Psychiatrie # 7
Hallo Ihr Lieben,
Gestern habe ich seit langer Zeit mal wieder einen Tag
komplett auf Station verbracht – ob das so richtig hilfreich war, weiß ich
nicht.
Dienstag Nachmittag hatten wir noch Rechtsmedizin gehabt.
Sich vier Stunden lang anzuhören, wie man sich am
effektivsten und schnellsten um die Ecke bringen kann, ist gerade in meiner
Situation schon hart. Ich zwinge mich sonst immer dazu, über die Thematik nicht
allzu weitreichend nachzudenken, aber da gab es kein Entkommen. Ich wiederhole
den Inhalt jetzt nicht, aber es ist viel einfacher als ich dachte und im
Zweifel ist das relativ schmerzfrei mit einer Reihe von Haushaltsgegenständen
zu schaffen.
Schon an dem Abend trieb mich das Thema entsprechend um,
aber wir hatten einen Pfleger im Spätdienst mit dem ich nicht so sehr gut
zurecht komme und bei dem man auch nie weiß, ob man mit solchen Äußerungen auf
der Nachbarstation, die geschützt ist, landet.
Die Nachtwache von uns wurde dann auf die Nachbarstation
abgezogen, sodass ich mich damit abfand, das am nächsten Morgen in der Visite
anzusprechen. Da würde ich ja ausnahmsweise mal da sein.
So richtig hilfreich war die Visite dann aber auch nicht.
Der Psychologe fragte, wie es mir denn ginge und ich sagte
ihm, dass die Uni immerhin funktioniere, aber ansonsten sei mein Fell sehr dünn
geworden, jeden Tag sinkt mindestens ein Mal die ganze Situation auf mich
herunter.
Es kam dann natürlich wieder die übliche Leier mit ich soll
mich später im Job nicht ausnutzen lassen und so und anschließend meinte er,
das sei jetzt alles wegen des Umzugs. Na das bezweifle ich ehrlich gesagt. Der
Umzug macht mir keine Sorgen. Ich musste schon so viele Wege alleine gehen und
ich habe es immer geschafft und es immerhin schonmal ausgehalten kein Dach über
dem Kopf zu haben und da war die Situation weitaus schwieriger, weil ich da
keine professionellen Helfer im Hintergrund hatte.
Ich brachte dann auch noch an, dass wir gestern einen Kurs
hatten und so schwer es mir fiel, sprach ich genau die oben genannte Thematik
an. Ich erwähnte auch, dass ich in gewisser Hinsicht schon Angst vor
Kurzschlussreaktionen habe, wenn es mir akut ganz schlecht geht. Teilweise habe
ich es in der Vergangenheit vermieden, an Brücken oder Bahngleisen entlang zu
laufen, weil ich mir da manchmal selbst nicht mehr über den Weg traue. Ich schloss meine Erzählung damit, dass ich
jetzt nicht genau weiß, wie ich mit der Thematik umgehen soll.
Darauf eingegangen wurde nicht. Es hieß lediglich, dass das
wohl jeden belasten würde, aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter
Gegen MIttag lief ich noch unserem Ergotherapeuten über den
Weg. Er war eigentlich runter auf Station gekommen, um mich aus der Gruppe zu
schmeißen, so wie alle anderen das schon getan haben, aber ich habe ihm
erklärt, dass ich Mittwochs immer da bin und deswegen lässt er mich jetzt doch
noch drin.
Nachdem die Visite mich mal wieder komplett erledigt hat
(wie das irgendwie in letzter Zeit immer der Fall ist), habe ich schon arg
gehofft, dass der Ergotherapeut mich nochmal auf Seite nimmt. Der ist zwar überaus
direkt und ehrlich, aber man kann mit dem über einige Dinge doch ganz gut
reden.
Das hat er dann glücklicherweise auch getan und dann saßen
wir wieder gemeinsam auf der Dachterasse des Gebäudes, auf der es schon so
viele Gespräche gegeben hat, die so schwer wie sie auch waren, am Ende immer
nützlich waren.
Er ist der Auffassung, dass meine Dünnhäutigkeit jetzt
einerseits von dem Unistress kommt, aber
andererseits vielleicht auch daher, dass mir jetzt bewusst wird, wie viel da in
der Vergangenheit dann doch irgendwie schief gelaufen ist. Wie viel Zeit ich
mit Pendeln verschwendet habe, wie viel ich dadurch verpasst habe, wie sehr ich
auf der Suche nach etwas war, das ich dort überhaupt nicht finden konnte.
Letzten Endes kann an die Themen, die mich so sehr bewegen,
wie die Suche nach einem zu Hause und die Sehnsucht nach einer Familie im
Rücken, keiner lösen. Weder die Therapeuten noch ich selbst so richtig, da ich
mein Umfeld nicht verändern kann. Ich kann nur selbst irgendwann los lassen, aber
es ist auch okay, dass ich noch nicht so weit bin.
Im Endeffekt kann man nichts anderes tun, als die Thematik
erst mal mitzutragen, insbesondere in den Momenten, wenn es mir zu viel wird.
Ich weiß nicht, was er über das Thema Entlassung denkt, er
meinte nur, dass es wahrscheinlich absolut fatal wäre, das zu früh anzugehen. Er
meinte zu mir, ich kann so lange bleiben, wie ich mag und dass ich das
Umzugswochenende noch in der Klinik verbringe und dann erst am Montag danach
entlassen werde, hält er für absolut legitim.
Anschließend haben wir noch eine Menge darüber geredet, wie
ich den Umzug gestalte. Er hat mir erklärt, was ich alles zum Streichen
besorgen muss und hat mir sogar angeboten, dass er für mich in seinen
Räumlichkeiten nochmal nach Farbe sucht.
Es gab auch ne Menge Tipps, wo ich günstig
Einrichtungsgegenstände her bekomme und wir haben uns darauf geeinigt, dass ich
nicht zwischen Kisten leben werde (auch wenn der Psychologe das in den ersten
Monaten (!) ganz normal findet), sondern es mir gleich ein wenig hübsch mache,
damit sich vielleicht doch mal ein Gefühl von zu Hause einstellt.
Und nach dem Gespräch ging es mir für den Nachmittag
tatsächlich etwas besser.
Am Abend traf ich noch auf eine Mitpatientin, die ich vorher
irgendwie noch nicht bewusst wahrgenommen hatte. Sie lief mit einem grünen
Ordner unter dem Arm herum, kam mir entgegen und berichtete, dass sie morgen
ihre mündliche Abiprüfung hat.
Ob ich sie denn abfragen könne.
Es ging um Geschichte. Den gesamten Abistoff auf 12 Seiten
komprimiert und mehr als da an Stichworten aufgelistet war, war aus ihr auch
nicht heraus zu bekommen. Nicht, dass ich das Geschichts – Ass wäre – obwohl ich
in dem Fach damals auch meine mündliche Prüfung hatte - aber auf die Art
gestaltete sich das Abfragen sehr schwierig.
Wenn unser Stationsarzt gewusst hätte, dass ich mich jetzt
auch noch mit dem Lernkram von anderen beschäftige, wäre er wohl an die Decke
gegangen, aber das wusste er ja nicht. Also verbrachte ich meinen Abend damit
sie zu motivieren, ihr zu erklären, dass sie sich das alles noch mal durchlesen
soll und dann ins Bett gehen soll, ohne nochmal am Handy zu daddeln oder so – am,
Besten, ohne mit irgendwem zu reden. Und dass sie den Ordner unter das Kissen
legen soll. Aberglaube hilft ja manchmal…
Kurz bevor sie ging, eröffnete sie mir, dass sie noch eine
Nachprüfung in Mathe und Bio hat. Na das kann ja heiter werden in der nächsten
Woche. Aber ich kann ja auch nicht sagen: Ja, ich kann zu Deinem ganzen Krempel
etwas sagen, aber ich helfe Dir nicht. Ich meine, es geht um das Abi. Um einen
der wichtigsten Bausteine für die berufliche Zukunft. Irgendwie steht für mich
da meine eigenen Bequemlichkeit da hinten an, obwohl ich sie kaum kenne.
Alles Liebe
Mondkind
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