Vom Ende der Woche

Donnerstag.
Ich habe eigentlich keine Ahnung, wie ich diesen Arbeitstag überlebt habe.
Es wird schon fast zur Normalität, dass die Kollegin mit der ich die Gruppe habe, mindestens ein Mal wöchentlich nicht auftaucht (sie hat sich schnell angepasst an die üblichen Krankenstände in der Psychosomatik) und manchmal ist mir das ganz recht, weil ich dann meine Skills in der Gruppentherapie verbessern darf. Aber an diesem Morgen hätte ich sie wirklich gebraucht.
Wir hatten an diesem Morgen körperbezogene Therapie und ich habe eine Übung ausgesucht, die die Gruppe weitestgehend mit sich selbst machen kann und mich nur als Moderation braucht. Das hat sogar ganz gut geklappt, einige Patienten hatten sogar den „Aha – Moment“, den sie haben sollten und ein Patient, der die Übung schon zum Zweiten Mal gemacht hatte und kurz vor der Entlassung ist hat deutlich gemerkt, dass er die Übung anders wahrgenommen hat als beim ersten Mal und die Therapie dann wohl doch etwas gebracht hat. Sehr schön.
Alle Gespräche, bei denen ich das irgendwie machen konnte habe ich auf morgen geschoben. Und somit habe ich es irgendwie geschafft, nicht wahnsinnig viel tun zu müssen an diesem Tag. Nach Null Minuten Schlaf in der Nacht.

Am Abend meldet sich der Kardiochirurg. Er ist erst relativ spät raus. Halb 9 erst. Er fragt, ob er noch vorbei kommen soll. Kurz. Wir haben beide nicht geschlafen, stellen wir fest. „Ich würd mich schon freuen“, sage ich.
Es ist klar, dass wir an diesem Abend nichts mehr klären. Dazu sind wir beide viel zu fertig. Wir liegen nur zusammen auf dem Sofa und haben uns im Arm. „Du bedeutest mir so viel“, sagt er irgendwann  in die Stille hinein. Irgendwie verstehe ich es ja nicht. Es könnte doch alles so einfach sein. Aber scheinbar ist es das ja nicht.
Nach einer halben Stunde macht er sich wieder auf die Socken. Und ich gehe ins Bett und schlafe bis zum nächsten Morgen durch.

Freitag
Heute gibt es einiges zu tun auf der Arbeit.
Der Kardiochirurg und ich einigen uns, dass wir uns am Abend treffen. Er hat Nachtdienst ab Samstagnacht – unser Wochenende ist also mal wieder kurz. Aber von Freitag auf Samstag könnte ich bei ihm sein.
Am Abend ist immer noch nicht viel los mit uns beiden. Die fehlende Nacht steckt uns beiden immer noch in den Knochen. Wir einigen uns, dass wir etwas kochen und einen Film schauen wollen. Als wir gerade dabei sind die Pilze anzubraten, bemerkt er, dass ich meine Strickjacke ausziehe und zur Seite lege. „Warum machst Du das?“, fragt er. „Weil sonst die Jacke gleich an angebratenen Pilzen riecht. Reicht schon, dass der Pullover das tut, aber der fliegt dann halt in die Wäsche.“ „Hast Du da so eine empfindliche Nase?“, fragt er. Ich nicke. „Ich gebe ja schon zu, dass ich manchmal ein bisschen nachlässig bin, meine Pullis in die Wäsche zu schmeißen“, meint er. Ich kommentiere das mal nicht, aber er denkt scheinbar weiter, während er so neben mir steht. „Merkst Du das, wenn ich einen Pulli anhabe, wenn ich zu Dir komme, mit dem ich vorher gekocht habe?“, fragt er. „Ehrlich jetzt?“, frage ich. Er nickt. „Natürlich merke ich das“, antworte ich. „Dann muss ich darauf achten…“, entgegnet er. „Naja, ist es schon gut, vielleicht ist nicht jeder so verrückt wie ich“, erkläre ich. „Na wenn es Dich stört“, sagt er. Naja, vielleicht weiß ich dann demnächst mal nicht, was es vorher zu essen bei ihm gab. Das wäre auch nicht schlecht. Insbesondere, wenn es Burger gab ist es wirklich schlimm… Er sucht sogar eine Kerze für das Essen, was er sonst bisher selten gemacht hat. Der Romantiker ist er sonst nicht so gerade.
Nach dem Essen verziehen wir uns schon mal in Richtung Bett und schauen einen Film, bis Einschlafmyoklonien durch meinen Körper ziehen. Dann beschließen wir die Augen zuzumachen und einfach zu schlafen.

Samstag
Es ist so schön nebeneinander aufzuwachen. Nur wer weiß, wie lange das noch so ist. Es ist halb 11. Scheinbar haben wir das gebraucht. Ich spüre seine Hände auf meinem Körper, die mich zu ihm ran ziehen und dann werden wir langsam wach.
Da es kein Brot und keine Brötchen mehr im Haus hat, geht er schnell los zum Bäcker, während ich den Tisch decke.
Es ist komisch. Eigentlich so, als hätte es die letzte Woche nicht gegeben. Fast erlebe ich ihn noch ein bisschen fürsorglicher, als vorher. Ein bisschen kommt es mir so vor, wie mit dem ehemaligen Freund. Wir ignorieren einfach alles so lange, bis es irgendwann knallt. Wir beide wussten das auch von Anfang an, dass das nicht passt. Das war schon an unserem ersten gemeinsamen Wochenende im Gespräch, dass er nicht bleiben kann. Von dem ganzen Thema mit der Polygamie und der gleichen wusste ich damals noch nichts, aber da war so ein Gefühl in der Luft.
Ich merke an, dass ich heute Lust hätte, ins Umland zu fahren und den Schnee zu genießen. Dort liegt sogar sicher noch etwas mehr als hier und seine Flieger – Freunde vom Paragliden sind schon früh los und vermelden, dass in den höheren Lagen auch die Sonne scheint. Also machen wir uns fertig, ziehen uns dick an und fahren los. Und dann laufen wir durch die verschneite Welt und einem blauen Himmel. Es ist so schön. Wenn es eben nur echt wäre. Wenn wir nicht so unsicher wären, ob das einer unser letzten Spaziergänge wird.
„Wollen wir eigentlich nochmal ein bisschen über uns reden“, frage ich, als wir über ein verschneites Feld laufen und die Menschenmassen ein wenig hinter uns gelassen haben. Am Wochenende sind wir freilich nicht die Einzigen, die auf die Idee gekommen sind, in den Schnee zu fahren. „Also Mondkind, wir haben definitiv noch einiges zu klären, aber lass uns doch jetzt erstmal die Sonne und den Berg genießen.“ Ich verstehe schon, das hat jetzt keinen Sinn. Er will nicht reden. „Aber vielleicht können wir das klären, bevor Du in den Urlaub fliegst“, sage ich irgendwann. Er hat ab heute eine Woche Nachtdienst und nach Plan ist er ab nächsten Samstag zwei Wochen nicht da. Ich möchte nicht, dass Mitte Februar wird, ehe hier mal irgendetwas weiter geht. „Machen wir“, sagt er. Nur irgendwie glaube ich das nicht. Aber irgendwie bin ich auch noch nicht vollends überzeugt, dass er wirklich nächsten Samstag schon fliegt. Vielleicht wird es zumindest Sonntagnachmittag oder Montag. Bis jetzt ist sein Paragliding – Schirm nämlich noch beim TÜV und er hat weder einen Flug noch einen Kurs gebucht bislang.
Als wir gerade auf dem Rückweg zu seinem Auto sind, fällt ihm wieder ein, dass ich ja lernen sollte, das zu fahren. Das war eigentlich für den Fall gedacht, dass wir nochmal zusammen in den Urlaub fahren und er total übermüdet ist. Dann könnte ich auch mal ein bisschen zumindest die Autobahn lang fahren, während er sich ausruht. Also eigentlich ist das jetzt gerade vollkommen unnötig. „Wir machen das jetzt einfach“, beschließt er und drückt mir seinen Autoschlüssel in die Hand. Ehrlich gesagt ist mir gar nicht so wohl dabei. Ich fahre ungern fremde Autos und dann bin ich mit Unterbrechung von einer Stunde in der Fahrschule seit bestimmt neun Jahren keinen Schaltwagen mehr gefahren. Auf dem Parkplatz würge ich das Auto natürlich auch erst drei Mal ab. Es geht dann aber recht gut. Wenn es mit der Arzt – Karriere doch noch scheitert, wäre der Kardiochirurg sicher ein toller Fahrlehrer, er hat schon gut zugeschaut bei seinem Papa. Er sagt mir genau, was ich machen muss und ich kann mich erstmal aufs Umsetzen konzentrieren. Wir kommen dann auch heil zu Hause an, nachdem er mich noch eine Sonderrunde durch unseren Ort gescheucht hat. „Ich möchte nach Hause jetzt“, sage ich irgendwann zwischendurch. „Ich bin mir sicher, das willst Du nicht“, entgegnet er. 


Er möchte dann noch eine Runde schlafen vor dem Nachtdienst und kündigt auch gleich an, dass wir uns morgen nicht sehen werden, weil er müde sein wird. Dass das von vornherein ausgeschlossen ist, war mir jetzt nicht so klar, immerhin hat er dazwischen auch 12 Stunden Pause, aber ich speichere das mal auf meiner Festplatte. Da wäre so ein Sonntag in seiner Nachtdienstwoche ein perfekter Tag für einen Dienst.

In der Nacht denke ich viel nach.
Ich verstehe es einfach nicht. Er tut einfach mal so, als wäre gar nichts zwischen uns und sieht auch irgendwie nicht die Dringlichkeit das zu klären. Dabei hängt das alles an ihm. Ich weiß, was ich möchte. Und ich sehe auch, dass wir noch Schwierigkeiten bekommen werden. Ich bin nicht so blauäugig und wirklich bis über beide Ohren verliebt ohne die Realität zu sehen, wie es damals beim ehemaligen Freund der Fall war. Und diese Schwierigkeiten fangen bei unserem Zeitmanagement an und hören bei unserem Anspruch von Sauberkeit in der Wohnung auf. Ich weiß auch, dass ich das erste Mal in einer Beziehung bin, in der das Gegenüber noch weniger Zeit hat als ich und ich sicher oft Diejenige werde sein müssen, die den Haushalt macht, die kocht, die sich um Dieses und Jenes kümmert. Außer, um Termine die unter der Woche zu bestimmten Zeiten sein müssen, das kriegt er besser hin mit seinen ständigen „Frei – nach – Nachtdienst – Wochen.“

Wahrscheinlich muss man das im Moment mal wieder als ein „Fishing for moments“ sehen. Wir erleben noch gute Dinge miteinander. Wir schaffen noch Erinnerungen. Ich kann die in meinem Herzen speichern. Mich erinnert das immer an das Weihnachten beim ehemaligen Freund. Ich habe Weihnachten nie so erlebt und trotz des ganzen Schmerzes, der sicher auch dabei war, bin ich rückblickend dankbar für die Erfahrung. Und das muss ich mir vielleicht mit dem Kardiochirurgen auch immer wieder sagen. Vielleicht kommt bald der Punkt, an dem das alles vorbei ist. Und ja, ich würde mir auch mal eine Beziehung wüschen, bei der ich nicht ständig das Gefühl habe, dass meine Fühlerchen immer am anderen dran hängen müssen, sondern, dass ich das Vertrauen haben kann, dass wir beide füreinander arbeiten. Aber es ist eben nicht so. Und gleichzeitig habe ich jetzt aber auch gelernt, dass eine Trennung nicht für immer so in der Schwebe hängt und für immer so weh tut, wie ein plötzlicher Tod des anderen. Mit dem ehemaligen Freund, das klappt jetzt eigentlich ganz gut. Wir hören uns von Zeit zu Zeit, aber auch nicht ständig. Ich war irgendwann im Dezember nochmal bei ihm, als ich in der Nachbarstadt war und ein Termin kurzfristig ausgefallen ist. Ich denke sicher noch ab und an an ihn und unsere Zeit, aber es tut nicht mehr so weh. Wir müssen uns auch nicht mehr ständig hören. Wenn wir das tun, ist es schön, wenn nicht, ist es auch okay. Ich hab auch viel zu tun mit Arbeiten und Neuro und Psychosomatik lernen, ich habe nicht ständig Zeit, aber wenn wir mal zufällig zur selben Zeit Zeit füreinander haben, dann ist es okay.

Na mal sehen, wie das weiter geht mit dem Kardiochirurgen.
Die Zeit wird es wohl zeigen.
Einfach ist es nicht, das auszuhalten.


Mondkind


Kommentare

  1. Liebe Mondkind,
    es gibt etwas, das ich schon sehr oft gedacht habe beim Lesen deiner Texte. Ich meine das nicht als Kritik, aber ich glaube, es würde dir super gut tun, wenn du internalisierte veraltete Rollenbilder und sexistische Stereotype anfangen würdest zu hinterfragen. Oft liest man in deinen Texten Dinge wie „Männer sind eben so“.
    Ich finde deine Überlegungen zum Haushalt ein gutes Beispiel dafür, wie unvorstellbar eine gleichberechtigte (!!) Beziehung für dich ist. Erstens, wenn man gemeinsam leben möchte, sind unterschiedliche Ansprüche an Sauberkeit egal. Es wird sich auf einen Standard geeinigt, der für beide Seiten passt und an den wird sich gehalten. Und nur, weil eine Partei mehr arbeitet als die andere bedeutet das noch lange nicht, dass diese dann zuhause die unbezahlte Haushaltsarbeit macht. Ihr habt beide einen Vollzeitjob und wenn er länger arbeiten möchte, kann er das machen. Trotzdem ist Haushalt 50/50. Oder bezahlt er dich dann dafür, dass du seinen Teil mitmachst? Denn er bekommt in der Zeit, in der nicht putzt weil er arbeitet ja sicher Gehalt. Und wenn er seine 50% nicht machen kann oder will, kann er ja einfach eine Haushaltshilfe suchen, die das dann macht.
    Alexandra Zykunov hat zwei tolle Bücher geschrieben, in ihrem Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ gibt es sogar ein Kapitel, das „Meine Frau hat einfach höhere Sauberkeitsstandards als ich“ heißt. Auch ihr Instagram Kanal ist toll um zu stöbern!
    Vielleicht hast du ja Lust dich damit mal auseinanderzusetzen.
    Liebe Grüße

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    1. Hey, Mondkind hier.
      Ich weiß nicht, was mit dieser Kommentarfunktion los ist, das mal nur am Rand…

      Mh. Ich habe mal freund Google zum Thema bemüht und ich verstehe Deinen Punkt. Ich habe letztens schon mal zu irgendwem gesagt: „Ich möchte nicht trotz Medizinstudium und schon auch Ansprüchen an meine Karriere – in welchem Fachbereich auch immer und sicher auch nicht weiter als Oberärztin – nicht neben ihm als Hausfrau enden.“

      Es ist halt schon das erste Mal, dass ich einen Mann in meinem Leben habe, der noch mehr arbeiten und noch eingespannter ist, als ich. Ich sehe es aber ehrlich gesagt (noch?) nicht so eng. Wir leben ja ohnehin nicht zusammen – ob das je der Fall sein wird, steht ja auch mal in den Sternen. Ich finde ich breche mir jetzt auch keinen Zacken aus der Krone, wenn ich mal schnell durchwische, wenn ich nach Hause komme und Zeit dazu habe. Genau das Gleiche gilt für das Kochen. Essen muss man sowieso und dann kann ich auch gleich für Zwei kochen, weil er das um 22 Uhr sicher nicht mehr tut. Aber klar – wenn ich wieder auf der Neuro bin und selbst erst spät nach Hause komme, muss es andere Lösungen geben. Ich finde, man muss das nicht so absolutistisch sehen, aber wo man da die Grenze zieht ist sicher eine berechtigte Frage – da bin ich Dir schon dankbar für den Hinweis. Ich denke zum Beispiel manchmal drüber nach, wie das dann mit Kindern werden könnte. Da – glaube ich – ist es schon klar, dass da beide eingespannt sein müssen und jeder ein paar Abstriche in der Karriere machen muss und sich für die Familie einsetzen muss.

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