Dienst am Feiertag


Gestern Abend hat mein sehr geschätzter Neuro – Oberarzt noch eine Mail geschrieben. Angemerkt, dass er schon eine Weile nichts mehr von mir gehört hat. Er wollte fragen, wie es mir geht.
Es war genau der richtige Zeitpunkt, den er da zufällig gewählt hatte. Ein Ereignis, das die negative Gedankenschleife zumindest kurzzeitig aus der Bahn geschmissen hat.
Nur was ich ihm schreiben soll, das wusste ich nicht so genau. Ich will ihn aus der aktuellen Situation eigentlich raus halten. Andererseits wird er sich auch wundern, warum ich jetzt anfange zu mauern, wo ich doch bisher immer so offen mit ihm war und er das auch – nach eigener Aussage – sehr geschätzt hat. Ich möchte die Menschen halt nicht überfordern…

Heute war hier zwar Feiertag, aber da ich am Freitag ja statt im Krankenhaus in meiner Studienstadt war, habe ich den Tag heute „ersetzt“, weil PJ – Studenten an Feiertagen eigentlich frei haben.

Heute morgen lief der Tag auch ganz gemütlich an. Immer mal jemand in der Notaufnahme, hin und wieder auf der Station Zugänge legen, Blut abnehmen, Angehörigengespräche führen, mit Patienten sprechen, denen es plötzlich schlechter geht und Aufklärungen machen.

Gegen Nachmittag wurde dann eine Menge telefoniert. Es ging um eine stark demente Patientin, die seit dem Wochenende immer weniger ansprechbar war; die Nahrungsaufnahme verweigere, sowie das Bett nicht mehr verlassen könne. Wenn Patienten eintrüben, schicken wir sie immer ganz gern in die Neuro. Denn wenn uns nicht gerade eine andere Ursache anspringt, müssen wir ein cerebrales Ereignis immer ausschließen. Aber die Neuros wollten den Fall auch nicht und meinten, wir sollen erstmal ein Labor machen und eine etwaige Elektrolytentgleisung und Exsikkose ausschließen.

Wenig später klingelte Telefon der Notaufnahme. Meine Kollegin und ich dachten, dass der angekündigte Fall kommt, aber im Schockraum wartete etwas anderes auf uns. Eine ältere Dame, die eigentlich aufgrund von Bradykardie mit dem Notarzt kam. In der Auffahrt zum Krankenhaus habe sie plötzlich gehustet und seitdem japse sie nach Luft.
Trotz acht Liter Sauerstoff, hatte sie blaue Lippen. „Nicht, dass die jetzt eine Lungenembolie geschossen hat“, merkte meine Kollegin an. Sie warf einen Blick auf die Beine, die aber nicht nach einer TVT – häufigste Ursache einer Embolie – aussahen.
Wir nahmen das Labor ab und dann verschwand die Kollegin mit der Patientin auf der Intensivstation und ich sollte in der Notaufnahme weiter die Stellung halten.

Wenig später kam die telefonisch angekündigte Dame. Die Tochter erzählte mir die ganze Geschichte nochmal. „Wir machen jetzt erstmal ein Ultraschall vom Bauch und dann sehen wir weiter“, erklärte ich, nachdem ich sichergestellt hatte, dass das Blut auf dem Weg ins Labor war.
Ich habe die Gallenblase drei Mal von vorne eingestellt und fotografiert, ehe ich mir selbst glaubte. Dreischichtung der Gallenblasenwand, Sludge und ein großer Stein in der Gallenblase. Die Dame hat eine akute Gallenblasenentzündung, die den Allgemeinzustand wahrscheinlich arg verschlechtert hat und das aber durch die Demenz verschleiert hat.
Die von mir dazu gerufenen Viszeralchirurgen meinten, dass es nicht so dringend ist, dass es heute operiert werden muss. Ich solle sie internistisch aufnehmen und für morgen ein Konsil schreiben.
Die Ursache war also letzten Endes weder ein neurologisches Problem, noch eine Elektrolytentgleisung. Spannender Fall…

Mittlerweile war es schon spät und ich hätte eigentlich seit über einer Stunde im Feierabend sein wollen. Ich fragte auf der Station nach, ob im Moment alles im grünen Bereich ist und verabschiedete mich nach einem „Ja“ bis morgen. Plötzlich rief es mir doch hinterher: „Mondkind, komm mal bitte schnell.“
Der Puls rast von einer Sekunde auf die andere. Das kann nichts Gutes heißen. Im Bett sitzt ein Mann, nach Luft schnappend, blau und ohne jegliche Körperspannung. Das fehlte mir gerade noch. „Ich habe mit dem vor einer halben Stunde noch geredet und jetzt ist er nicht mehr ansprechbar“, erklärt mir die Schwester aufgeregt. „Okay, Sauerstoff dran“, sage ich.
Der Patient erbricht immer wieder, ist sehr unruhig. „Der ist ja völlig schief“, sage ich. „War der schon vorher so?“. Sein rechtes Auge ist geschlossen, der Mundwinkel hängt herab und jegliche Mimik ist verloren gegangen. „Nein, war er nicht“, gibt die Schwester zurück.
„Na dann hat er wohl einen Schlaganfall. Also Neuro anrufen“, sage ich halblaut. „Aber erstmal brauche ich einen Monitor und ein bisschen Morphin…“
Während die Schwestern mir das Zeug zusammen suchen, habe ich den Patienten im Blick. Unter der Sauerstofftherapie verschwindet die blaue Farbe ein wenig. Der Patient hält sich mit einem seiner Arme an mir fest, das offene Auge weit aufgerissen. Er hat Angst zu ersticken.
Ich nehme seinen Arm und beuge mich zu ihm runter. „Es wird gleich besser und wir sind alle hier und passen auf sie auf…“
Mittlerweile ist auch die Kollegin informiert und stößt hinzu. „Der Patient hat plötzlich gehustet und erbrochen. Ist seitdem nicht mehr ansprechbar, hat Luftnot, ist sehr unruhig. Die rechte Gesichtsseite scheint komplett gelähmt. Ich tippe auf Schlaganfall und würde – wenn wir den Patienten stabilisiert habe – die Neuro anrufen.“
„Der hat eine Patientenverfügung Mondkind. Ich habe schon mit den Angehörigen telefoniert. Er bleibt hier und die kommen jetzt…“
Ein paar Minuten später geht es dem Patienten etwas besser. Das Morphin beruhigt ihn, senkt den Atemantrieb und nimmt die Schmerzen, so er welche hat.

Es ist unfassbar, wie schnell das gehen kann. Von einer Sekunde auf die andere. Und dass man nichts tun kann, außer zu versuchen, die Not zu lindern. Ich bin nicht die Verfechterin, alle medizinischen Maßnahmen durchzuführen, die irgendwie möglich sind, wenn der Patient weit über 90 Jahre alt ist und viele Komorbiditäten hat. Aber dennoch ist es schwer einfach daneben zu stehen und das zu akzeptieren.

Mit fast drei Stunden Verspätung verschwinde ich im Feierabend. Und während ich auf meinem Rad nach Hause fahre frage ich mich, ob ich den Anforderungen im Krankenhaus wirklich gewachsen bin. Sowohl fachlich, als auch emotional.

Mondkind

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