Von einem Samstag

Samstagmorgen.
Wo ich doch gestern Abend nach der Supervision noch so gute Gedanken hatte, hat es am Abend natürlich wieder eine kleine Eskalation mit dem Kardiochirurgen gegeben. Folglich war die Nacht kurz. Vor 10 Uhr schaffe ich es dennoch nicht, mich aus dem Bett zu schälen. Währenddessen kommt mir der Gedanke, dass ich am Wochenende eigentlich irgendwie Energie tanken sollte. Nächsten Samstag habe ich Dienst – das bedeutet, dass ich die nächsten 14 Tage keinen einzigen Tag ausschlafen kann.

Nachdem ich dann endlich einen Kaffee getrunken habe und Einkaufen war, ist es Mittag. Die Sonne scheint. Es ist noch ziemlich kalt draußen, aber die Sonne auf der Nasenspitze ist eine gute Sache. Ich beschließe eine Runde spazieren zu gehen und mit dem ehemaligen Freund zu telefonieren. Wir diskutieren ein bisschen über die Psychosomatik. Über meine schwierigen Patienten und über die Gruppe, die im Moment allgemein schlecht arbeitet und immer wieder irgendwelche Nebenbaustellen aufmacht statt über das zu reden, das wichtig wäre. Und irgendwie hänge ich da so zwischen „Es ist meine Aufgabe als Therapeutin die Gruppe ins gescheite Arbeiten zu bringen“ und „Ich kann auch nicht mehr für die Gruppe wollen, als die Gruppe selbst will.“ Und meine Kollegin, die leider mindestens genauso ahnungslos ist wie ich, verbessert die Sache nicht unbedingt. Ich habe ein offenes Ohr und vom Gegenüber kommen einige Impulse.

Und dann reden wir über den Kardiochirurgen. Ich berichte auch ihm nochmal, was sich die letzten Tage zugetragen hat. „Was soll ich mit ihm machen? Er redet einfach nicht“, frage ich am Ende. „Dich von ihm trennen“, sagt er. Ob der ehemalige Freund jetzt unbedingt der beste Beziehungsratgeber ist weiß ich nicht, aber das Ding ist, dass ich von allen Ecken dasselbe höre. Mit einer Kollegin, die aktuell knapp hundert Kilometer weg von hier arbeitet, habe ich das die Tage auch nochmal besprochen. „Er hat Dir doch geantwortet“, hat sie gesagt. „Er hat nichts gesagt“, habe ich erwidert. „Eben, das ist seine Antwort“, meinte sie. Eine andere Freundin aus der Studienstadt sagte Ähnliches und als ich das schon im Dezember noch mit dem Intensiv – Oberarzt nochmal besprochen habe meinte er, dass er das nicht mehr ewig akzeptieren würde, immer das „fünfte Rad am Wagen“ zu sein.
Es kommt ja auch non – verbal kaum Initiative. Ich kümmere mich wirklich gefühlt um alles bei uns. Ich suche Zeitfenster, ich plane was wir abends kochen, ich habe das komplette Weihnachten geplant, ich habe dafür gesorgt, dass wir Silvester zusammen verbringen könnten und gestern Abend kam er dann zu der Aussage, dass ich mir ja schon mal Gedanken um den Sonntag machen könnte, falls wir da etwas unternehmen können. Ganz bestimmt nicht, bevor ich nicht weiß, dass wir das auch wirklich tun. Er sei müde, sagte er. Ja, schön. Er ist aber nicht der Einzige von uns, der hier arbeitet. Ich bin auch müde.

Dem ehemaligen Freund erkläre ich, dass ich den Eindruck habe, da ist noch etwas. Dass ich nicht glaube, dass das reines Desinteresse ist, sondern dass er da wirklich eine Schwierigkeit hat, die er nicht ausspucken kann und dass wir vielleicht das lösen müssen. „Denn grundsätzlich mag ich ihn sehr gern“, höre ich mich sagen.
Ich weiß nicht, wie das für das Außen klingt. Vielleicht wie ein Mensch, der sich weigert, die Hoffnung aufzugeben. Der vielleicht in sechs Monaten sagt: Das war ein Gedanke, auf dem ich ewig hing, der mich an ihm dran gehalten hat und am Ende war da wahrscheinlich doch nichts, das ihn blockiert hat.

Am Nachmittag sitze ich auf meinem Sofa.
Denk nochmal nach. Wir streiten uns nur noch. Also… - das ist eigentlich auch die falsche Formulierung. Ich teile ihm mit, dass mich sein Verhalten wütend macht. Aber ich bleibe auf meiner Wut sitzen. Und die Anziehung ist dahinter tatsächlich ziemlich verloren gegangen. Diese Momente, in denen ein Neben ihm Stehen schon ein Kribbeln im Bauch ausgelöst hat, sind vorbei. Lange schon. Ob sie zurück kommen können?

Ich denk darüber nach, dass ich im Januar so viele schlaflose Nächte hatte, wie schon ewig nicht mehr. Dass ich mittlerweile wieder jedes Mal den Staubsauger holen kann, wenn ich im Bad meine Haare gekämmt habe. Dass der Tag – Nacht – Rhythmus sich schon wieder recht verschoben hat, dass die Morgen schwer sind und es ab 20 Uhr tendentiell besser wird. Ich denke daran, dass ich das oft monatelang gemacht habe, bis ich über die Erschöpfung dekompensiert bin.
Und ich denke darüber nach, dass ich keinem Mann mehr die Macht geben möchte, mich so herunter zu wirtschaften. Aber dieser zwischenmenschliche Kram macht etwas mit mir. Ich kann mich da so schlecht selbst regulieren, das ist einfach eine meiner Baustellen, befürchte ich.
Ich weiß noch nicht, wie ich das löse. 

Zugegebenermaßen ein Bild vom letzten Wochenende...

Ich denk an meine Schwester, die dieses Wochenende hier in der Stadt ist und ihren Freund besucht. Und genau in dem Moment, in dem ich darüber nachdenke, dass ich traurig bin, dass wir beide uns natürlich nicht sehen, kommt mir eine unserer Psychologinnen in den Sinn und was sie zu so einer Situation sagen würde: „Das ist doch die ultimative Kränkung. Da wohnt die Schwester im Norden des Landes, über 600 Kilometer weit weg und hat ihren Freund ausgerechnet dort, wo die Mondkind wohnt. Und lebt ihr quasi vor, wie Beziehung funktioniert, was sie selbst nicht hinkriegt. Und ist darüber hinaus auch einer der Menschen, der die Mondkind immer wieder wegstößt. Die immer wieder suggeriert: Mir ist etwas anderes wichtiger. Und auch, wenn wir über 600 Kilometer auseinander wohnen und ich selten hier bin, aber wenn ich schon mal da bin, habe ich auch keine Stunde Zeit für Dich.“
Ich spüre diesem Gefühl ein bisschen hinterher. Ja, das ist kacke. Und trotzdem kann ich es nicht ändern. Irgendwie habe ich gelernt das zu akzeptieren. Es ist ja nun auch schon über ein Jahr so.

Und wenn wir uns jetzt trennen würden – der Kardiochirurg und ich – wäre es schlimm? Würde es nicht nur die ständige Wut ein bisschen beenden? Würde es nicht eine Endgültigkeit schaffen, alle guten Erinnerungen für immer zu konservieren und sich damit anzufreunden, dass es eine Wiederholung davon nicht geben wird? Ich denke oft an unsere Tage im Allgäu. Es war eine Zeitspanne so lang wie ein Wimpernschlag und dennoch hat sie für einige Pirouetten im Leben gereicht. Ich war super traurig, als wir nach Hause gefahren sind. Und wahrscheinlich war das einfach ein bisschen die Sorge, dass sich diese Vorahnung mal wieder bestätigt. „Was gut ist, kann nicht lange bleiben.“ Wir haben theoretisch den Urlaub dieses Jahr übereinander gelegt, es könnte Wiederholungen eines gemeinsamen Urlaubs geben. Aber ich konnte nicht daran glauben. Und irgendwie war es auch ein seltsamer Stich ins Herz, als wir in Bezug auf die Weihnachtsdeko über „nächstes Jahr“ geredet haben. Das war, als hätte irgendetwas in mir drin mal kurz die Hand gehoben und gesagt: Stopp Mondkind. (Daneben muss man sagen, dass das irgendwie auch nicht so schlau war, Urlaub jedes Mal nach seiner Nachtdienstwoche zu planen, wenn er noch das komplette Wochenende out of order ist. Das hat er mal irgendwann anders berichtet. Aber angeblich war es im November noch nicht möglich „richtigen“ Urlaub zu planen. Da hatten sie nur die Nachtdienstwochen).

Und Neuro habe ich am Nachmittag auch noch drei Stunden gelesen. Dann ging einfach nichts mehr. Vielleicht schaffe ich heute Abend noch ein Stündchen. Ich merke, dass ich gerade jetzt in dieser Zeit eigentlich viel mehr Zeit für mich brauche, als ich habe. Mal ein bisschen auf meinen Gedanken hängen. Mal mit Freunden reden. Leider hat es dafür viel zu wenig Zeit. Wenn man das mit der Neuro irgendwie ernst nehmen möchte.

Mal sehen, wohin die Reise geht. Es ist eine ständige Achterbahnfahrt zur Zeit. Ich möchte versuchen die guten Momente wahrzunehmen und nachdrücklich zu beachten und die schwierigen Momente einfach zu akzeptieren. Und anders geht es auch nicht. Es hat kein Helfersystem mehr im Hintergrund. Oder zumindest nur noch ein extrem Abgespecktes. Nächstes Wochenende gehe ich vielleicht den Intensiv – Oberarzt besuchen. Darauf habe ich dann aber auch knapp drei Wochen gewartet.


Mondkind


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