Psychiatrie #6
Hallo Ihr Lieben,
ich bin auch noch unter den Lebenden.
Sorry, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Der
Stundenplan ist wirklich ziemlich stressig und wenn ich wenigstens ab und an
nochmal pünktlich auf der Station sein möchte, um den Arzt zu sprechen, dann
muss ich mich nach der Uni immer schnell auf die Socken machen.
Und wie läuft es so...?
Naja… - Uni funktioniert irgendwie. Das hätte ich ehrlich
gesagt nach sieben Wochen Zwangspause auch nicht anders erwartet. Ich glaube,
ich habe in meinem Leben noch nie so lange am Stück nichts getan. Schon in
Schulzeiten wurden die Ferien immer bis zum Anschlag ausgenutzt.
Ich habe so oft – selbst von Psychologen und Psychiatern
gehört: Wenn die Uni funktioniert, dann ist ja alles gut.
Und genau das ist es eben gerade nicht, aber weil sich
dieser Satz so sehr in mein Gehirn eingegraben hat, fällt es mir schwer mir das
selbst einzugestehen und noch viel schwerer, darüber zu reden.
Allerdings fürchte ich, dass die Uni mein Fell in Bezug auf
alle anderen Themen reichlich dünn werden lässt.
Ich habe hier in den letzten Tagen so viel geweint, wie seit
meinem ganzen Aufenthalt noch nicht und manchmal gibt es nicht mal einen
spezifischen Grund dafür – oder es sind Gründe, die halt schon sehr lange da
sind.
Das erste Mal ist mir das bei einen Gespräch mit dem
Psychologen passiert. Der hatte mich letzten Freitag, als ich doch sehr
erschöpft von der Uni kam, noch eingesammelt. Und dann saßen wir in seinem Büro
und irgendwie hat es mich wirklich erleichtert, für den Augenblick getragen zu
werden und von ihm mal nichts auf den Deckel zu bekommen. Ich weiß, dass diese
Gedankenschleifen hochgradig depressiv sind, aber das zumindest mal vor sich
hin sinnieren zu können, hilft manchmal. Problem war nur, dass ich irgendwann
einfach nicht mehr weiter reden konnte, weil mir die Tränen eigentlich schon
bis in den Augenwinkel standen. Er hat ganz geduldig gewartet, mir nur wortlos
eine Packung Taschentücher gegeben und damit war die Sache erledigt.
Die anderen Male war zum Glück keiner da. Naja… zumindest
nicht in dem Moment. Gestern hatte ich mir dann irgendwann mal überlegt, dass
ich jetzt mal einen Kaffee brauche, weil ich sonst überhaupt nicht mehr
vorwärts komme. Mein Plan war, schnell in die Küche zu laufen, einen Kaffee zu
holen und schnell zurück zu laufen und ich habe gehofft, dass ohnehin keiner
auf Station ist, weil alle das schöne Wetter draußen nutzen. Naja – weit
gefehlt. Zum einen war die Küche voller Mitpatienten, zum anderen kam mir
gerade unser Psychologe entgegen und fragte mich, ob alles okay sei. Ich habe
mir echt überlegt, ob ich ja sage, aber so wie ich aussah, hätte er mir das
ohnehin nicht abgekauft… Allerdings war er schon quasi auf dem Heimweg und wir
haben das dann zum Glück nicht mehr auseinander genommen.
Ein bisschen ein Problem ist, dass Psychologe und Arzt sich
jeder auf je ein Thema eingeschossen haben.
Der Psychologe sagt, dass ich mich im Krankenhaus später
nicht ausnutzen lassen soll, wenn ich mal arbeite. Tja – bis ich mit Studium
und PJ durch bin, ist Mitte 2019. Da mache ich mir jetzt noch keine Gedanken
drüber, zumal das im Krankenhaus immer recht gut funktioniert.
Der Arzt sagt, ich soll mehr Freizeitaktivitäten einbauen
und Freunde treffen. Am Donnerstag zum Beispiel zum Chor gehen. Ich habe von 8
– 17 Uhr Uni und gehe dann noch zum Chor? Ich habe ihn gefragt, ob er meint,
dass mich das wirklich zu einem glücklicheren Menschen macht…
„Ja“, hat er gesagt und nicht gelten lassen, dass mich 9
Stunden Uni ohne Pause (und jetzt fragt mich nicht, wer sich den Stundenplan
ausgedacht hat…) kraftmäßig so erschöpft, dass der Chor nur zusätzliche
Belastung ist.
Mich beschäftigen im Moment ganz andere Dinge.
Der Umzug zum Beispiel. Da stellt sich beinahe täglich
heraus, dass noch dies und das erledigt werden will – so allmählich stresst
mich das, zumal ich von denen auch mal einen klaren Entlasstermin brauche.
Danach würde sich nämlich richten, ob ich den Umzug nach Freitag nach der Uni
zumindest insoweit über die Bühne bringen muss, dass ich da schlafen kann und
die Sachen aus der Klinik dort habe.
Oder ob die mich Montag entlassen, dann hätte ich das
Wochenende zum Umziehen und außerdem jemanden, der die eventuell aufkommende
Panik abfangen kann.
Und gerade seitdem ich wieder in der Uni bin und jeder nach
einem langen Unitag nach Hause fährt und ich wieder rauf in die Klinik fahre,
ist das Thema „zu Hause“ aktueller denn je. Ich bin so lange herum geeiert und
ich hoffe so sehr, dass der Umzug mir ein zu Hause gibt, aber die Probleme
werden nun mal auch mit kommen und es wird auf jeden Fall schwierig. Nicht
unmöglich, aber schwierig.
Und auch Familie ist so eine Sache. Ich hätte so gern etwas wie Rückhalt,
Menschen, die mich bedingungslos lieben und unterstüzen und manchmal fehlt mir
das plötzlich so verdammt. Es ist nicht so, dass ich das hier nicht alleine
schaffen würde. Ich musste so viele Wege alleine gehen, das ist schon okay,
aber das heißt ja nicht, dass mir dabei nichts fehlt.
Ein Pfleger meinte letztens zu mir, dass wir das jetzt schon
alles ausreichend durchdiskutiert haben, dass die wenigsten Menschen ein zu
Hause und eine Familie haben, auf die sie sich verlassen können, aber das hilft
mir in dem Moment natürlich auch nicht. Es gibt immer Leute, die schlechter
dran sind, aber das lindert jetzt meine Sorgen nicht, sondern lässt sie mir
höchstens ungerechtfertigt erscheinen, was so aber auch nicht richtig sind.
„Gefühle sind immer echt“, hat unser Philosophielehrer mal
gesagt und ich glaube, das war gar nicht so ein blöder Satz. Man kann das nicht
weg diskutieren. Die Schwere auf den Tagen ist da.
Teilweise turnen auch immer noch ziemlich destruktive
Gedanken in meinem Kopf herum. Ich kann nichts daran ändern, dass der Wunsch
nicht mehr existieren zu müssen mich morgens weckt und abends in den Schlaf
begleitet. Ich wünschte, es wäre anders nach all der Zeit, aber das ist es
nicht und ich traue mich gerade nicht, dass hier anzusprechen. Ich nehme stark
an, dass die den Therapie – Wochenplan, den man eigentlich immer am Anfang der
Woche ausfüllen und abgeben muss, auch nicht mehr lesen. Das ist für mich
wirklich unglücklich, weil da immer mein Instrument war Themen in den Raum zu
schmeissen, über die ich gern reden würde, mich das aber von allein nicht traue
anzusprechen.
Rechtsmedizin ist dafür übrigens auch kein förderliches
Fach, weil es Ideen zur Umsetzung in Serien liefert…
So… heute morgen hatte ich die erste Stunde frei, aber jetzt
starte ich mal flott in den Uni – Tag.
Alles Liebe
Mondkind
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