tage im Vergleich zum Vortag in diesem Jahr vergangen sind. Ja….. – das ist jetzt nicht falsch, aber… nein).

Eine halbe Stunde später ist wieder jeder seiner Routine nachgegangen. Ich musste leider noch super viel dokumentieren, der Kardiochirurg hat seine Runden über die Station gedreht und kam zwischendurch immer mal wieder vorbei, um irgendetwas im PC nachzuschauen.
Ein bisschen hat es mich erinnert an unsere Anfänge. Wir beide in dieser Krankenhauskleidung, in der man einfach nicht gut aussehen kann. Dieses Tanzen umeinander. Die Blickkontakte. Das Erleben des Anderen in seinem Arbeitsmodus. Er ist tatsächlich anders, wenn er arbeitet. Irgendwie noch unnahbarer. Keine Ahnung, wie wir das geschafft haben.

Gegen 3 Uhr war ich dann endlich fertig. Es war zumindest eine halbe Umarmung in dieser Nacht auf einem weniger belebten Krankenhausflur, mit der wir uns verabschiedet haben. Er hat Nachtdienst diese Woche. Ich habe Tagdienst. Und am Samstag 24 – h – Dienst. Keine Ahnung, wie das diese Woche mit uns wird, ehrlich gesagt.

Ein frohes neues Jahr an alle Leser
Mondkind


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