Zum Thema Luxusprobleme...


Hinter mir liegen viele kurze Nächte, die am Ende doch zu lang geworden sind. Es ist weniger so, dass ich mir die ganze Zeit aktiv Gedanken darüber gemacht habe, wie es zu dieser Krise gekommen ist, sondern viel mehr so, dass sich die Puzzle – Teile irgendwann, ohne aktives Zutun, zumindest teilweise zu einem Gesamtbild gefügt haben.

Schon die Woche bevor ich in die Studienstadt gefahren bin, lief nicht gut. Die Gründe dafür sind mir nicht ganz klar – vielleicht hat die Therapeutin Recht und es war mit neuer Umgebung, neuer Arbeitsstelle und familiären Problemen wirklich zu viel auf einem Haufen.
Aber ein Ereignis in der Studienstadt hat das Fass dann zum Überlaufen gebracht.

„Meinen Sie nicht“, sagte die Psychiaterin und schaute mich schief von der Seite an, „dass Sie unter Luxusproblemen leiden?“
Letzten Endes sind wir alle nur Menschen. Manchmal gestresst und genervt vom Job – erst heute habe ich gelernt, dass der Arbeitgeber pro Monat sechs 24 – Stunden – Dienste einfordern darf. Das wäre in manchen Wochen mehr als ein Mal. Wahrscheinlich sollte man dann nicht jeden Satz der Kollegen auf die Goldwaage legen und manche Dinge einfach nicht so ernst nehmen.
Obwohl es bei mir halt viel los getreten hat.

Nach solchen Bewertungen werde ich immer still. Ich hätte sofort meiner Empörung Luft machen und sagen können: „Na was glauben Sie – wenn ich mehr als 10 Stunden in eine Richtung fahre – meinen Sie dann die ganze Sache ist für mich ein Luxusproblem?“
Stattdessen habe ich mich still gefragt: Habe ich eine Berechtigung hier zu sitzen? Übertreibe ich das? Darf es bei mir keine emotionalen Löcher geben, weil ich alles habe, was ich brauche? Nehme ich ihr gerade Zeit weg? Blockiere ich einen Platz, den andere Patienten dringender brauchen?
Sie kannte mich ja kaum 10 Minuten – da finde ich das nicht unbedingt gerechtfertigt, so hart zu urteilen.

Am Ende – so fürchte ich – haben wir zwei verschiedene Zielsetzungen. Die Psychiater, die ihr Klientel wieder auf dem Arbeitsmarkt unterbringen wollen und ich, die sich aber auch ein bisschen Lebensqualität wünscht.
„Wer leistet, ist gesund“ – das ist die weit verbreitete Meinung. Weshalb die Psychiaterin wohl – wenn auch nicht ganz so direkt ausgedrückt – gefragt hat: Sie haben ihr Examen bestanden und sind im PJ: Was wollen Sie hier eigentlich?

Ich glaube – ohne Anspruch auf die Allgemeingültigkeit des Gesagten zu erheben – dass dieses ganze Chaos im Kopf unfassbar viel Kraft kostet und jeder die Prioritäten, wie er mit der verbleibenden Kraft umgeht, etwas anders setzt.

Ich bin noch sehr jung. Rational gesehen ist mir bewusst, dass Depressionen heilbar sein sollen. Persönlichkeitsstörungen eher nicht, aber hin und wieder habe ich das Gefühl, dass die Diagnose nur aus abrechnungstechnischen Gründen zu Stande kommt. Eigentlich müsste ich damit nämlich sozial absolut inkompetent sein und das bin ich nicht.
Mir ist auch bewusst, dass ich – um eine Zukunft zu haben – auch einen vernünftigen Job brauche. Ob es nun gerade Medizin – was ja nun eher Berufung, als Beruf ist – sein muss, darüber lässt sich freilich streiten. Aber der Weg ist jetzt ohnehin eingeschlagen und bald zu Ende. Und wenn ich schon mehr Zeit am Arbeitsplatz verbringen werde als irgendwo anders, dann sollte das an einem Ort und mit einem Team sein, in dem ich mich wohl fühle.

Vor diesem Hintergrund wäre es das Blödeste das ich tun könnte, das jetzt einreißen zu lassen, eben weil ich diesen jobtechnisch gesehen „idealen Ort“ für mich gefunden habe.
Und dadurch wäre es auch das Letzte, das ich zulassen würde.

Abgesehen davon bin ich ein Mensch, der ganz viele Zukunftsängste hat. Obwohl unser Chef regelmäßig einen Vortrag darüber hält, dass uns die Welt offen steht, wir große Karrierechancen haben und man mit einem deutschen Facharzt europaweit und auch international wirklich gut dasteht, habe ich immer noch Angst, arbeitslos zu werden.
Und auch deshalb würde mich eine anhaltende Unterbrechung des Studiums wahrscheinlich vollkommen verrückt machen und wäre eher kontraproduktiv.

Und aufgrund dieses hohen Einsatzes für das Studium, bleibt natürlich viel anderes auf der Strecke. Sozialkontakte, Hobbies, manchmal auch notwendige Erledigungen. Das Leben, das ich außerhalb des Krankenhauses führe, traut mir hier wohl eher keiner zu.
Es gibt den Begriff der „hochfunktionalen Depression“, die die Sache vielleicht zumindest zum Teil beschreibt. 

Mal wieder ein Bild aus der Burg...

Das Problem war und ist wahrscheinlich, dass ich mich ein bisschen als Simulantin abgestellt gefühlt habe. Als sei es nicht erlaubt die Dinge subjektiv so wahrzunehmen, wie sie für mich eben sind. Ich sollte versuchen das zu ändern, aber es bringt mir eben auch nichts, mir permanent Vorwürfe zu machen und mich zu überfordern, wenn ich versuche die Dinge so zu machen, wie sie erwartet werden.
Und damit fällt ein ganz wichtiger Punkt raus: Die Dinge so zu akzeptieren, wie sie eben sind. Das darf eigentlich nicht sein, dass ich außerhalb des Krankenhauses so wenig auf die Reihe bekomme und selbst im Krankenhaus mich die seit Wochen bestehende Müdigkeit, wirklich an meine Grenzen bringt. Viele Dinge sind immer noch nicht erledigt und obwohl es nicht viel ist – das tun zu müssen, stresst mich einfach. Im Krankenhaus telefoniere ich tagtäglich mit so vielen Leuten – sowohl krankenhausintern, aber auch nach extern. Das geht alles. Nur meine eigenen Anrufe bekomme ich nicht auf die Kette. Auch Entscheidungen treffen und Sozialkontakte pflegen, stresst mich gerade total. Ganz ehrlich – ich möchte einfach nur meine Ruhe haben.
Und gleichzeitig weiß ich, dass es das nicht besser macht. Sozialkontakte muss man pflegen, sonst sind die auch schnell wieder Geschichte (ich bin gerade auf dem besten Weg…) und auch wie ich in zwei Wochen in die Studienstadt komme, muss ich mir noch überlegen. Ich könnte das Auto von einem Freund nehmen, aber dazu müsste das den Weg hierher finden. Außerdem ist meine Familie dagegen (warum habe ich mit denen telefoniert…?) und ich weiß nicht mal, ob ich eine Haftpflichtversicherung habe (da müsste ich dann wieder herum telefonieren…)
Für mich ist das gerade belastend. Das mögen für manche Luxusprobleme sein.
Aber mich persönlich macht es fertig, für mich selbst und meine Bedürfnisse so wenig Kraft zu haben und im Prinzip einfach nur noch müde zu sein.

Hinzu kommt, dass die Ärztin der ich da gegenüber saß und die mich mit diesem Satz konfrontiert hat, neue Oberärztin der Station in der Psychiatrie ist, auf der ich seinerzeit war. Für mich war immer klar, dass – wenn ich nochmal hingehen muss – ich auf diese Station möchte, weil ich weiß, dass der Oberarzt dort mich sehr ernst nimmt und ich ihm einfach schon sehr viel zu verdanken habe. Im Frühling – so wie das eigentlich in der Ambulanz geplant war – hätte das auch noch geklappt. Und die hatten mich seinerzeit schon gefragt, auf welche Station ich möchte. Natürlich können die sich auch kein Bett aus den Rippen schneiden – eventuell hätte das dann ein paar Tage länger gedauert oder die hätten mich nochmal verlegt.
Aber ich fürchte sie und ich – wir werden einfach nicht miteinander zurechtkommen. Und damit fällt auch ein gewisses Maß an Sicherheit das ich hatte, jetzt weg.

Ich habe noch einen Satz im Ohr – das war mal in einer Oberarztvisite, nachdem klar war, dass ich umziehe und dann wieder  von der Klinik aus in die Uni gehe. „Man muss Sie manchmal ein bisschen antreiben und begleiten, aber Sie haben schon so viele Dinge gemacht und geschafft, die ich persönlich Ihnen nicht unbedingt zugetraut hätte.“ Und auf die verwirrten Blicke der Pflege, die sich glaube ich auch öfter gefragt hat, was ich da eigentlich mache, denn ich mache ja mein Studium und gehe ja zur Uni: „Die Frau Mondkind ist glaube ich immer viel depressiver, als sie nach außen hin wirkt. Aber sie trägt das nicht so vor sich her – was ja auch gut ist. Aber für uns ist es dann manchmal etwas schwer das einzuschätzen.“

Der Mann hatte das halt hundert prozentig erfasst und dafür bin ich ihm einfach so unendlich dankbar. Er hat sich nicht mit der Oberfläche zufrieden gegeben, mit dieser nach außen hin so fröhlich erscheinenden Mondkind, sodass ich schon öfter gehört habe: „Sag mal Mondkind, kannst Du auch schlechte Laune haben…?“

So… - endlich Wochenende und morgen mal nicht der Kampf ums Aufstehen.

Mondkind

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