Ablaufdatum

Vergiss die guten Tage nicht
Du weißt genau, sie tragen dich
Und wenn alles um dich grad zerbricht
Vergiss die guten Tage nicht
Denn sie kommen immer wieder (wieder)
Denn sie kommen immer wieder
Zurück zu dir
 
(Florian Künstler – Vergiss die guten Tage nicht)

 

Irgendwie weiter.
Irgendwie.
 
Ich scrolle durch die Fotos.
Vom letzten Dezember.
Selfies im Schnee.
Manchmal finde ich es selbst erstaunlich, wie glücklich ich in die Welt schauen kann.
Erinnerungen, die bleiben werden. Die vielleicht ersten und letzten Urlaubserinnerungen mit diesem Menschen.
 
Ich hab’s schon gelernt mit jedem guten Moment umzugehen, als würde er sich nie mehr wiederholen.
Und wenn man dann hört, dass das wahrscheinlich wirklich so ist, ist es trotzdem hart.
 
Wir mussten es klären.
Langsam mussten wir das tun.
Langsam konnte ich nicht mehr leben mit einer Beziehung voller Unverbindlichkeiten. In der gar nicht klar war, was wir eigentlich sind. In der ich das Gegenüber in einer ständigen Pendelbewegung erlebt habe. In der ich mich manchmal gefragt habe, ob wir denn überhaupt noch definieren müssen, dass wir in einer Beziehung sind, wenn es doch vom Verhalten so offensichtlich ist. Und in der ich mich manchmal gefragt habe, ob es denn wirklich so offensichtlich ist.
 
Wir haben zu spät geredet.
Viel zu spät.
Denn für ihn war das scheinbar seit Monaten klar, dass wir eine Beziehung führen, ohne dass wir uns je darauf geeinigt hätten.
Für mich hat diese Unklarheit in den letzten Wochen zu viel Wut und zu viel inneren Rückzug geführt. Was bei ihm wiederum vielleicht zu Unsicherheit geführt hat.
Vermutlich hätten wir uns einiges ersparen können.
 
Und jetzt stehen wir da.
Egal, wie wir die Vergangenheit benennen – wir sind uns einig, dass wir nicht wissen, wie die Zukunft aussieht.
Ich hätte kein Problem, diese Verbindung zwischen uns jetzt als Beziehung zu definieren und das mit uns in Grenzen neu aufzusetzen. Als Paar. Mit einem Grundvertrauen in uns als Basis. Mit der mittlerweile endlich vorhandenen Gewissheit, dass wir beide eine Beziehung wollen trotz unseres stressigen Jobs. Dass wir uns beide bemühen und daran arbeiten werden, einen Alltag zu etablieren. Gemeinsam Erlebnisse schaffen, die uns verbinden. Ich liebe diesen Mann einfach und dass er die Verbindung mit uns als Beziehung im Sinn einer partnerschaftlichen Beziehung sieht, ist erleichternd.
Nur das was dann kam, das war nicht erleichternd. Denn während ich noch mit der Frage beschäftigt war, ob wir denn „schon“ in einer Beziehung sind und ob er wohl bereit dafür ist – gerade, weil er die ersten Wochen ständig kommuniziert hatte das nicht zu sein und ich irgendwann aufgehört habe zu fragen – ist er schon seit einiger Zeit gedanklich mit dem Ausstieg aus der Beziehung beschäftigt, von der ich eben bis vor ein paar Stunden nicht mal etwas wusste.
 
Ich kann mit einem Menschen leben, der unsicher ist. Es ist mir viel lieber, wenn wir ehrlich Gespräche führen über das was uns bewegt, als wenn der Mann offensichtlich versucht die starke Schulter zu spielen, die er nicht sein kann.
Aber womit ich nicht leben kann ist, Spielball der Unsicherheit zu werden. Ich bin mir noch nicht sicher, wie das mit der Unsicherheit genau ist. Am Ende meinte er, er habe Angst, die Gefühle für mich würden nicht reichen für eine langjährige Beziehung, was ja immerhin mal ein Statement ist. Dazwischen habe ich aber gehört: „Ich kenne das nicht von mir, unsicher zu sein.“ Ich habe das Beispiel seiner Eltern gehört, die sich gerade trennen. Ich habe viel Unsicherheit hinsichtlich der Frage: „Wie geht Beziehung und wie soll sich das eigentlich anfühlen?“ gehört. Ich habe gehört, dass er unsicher ist, weil die Situation für mich so schwer ist und er nicht möchte, dass ich leide – wo ich ihn immer wieder zurück zu ihm selbst bringen musste. Seine Anteile anschauen, nicht meine.
Ich kann mir nicht helfen, aber wenn ich alles was ich davor gehört habe mit einbeziehe, dann glaube ich, dass das Problem woanders liegt. „Manchmal kommt es mir vor, als würdest Du irgendetwas ziemlich gut in Dir drin behüten“, habe ich irgendwann gesagt. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass diese Berührung mit seiner eigenen Zerbrechlichkeit ihn voll aus dem Kontext schmeißt. Eine Möglichkeit das zu eliminieren, wäre mich halt einfach aus dem Beziehungskontext raus zu nehmen. Denn wenn der Ursprung der aktuellen Unsicherheit beseitigt ist, muss man sich alle anderen Gedanken nicht mehr machen.
"Wahrscheinlich hat das mit uns ein Ablaufdatum", sagte er an irgendeiner Stelle. 

 




Ich weiß nicht, wie es weiter geht.
Die alten Helfersysteme mit ihren offenen Ohren existieren natürlich nicht mehr.
Ich habe mir eine Mini – Neuro – Pause bis Ende der Woche gegönnt. Wenn ich etwas schaffe, ist es gut. Wenn nicht, dann muss es okay sein. Natürlich stresst mich das. Und ein mini – bisschen habe ich heute trotzdem gemacht. Aber absolut ohne Konzentration geht es eben auch nicht.

Ich wünschte, ich würde nicht jetzt schon wissen, wie sehr er mir fehlen wird.
Aber das ist wahrscheinlich der Preis, den man zahlen muss.


Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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