Klinikalltag



Tagebucheintrag von Freitag, 2. Juni 2017


Boa, was für ein Stresstag gestern war. Es ist teilweise echt schlimmer als in der Uni… ;) Nee, das Lernen fällt ja weg…

Also… in der Morgenrunde kam dann raus, dass ich zu allem Überfluss in diesem vollgepackten Tag auch noch zum EKG musste.
Also um 8 Uhr schnell frühstücken, dann rüber zum EKG, von da aus zur Tanztherapie, bei der ich dann zu spät kam. Wunderbärchen…
Wir hatten heute zum ersten Mal die für die Station zuständige Tanztherapeutin, die seitdem ich da war im Urlaub gewesen war. Eigentlich ist sie schon irgendwie ganz nett, aber ich hatte die Vertretung lieber. Liegt vielleicht daran, dass ich die zuerst kennen gelernt habe. Heute ging es um Körperwahrnehmung. Wir sollten die Grenzen unseres Körpers fühlen und auch die Grenzen zu anderen Menschen um uns herum.
Wir hatten überzogen, was dann dazu führte, dass wir auch zur Gruppenvisite zu spät kamen. Der Psychologe ließ sich gerade in dem Moment über Pünktlichkeit aus, als wir herein kamen… Geil… aber wenigstens meinte er, dass es bei den Tanztherapieleuten okay sei, weil die ja so weit gehen müssten…  (Die Tanztherapie ist ganz am anderen Ende des Geländes)

Ich hatte heute vor mir nach der Gruppe nochmal Herrn Psychologe zu angeln, weil ich mir jetzt überlegt habe, dass es doch nochmal gut wäre, wenn wir gemeinsam mit meiner Vermieterin sprechen. Ich möchte in jedem Fall sicherstellen, dass wir im Guten auseinander gehen.

Nach der Gruppenvisite – die eigentlich nur aus der üblichen freitäglichen Belehrung bestand, da die Ausgänge schon gestern besprochen worden waren – sprang ich also auf und ging auf Herrn Psychologe zu. Ich fragte ihn, ob er noch eine Ecke  Zeit heute für mich habe und ich rechnete im Stillen auch mit einem „Nein“. In dem Fall hätte ich angebracht, dass es eigentlich nur um die Terminfindung geht, aber das brauchte ich gar nicht, denn er meinte sofort: „Ich habe jetzt Zeit. Kommen Sie mit.“ Darauf war ich ja gar nicht vorbereitet, denn das passiert so gut wie nie.
Und während die Runde sich auflöste, trottete ich neben Herrn Psychologen her, der mit klakkernden Schuhen Richtung Büro lief.
Irgendwie… vielleicht ist das normal. Du fängst an, die Leute auf einer anderen Ebene zu schätzen. Immerhin teilt man mit ihm ja das Innere der eigenen Seele und irgendwann meint man sich ohne Worte verständigen zu können.
Er ist ja nun auch eine ganze Ecke größer als ich und irgendwie fühlte ich mich neben ihm, als hätte ich für den Moment ein Schutzschild dabei.
Ich stellte fest, dass es bei ihm heute gar nicht so unordentlich aussah. Eine angebrochene, fast leere Apfelschorle stand auf seinem Tisch, auf der der Deckel fehlte, eine Menge Zettel flogen auf seinem Schreibtisch umher und er setzte sich mit einem Klemmbrett auf seinen Stuhl, während ich über Eck Platz nahm.

„Wie geht es Ihnen heute“, fragte er. Mit dieser Frage hatte ich überhaupt nicht gerechnet, weil ich ja eigentlich nur den Termin machen wollte. „Naja, nicht so“, sagte ich und erklärte, dass ich auch noch Sorge wegen des Wochenendes habe. „Das habe ich mir gedacht“, gab er zurück und irgendwie hat mich das auf eine gewisse Art tief berührt.
Ich erwähnte, dass sich im Moment einige blöde Gedanken in meinem Kopf herum treiben. Ob er das absichtlich überhört hat oder den Wink nicht verstanden hat, wusste ich nicht. Aber ich wollte das Wort Suizidgedanken nicht aussprechen. Das konnte ich noch nie.
Er hat immer so ein Talent dafür, vom Thema abzurücken. Und wie eine Schallplatte in den Grenzen eines gewissen Repertoires immer dasselbe zu erzählen.
Und irgendwie landeten wir am Ende ganz woanders und er sagte, dass er mir meine Mut – und eine Frechheitspille wünsche. Und dass das ganze Team mich gern hätte, dass er mich aufgrund meiner Ehrlichkeit schätzt.
Er meinte, dass er für motivierte Leute immer Zeit über habe. Vielleicht hätte ich einfach öfter fragen sollen. Vielleicht.
Ich kann mich noch erinnern, als ich Herrn Herrn Psychologen zum ersten Mal gegenüber saß. In den Armen meiner Freundin  lag. Am Aufnahmetag. Tränen in den Augen hatte. Er mich mit in sein völlig chaotisches Büro schleppte und mir irgendetwas über das Thema Prüfungsangst erzählte. Und ich mir dachte „Was für ein Vogel“.
Es war fast klar, dass sich das irgendwann ändert. Mittlerweile schätze ich sie alle. Denn sie sind mit mir einen Weg gegangen, von dem ich selbst nicht gedacht hätte ihn irgendwann zu gehen.

Im Anschluss daran hatten wir unsere Selbstbeweihräucherungsrunde oder auf therapeutisch genannt: „Positiv – Gruppe“. Ich erzählte heute, dass ich es geschafft habe, eine Wohnung zu finden und dass nächste Woche das Gespräch mit der Vermieterin ist und ich hoffe, dass wir im Guten auseinander gehen. Dass sie versteht, dass es nicht an ihr liegt, sondern daran, dass ich nicht in einer Familie leben kann, die das wiederspiegelt, das ich so gern gehabt hätte, aber nie hatte. Und dass ich ihr so dankbar für alles bin und es absolut nichts mit ihr zu tun hat.
Und am langen Fahrtweg zur Uni liegt es  natürlich auch. Weil Uni damit funktioniert, aber sonst das Leben eben relativ still steht.

Danach war Ergo angesagt. Ich malte an meinem Bild weiter, während der Ergotherapeut  sich eine neue Mitpatientin vornahm. (Er dann so zu ihr: „Rauchen Sie?“ und sie dann so: „Ja“. Und er: „Sehr gut. (???!) Dann gehen wir jetzt auf die Terrasse, rauchen uns eine und quatschen ein bisschen“) Beim Malen schmierte ich meine Hose mit Acrylfarbe voll. Yay…
Mittlerweile bin ich schon relativ weit und ich hoffe, dass ich das Projekt noch schaffe. Nächsten Mittwoch habe ich nicht mehr viel Zeit, da um 14 Uhr meine Vermieterin kommt und nächsten Freitag… - wer weiß, ob ich den überhaupt noch bis zum Mittag mitnehme.
Wieder zurück wollte ich eigentlich einer Mitpatientin beim Wochenausklang helfen, aber die hatte schon genug Hilfe. Deshalb kümmerte ich mich um meine Hose, weichte sie in Wasser ein, bearbeitete sie mit Desinfektionsmittel und Waschmittel.

Anschließend war Skillsgruppe und Wochenausklang. Weil ein Mitpatient heute ging, hatte er noch Kuchen mitgebracht und deshalb aßen wir Kuchen mit Obstsalat. Was für eine Abwechslung zum öden Krankenhausessen.

Danach leerte sich die Station und es kehrte endlich etwas Ruhe ein. Der Oberdoc und der Psychologe verabschiedeten sich in das Wochenende und mir wurde klar, dass ich jetzt drei Tage alleine stehen muss. Irgendwie stresste mich das, aber mir wurde gleichzeitig klar, dass ich ab nächstem Wochenende einfach viel länger alleine stehen muss. Dass es dann keine Ärzte mehr gibt, an deren Tür man am Nachmittag einfach klopfen kann und die einem einfach zuhören. Dass man dann wieder auf die Termine im PSZ warten muss und die ausreichen müssen.
Dass ich wieder studieren muss, dass ich meinen Kopf woanders haben muss, obwohl mich doch der Umzug beschäftigen wird.

Nach dem Abendessen drehte ich heute alleine meine Abendrunde. Und irgendwie genoss ich das. Mal alleine zu sein. Nachzudenken.
Und festzustellen, dass ich so dankbar für diesen Aufenthalt hier bin. Für die Erfahrungen. Die Gespräche mit Ärzten, Therapeuten, Pfleger und Mitpatienten. Dafür, dass ich ein bisschen offener, ein bisschen mutiger, ein bisschen selbstbewusster geworden bin. Dafür, dass man mich gehalten hat, während ich alte Zöpfe durchgeschnitten habe und mir neue Dinge aufgebaut habe.
Ich will keinen Meter dieses Weges nochmal gehen,  weil es so anstrengend war. Aber ich bin dankbar. 

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